Donnerstag, Mai 2, 2024
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IS-Kämpfern soll Pass entzogen werden: „Instrumentalisierung der Staatsbürgerschaft“?

Die Reform der Staatbürgerschaft soll Terrorkämpfer, Polygamie und sogenannte Identitätstäuscher in den Blick nehmen. Kurz vor der Sommerpause will die GroKo die heftig umstrittenen Gesetzesänderungen durch das Parlament bringen. Teile der Opposition lehnen diese ab. Auch Sachverständige warnen im Innenausschuss vor zahlreichen Mängeln.

Der Entwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes stößt auf Kritik. Zum Auftakt einer Anhörung des Innenausschusses am Montag protestierten die Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) und Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) gegen das Vorgehen, dass sich der Ausschuss bereits am Dienstag nach der Anhörung abschließend mit dem Gesetzentwurf befassen solle und am Donnerstag im Parlament eingebracht wird. Beide Politikerinnen sahen keine Eilbedürftigkeit. „Wir als Linke lehnen diese Gesetzesänderung der Großen Koalition ab. Es geht hier vor allem um eine ganze Reihe von Verschärfungen, die kurz vor der Sommerpause durchgepeitscht werden sollen“, bemängelt die migrationspolitische Sprecherin der Linkfraktion, Gökay Akbulut, im Sputnik-Interview.

„Instrumentalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“

Konkret kritisiert Akbulut unter anderem das Regierungsvorhaben, Deutschen mit zwei Pässen die Staatsangehörigkeit zu entziehen, die sich einer „Terrororganisationen“ im Ausland angeschlossen haben. „Wie soll das nachgewiesen werden?“, fragt die Abgeordnete. Zum einen müsse ein entsprechender Nachweis erbracht werden. Zum anderen werde der Begriff „Terror“ in das Staatsangehörigkeitsrecht aufgenommen.  Jedoch sei dies ein politischer Begriff, der von der Auslegung abhänge, welche Organisation als terroristisch oder nicht als terroristisch eingestuft werde. Somit sei das eine „reine Instrumentalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“. „Der Großen Koalition geht es hier wieder darum, den rechten Kurs zu bedienen“, so Akbulut.

„Grundgesetzwidrigen Entziehung der Staatsangehörigkeit“

Auch der Sachverständige vom Deutschen Anwaltsverein, Berthold Münch, lehnte in der öffentlichen Anhörung den Gesetzentwurf ab. Als Begründung brachte der Rechtsanwalt ein Beispiel: „Ein junger Mann mit russischer und deutscher Angehörigkeit stößt zu einer paramilitärischen Separatistengruppe in der Ukraine, die dort gegen das ukrainische Militär kämpft. Er hilft in der Versorgung der Truppe, in dem er Essen kocht.“

Nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs sei der Fall auf den ersten Blick nicht eine konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland. Anders sei es, wenn man sich die Begründung vor Augen führe. So heißt es einerseits in der Vorlage: „Für die Verlustfolge reicht […] der Beitritt zu einer Terrormiliz allein nicht aus […]“. Andererseits findet sich dort auch eine Passage, die das Gegenteil darstellt: „Bei der zugrunde zu legenden statusrechtlichen Betrachtungsweise kommt es nicht auf die Schwere der Beteiligung oder die Funktion innerhalb der gewaltsamen Auseinandersetzung an. Notwendig ist daher nicht, dass der Betreffende selbst (Waffen-)Gewalt ausübt. Ausreichend ist vielmehr jeder aktive Beitrag im Rahmen einer gewaltsamen Auseinandersetzung.“ Damit sei Münchs Einschätzung zufolge „die Schwelle zu der grundgesetzwidrigen Entziehung der Staatsangehörigkeit mangels Vorhersehbarkeit überschritten“.

„Leitkultur-Paragraph“?

Prof. Dr. Tarik Tabbara von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin kritisierte, wie Rechtsanwalt Münch vor ihm, die vorgeschlagenen Änderungen zum Staatsangehörigkeitsrecht in Bezug auf die Vielehe oder Polygamie, die er als „Leitkultur-Paragraph“ bezeichnete. Insbesondere bemängelte er, dass die „Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse“ als neue Voraussetzung für einen Anspruch auf Einbürgerung eingeführt werden solle. Dies würde nach seiner Ansicht „geradezu einen restaurativen Rollback“ im Staatsangehörigkeitsrecht bewirken.

Auch Charlotte Hinsen, Rechtsexpertin beim Ministerium für Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, bedauerte, dass im Gesetzentwurf nicht, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, der Tatbestand der Mehrehe konkret benannt, sondern lediglich auf die „Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse“ abgehoben werde.

Sie begrüßte zwar die grundsätzliche Intention des Gesetzesvorhabens insbesondere aus sicherheitspolitischen Gründen und machte dringenden Handlungsbedarf aus. Doch auch sie warf die Frage auf, nach einer eindeutigen Abgrenzung zwischen Terrormiliz und Befreiungsbewegung.

Geringe Zahl der Betroffenen

Der Sachverständige Prof. Dr. Daniel Thym von Universität Konstanz verwies darauf, dass von den angedachten Gesetzesänderungen nur wenige Hundert von den vielen Millionen deutschen Staatsangehörigen betroffen seien. Er mahnte eine notwendige Differenzierung im öffentlichen Diskurs an: Der Diskurs über die Sicherheitsgefahren zurückkehrender Islamisten sei zwar legitim. Dieser dürfe nicht dazu führen, dass alle Einwanderer in einen Topf geworfen würden und Migration vorrangig als Sicherheitsproblem präsentiert werde, warnte der Wissenschaftler.

Auf die geringe Zahl der aktuell für den Verlust der Staatsbürgerschaft in Betracht kommenden Personen ging auch der ehemalige Richter Prof. Dr. Winfried Kluth ein. Dies sei aber kein Grund, die „Erforderlichkeit einer Gesetzgebung“ zu verneinen. So spreche die weltweite Entwicklung des Terrors und der Terrormilizen dafür, dass jederzeit mit einer neuen Dynamik gerechnet werden müsse und dass auch Deutsche für entsprechende Kampfeinsätze rekrutiert würden. Unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzentwurf müssten konkretisiert werden, forderte der Professor für Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

„Hohe Hürden bei Einbürgerung“

In Bezug auf Einwanderungs- und Migrationspolitik sei das Gesetzesvorhaben der GroKo ein falsches Signal, so die Linken-Politikerin Akbulut. „Die Koalitionäre versuchen, mit diesen Migrationspaketen und den ganzen Verschärfungen kurz vor der Sommerpause ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen – und das auf Kosten von Flüchtlingen und Migranten“, urteilt die Politikerin. Sie erinnert zudem an die ohnehin „sehr hohen Hürden“ für die Einbürgerung in Deutschland im OECD-Vergleich: „Acht Jahren gewöhnlicher und rechtmäßiger Aufenthalt, eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts, ausreichende Deutschkenntnisse, keine Verurteilung wegen einer Straftat“, sind nur vier der Voraussetzungen für eine Einbürgerung in der Bundesrepublik.

Am Donnerstag soll der Bundestag über den Gesetzentwurf der Bundesregierung abschließend beraten.

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