Sonntag, Mai 5, 2024
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„Immer mehr Menschen auf Wanderung“ – Studie über Zukunft der Migration

Wie viele Menschen wollen in ein anderes Land ziehen? Wie viele von ihnen machen sich tatsächlich auf den Weg? Was sind ihre Motive und wohin gehen sie? Diese und andere Fragen der globalen Migration versucht eine aktuelle Studie zu beantworten. Sie macht auf Ursachen ebenso wie auf künftige Entwicklungen aufmerksam.

Die Migrationsbewegungen werden weltweit zunehmen: „Immer mehr Menschen wandern immer mehr.“ Das hat Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärt. Nach seinen Angaben liegt das am Bevölkerungswachstum: „Es gibt einfach mehr Menschen auf der Erde als vor zehn oder 20 Jahren, heute 7,7 Milliarden.“

Mit Blick auf die Bundesrepublik sagte er: „Wir müssen uns auf der Basis der verfügbaren Erkenntnisse auf eine wachsende Zuwanderung einstellen.“ Dazu trage der wachsende Bedarf an Arbeitskräften aufgrund der Bevölkerungsentwicklung bei. Das gelte auch für die Europäische Union (EU) insgesamt.

Klingholz stellte gemeinsam mit Adrián Carrasco Heiermann die von der Stiftung Mercator geförderte Studie „Europa als Ziel? Die Zukunft der globalen Migration“ vor. Hauptmotiv derjenigen, die ihre Heimat verlassen, sei die Suche nach einem besseren Leben, vor allem nach Arbeit. Das führe beispielsweise in der EU dazu, dass die meisten Migranten innerhalb ihres Gebietes aus EU-Mitgliedsländern stammen.

Zahl der Migranten steigt

Für die Studie wurden weltweit die Wanderungsbewegungen zwischen den Ländern und Regionen untersucht. Die Faktoren, die Menschen veranlassen, sich auf den Weg an einen anderen Ort zu machen, seien unterschiedlich und würden oft spontan wirken, so der Instituts-Chef.

Es sei aber gesichert, dass die Zahl der Migranten aus allen Weltregionen innerhalb der EU steige, erklärte Klingholz. Die meisten von ihnen kämen aber aus einem EU-Mitgliedsland. „Das zeigt gerade für die EU, dass Migration etwas ziemlich Normales ist. Das zeigt aber auch, dass die Menschen, wenn sie wandern, eher über kurze Distanzen wandern.“

Der Leiter des Berlin-Institutes stellte beeindruckende Zahlen vor: So würden sich Umfragen zufolge etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung, also etwa 750 Millionen, mit dem Gedanken tragen, in ein anderes Land zu ziehen. Besonders hoch sei der entsprechende Anteil in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, aber auch in Lateinamerika und der Region Nordafrika/Naher Osten (Mena). Aber auch in der EU mit ihren rund 511 Millionen Einwohnern würden sich rund ein Fünftel der Menschen wünschen, auszuwandern.

Nur Wenige fern der Heimat

„Nur ein Bruchteil dieser Menschen trifft aber konkrete Vorbereitungen für eine Wanderung und noch weniger machen sich schlussendlich auf den Weg“, so Klingholz. Während nur noch rund 75 Millionen Menschen pro Jahr eine Auswanderung auf verschiedenen Wegen planen, würden sich aber nur noch rund 23 Millionen Menschen, etwa 0,5 Prozent der Weltbevölkerung, tatsächlich pro Jahr darauf konkret vorbereiten. Auf den Weg würden sich am Ende tatsächlich noch weniger machen.

2017 haben den Angaben zufolge etwa 258 Millionen Menschen außerhalb ihres Heimatlandes gelebt. Das macht Klingholz zufolge etwa 3,4 Prozent der Weltbevölkerung aus. Gegenwärtig wandern die meisten Menschen in die USA, nach Saudi-Arabien und nach Russland aus, heißt es in der Studie. Innerhalb der EU seien Deutschland, Frankreich und Großbritannien die gefragtesten Wanderungsziele.

Den Angaben zufolge zählt die EU zu den Regionen, in denen die meisten internationalen Migranten leben. Den Großteil stellen danach die EU-Bürger (2017: über 20 Millionen), gefolgt von jenen aus Nordafrika und dem Nahen Osten (2017: über neun Millionen) und jenen aus dem postsowjetischen Raum (2017: rund fünf Millionen).

Folgen von Bildung und Wohlstand

Zu den Faktoren für die Migration zählen laut Instituts-Mitarbeiter Heiermann vor allem die Bevölkerungsentwicklung (Demografie) und die Bildung sowie wirtschaftliche Faktoren. Konflikte und politische Faktoren rangieren laut der Studie noch hinter den Netzwerken der Diaspora auf Platz 5 der Liste der Ursachen. So erzeuge ein starkes Bevölkerungswachstum mehr Migration, weil sich dadurch die Konkurrenz um Nahrung, Wohnraum, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen, vor allem aber um Arbeitsplätze verschärfe. In der Regel würden eher die besser gebildeten Menschen zwischen 20 und 39 Jahren und seltener die Älteren oder Jüngeren auswandern.

Heiermann und Klingholz machten auf den paradoxen Umstand aufmerksam, dass höhere Bildung und wachsende Einkommen eher zu Migration führen. Menschen, die in Armut lebten, hätten nicht die notwendigen Mittel, sich auf Wanderung zu begeben. Das sei ihnen erst mit steigendem Einkommen möglich, denn „Wanderungen sind teuer“, so Heiermann.

„Mehr ökonomische Entwicklung bedeutet erst einmal mehr Migration“, benannte er als mittelfristigen Aspekt. Das würde der Forderung, Fluchtursachen durch Entwicklungshilfe zu bekämpfen, entgegenstehen.

Gleichzeitig verwiesen die beiden Demografen darauf, dass Bildung und wirtschaftliche Entwicklung langfristig helfen, das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Deshalb gebe es zu mehr Bildung und Wohlstand für die ärmeren Regionen keine Alternative, hieß es.

Afrika mit hohem Konflikt-Potenzial

Laut Klingholz ist in den nächsten Jahrzehnten damit zu rechnen, dass im globalen Maßstab die meisten Migranten aus der Region Afrikas unterhalb der Sahara stammen. Mit der dort am stärksten weiter wachsenden Bevölkerung nehme das Problem fehlender Arbeitsplätze für junge Menschen zu: „Entsprechend ist dort der Wunsch nach Migration am größten, denn dort ist der Jobmangel am stärksten verbreitet.“ Fehlende Perspektiven würden auch zu wachsendem Konflikt- und Unruhepotenzial führen.

„Aber die meisten Menschen in Subsahara-Afrika sind bis heute schlicht zu arm, um zu wandern. Wenn sie wandern, dann nur regional, im eigenen Land, vom Land in die Stadt, oder über die Ländergrenzen hinweg häufig in die Nachbarländer.“ Zwei Drittel der 27 Millionen Afrikaner aus der Subsahara-Region, die im Ausland leben, leben laut Klingholz in einem anderen afrikanischen Staat.

Weniger als ein Prozent der in Europa lebenden Menschen seien in Afrika geboren, widersprach er verbreiteten Behauptungen. Deren Zahl wachse zwar, 2017 waren es vier Millionen Menschen, aber das geschehe nur langsam. Anders sehe es bei der Mena-Region, also Nordafrika und dem Nahen Osten, aus. „Das ist die politisch instabilste und konfliktreichste Region der Welt, mit einem großen Einfluss auf Wanderungen und Fluchtbewegungen. In der Region leben zwar nur sieben Prozent der Weltbevölkerung, aber 14 Prozent aller Migranten.“

Suche nach Arbeit

Der Klimawandel ist laut Klingholz neben Konflikt einer der wichtigsten Faktoren für die Migration in der Zukunft. So sei bereits heute der Wassermangel im Nahen Osten ein wichtiger Grund für zunehmende Konflikte. „Bevölkerungswachstum kombiniert mit Klimawandel wird die Situation dort erschweren und das Migrationspotenzial dort erhöhen.“

Der Studie zufolge gibt es im postsowjetischen Raum „ein relativ konstantes, aber konjunkturabhängiges System der Arbeitsmigration“. Das sei vor allem durch temporäre Wanderungen aus zentral- und westasiatischen Ländern nach Russland geprägt, dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Land der Region. „Einige Länder wie Tadschikistan hängen existentiell von den Rücküberweisungen ihrer Landsleute aus Russland oder anderen rohstoffreichen Ländern ab.“

Nur wenn sich die politische und wirtschaftliche Entwicklung im postsowjetischen Raum verschlechtere, würde die EU als Ziel für Migranten aus der Region attraktiver, so die Studie. Das gelte vor allem für Länder, die sich politisch eher nach der EU als nach Russland ausrichten, also für die Ukraine, Georgien oder die Republik Moldau. Auch China könne zunehmend ein Migrationsziel für Menschen aus Zentralasien werden.

Mehr Zuwanderung notwendig

Die Migration innerhalb der EU bezeichnete Klingholz als nützlich, weil die Menschen dahin gehen würden. „Das ist für Europa ein Nullsummenspiel. Das ist gut und sinnvoll, wenn sich EU-Bürger dorthin bewegen, wo sie bessere Beschäftigungsmöglichkeiten finden und sich wirtschaftlich verdient machen können. Aber demografisch gesehen fehlen sie dann in ihrer Heimat.“

Aufgrund der sinkenden Bevölkerungszahlen und der steigenden Lebensdauer würden aber auf Dauer immer mehr Arbeitskräfte in der EU fehlen. Deshalb sei in Zukunft weitere Zuwanderung notwendig, so Klingholz, der von einem Bedarf von etwa 300.000 Fachkräften jährlich ausgeht. Da aber das „Migrationsangebot“ die Nachfrage danach übersteige, müsse die Politik die Prozesse steuern, so der Instituts-Chef.

Die Zuwanderung zu regulieren sei keine einfache politische Aufgabe, was für die Innen- wie die Außenpolitik gelte. Es laufe derzeit auf eine Mischung aus Abwehr und Anwerbung hinaus, erklärte Klingholz. Das sei aber „keine allseits befriedigende Lösung“.

Wettbewerb um Fachkräfte erwartet

Er rechnet infolge der demografischen Entwicklung mit einem „wachsenden internationalen Wettbewerb um Fachkräfte, um die attraktiven Zuwanderer“. Das gelte für alle Wirtschaftsbereiche und alle Qualifikationsstufen. Die nationale wie die europäische Politik müsse sich ebenso wie die Bevölkerung auf mehr Zuwanderung vorbereiten. Migration müsse „mit klaren Regeln auf geordnete Bahnen“ gelenkt werden.

Wir brauchen diese Menschen aus anderen Ländern, aus anderen Weltregionen nicht nur als temporäre Arbeitskräfte, sondern auch als dauerhafte Mitbürger.“ Dazu sei bessere Integration notwendig, um „gemeinsame Wertevorstellungen mit diesen Menschen“ zu entwickeln, so Klingholz.

Quelle!:

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