Freitag, April 26, 2024
StartPolitikEU„Herabwürdigend“: Medien über „Pseudohilfe“ Moskaus und leidenschaftlicher Appell eines Ostdeutschen

„Herabwürdigend“: Medien über „Pseudohilfe“ Moskaus und leidenschaftlicher Appell eines Ostdeutschen

„Eigennützig!“, prangerten deutsche Medien die russische Hilfe in Italien an. Einige wiederum lieferten eine konstruktive Einschätzung des „politischen Signals“ von Präsident Wladimir Putin. Der Ostdeutsche und Berliner Uwe Trostel sieht in der Situation Zynismus, aber auch große Chancen für eine Normalisierung des EU-Russland-Verhältnisses.

Mit ergreifenden Worten geißelte die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen am Donnerstag im EU-Parlament den nationalen Egoismus der Mitgliedstaaten in der Corona-Pandemie. Zwar kündigte sie eine gemeinsame Bestellung der Medizinprodukte und den Aufbau einer strategischen Reserve für alle EU-Staaten an, aber eine gemeinsame Linie steht bislang noch aus. Es geht ja um ein stabiles Schuldeninstrument, das eine langfristige Finanzierung von Maßnahmen sichern würde. „Wenn ihr mir das anbietet, dann machen wir es lieber alleine“, reagierte der italienische Premier Giuseppe Conte beim EU-Sondergipfel auf das Kreditangebot im Rahmen des alten Europäischen Rettungsschirms, berichtete die Nachrichtenagentur ANSA. Erließ sich jedoch auf einen Kompromiss ein und darf in zwei Wochen auf neue Hilfsvorschläge hoffen.

So lange sich diese Angelegenheit mit Brüssel hinzieht, so schnell geht es offenbar mit Moskau. Am 21. März telefonierte Conte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin: Man hat vereinbart, im Kampf gegen das Coronavirus eng zusammenzuarbeiten. Schon am nächsten Tag landeten in Italien die ersten Flugzeuge mit Schutzausrüstungen, mobilen Versorgungsstationen und Desinfektionsmitteln, begleitet von acht Brigaden medizinischer Spezialisten – das alles wurde vom Verteidigungsministerium bereitgestellt, was zeitlich gesehen hilfreich war. Nicht nur der Verteidigungsminister Lorenzo Guerini, sondern auch mehrere einfache Italiener bedankten sich anschließend in den sozialen Netzwerken bei Russland. Mehrere deutschsprachige Medien sahen es allerdings anders

„Die Kommentare des Mainstreams zu den russischen Hilfeleistungen sind zynisch, herabwürdigend und natürlich von der Ideologie getragen, dass aus Russland nur Böses kommen kann“, teilte Uwe Trostel, stellvertretender Chef des Vereins für lebensgeschichtliches Erzählen und Erinnern in Berlin und ehemaliges Mitglied der DDR-Plankommission, seine Empörung gegenüber Sputnik mit.

Ein Artikel in der „Berliner Zeitung“ unter dem Titel „Kosmetische Seuchenbekämpfung“ hatte ihn besonders verärgert, sodass er daraufhin einen entsprechenden Leserbrief an die Redaktion schrieb. Im erwähnten Artikel bekräftigt der Autor Stefan Scholl ein entsprechendes Urteil des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der Kreml wolle mit Desinformationen zum Coronavirus bzw. „Verschwörungstheorien über globale Eliten“ Misstrauen gegen nationale und europäische Behörden und Gesundheitssysteme säen. Gegenüber dem russischen Publikum werde das Virus als Form ausländischer Aggression dargestellt, behauptet Scholl – wieder ohne Beispiele. Hauptsache, es wird in Brüssel an „Moskaus Selbstlosigkeit“ gezweifelt – ohne deren Nutzen einzusehen.

Übrigens: „Russland schickt Soldaten“, ironisierte die Tagesschau. „Europa verliert den Kampf der Bilder“, schrieb „Der Spiegel“, Russland und China würden die Lücke propagandistisch ausschlachten. Und als Sahnehäubchen: Die „Bildzeitung“ konstruierte sogar einen Zusammenhang zwischen der „Pseudohilfe“ Moskaus und den Tricks der italienischen bzw. der deutschen Rechten. Es gibt allerdings auch freundlichere Stimmen. „Tatsächlich ist der Hilfskonvoi ein äußerst wichtiges Signal internationaler Solidarität in Krisenzeiten, wo nationaler Egoismus – auch innerhalb der EU – wieder erstarkt“, schreibt das Handelsblatt. Worin sich die meisten Medien jedoch unabhängig von dem Ton einig sind: Russland setzt mit dieser Geste auch ein politisches Zeichen. Trostel sieht darin ein Signal – und dazu noch als eine Chance.

„Wäre es, gerade angesichts der Coronakrise, nicht angebracht, in unser aller Interesse über ein neues Verhältnis zu Russland nachzudenken?“, appelliert er an die Medienlandschaft.

Der Einsatz Russlands in Italien könnte doch auch als ein Signal für verbesserte Beziehungen zum Westen aufgefasst werden, wenn man in der Lage wäre, ihn ohne tiefsitzende Vorbehalte zu bewerten, meint Trostel. Er fragt weiter: „Wenn man nicht ganz und gar der Ideologie einiger Politiker oder dem Mainstream verfallen ist, wäre es da nicht an der Zeit, vielleicht auch darüber nachzudenken, dass Russland mit seinen Hilfeleistungen auch ein Signal senden möchte, endlich eine Normalisierung des Verhältnisses zu Westeuropa herzustellen?“ Die Russen hätten in der Vergangenheit auch genügend Signale für eine neue Runde der Abrüstung ausgesendet. „Weitreichende Abrüstung wäre doch das Gebot der Stunde, ein Erfordernis von Corona und der uns ja auf lange Sicht erhalten bleibenden Klimakrise“, wünscht sich Trostel. Er wies dabei darauf hin, dass Russland mindestens seit Peter dem Großen bestrebt sei, engste Beziehungen zu Westeuropa zu unterhalten. In Italien erinnert man sich z.B. immer noch an die Hilfe der russischen Seeleute: Sie kamen zur Rettung der sizilianischen Stadt Messina, als diese 1908 von einem Erdbeben und einem Tsunami erschüttert worden war. Uneigennützig.

Vor einigen Tagen haben Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen, Hessen und Berlin zugesagt, ein paar Dutzend schwer erkrankte Italiener aufzunehmen. Auch die Luftwaffe fliegt nun an Covid-19 erkrankte Italiener nach Deutschland. Zuvor wurden lediglich nur Hunderttausende Schutzmasken aus Deutschland nach Italien geliefert – Stichwort „exportiert“. Die EU-Gesundheitskommissarin Kyriakides bedankte sich gerade bei Deutschland für „eine starke Demonstration europäischer Solidarität“. Den russischen Einsatz in Italien nahm nach einer entsprechenden Berichterstattung  in den italienischen Medien auch der Präsident der Lombardei Attilio Fontana in Schutz. Dies seien politische Polemiken, bei denen er nicht mitmache. „Ich danke den Russen, die uns Ärzte und andere Personen geschickt haben, die möglicherweise an der Desinfektion beteiligt sind“, sagte Fontana in einer Videokonferenz am Donnerstagabend.

Hilfe des Militärs in Krisenzeiten kein Novum

Über die Aufgaben der russischen medizinischen und pflegerischen Teams in Bergamo ist am Donnerstag Klarheit geschaffen worden. Ab dem heutigen Freitag werden sie Patienten in 65 Pensionen behandeln. Für jedes der acht Teams werden sieben bis neun Einrichtungen zugewiesen, in denen älteren Corona-Infizierten geholfen wird. Andere Spezialisten werden alle Gesundheitseinrichtungen und städtische Infrastruktur von Bergamo inklusive des öffentlichen Nahverkehrs mit der gelieferten Technik und Trockendampf desinfizieren.

Russland seinerseits wappnet sich auch buchstäblich für den Kampf gegen die Epidemie: Medizinische Kapazitäten der Armee inklusive Militärkrankenhäuser werden ebenfalls für die Aufnahme der Erkrankten vorbereitet – als Zusatz und nicht Ersatz der eigentlichen Kliniken. Nichts Außergewöhnliches, denn auch in Frankreich wird das Militär mobilisiert, wie etwa zur Operation „Widerstandskraft“ (Résilience). Die Armee soll demnach Aufgaben in den Bereichen Gesundheit und Logistik erfüllen und den Schutz systemrelevanter Einrichtungen gewährleisten. Auch die Bundeswehr soll nach „Spiegel“-Informationen spätestens ab dem 3. April 15.000 Soldaten zur Unterstützung der zivilen Behörden bereitstellen.

* Die Meinung des Autors muss nicht der der Redaktion entsprechen.

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