Montag, Mai 6, 2024
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Israel-Kritik gleich Antisemitismus? – Neue Sprachregelung an Unis sorgt für Unmut

Was ist Antisemitismus und wie geht man damit um? Nach dem Angriff auf eine Synagoge in Halle hat die Hochschulrektorenkonferenz eine neue Sprachregelung für deutsche Universitäten rausgegeben. Diese Antisemitismus-Definition sorgt für viel Kritik bei Akademikern – auch bei jüdischen.

Anderthalb Monate nach der Terrorattacke in Halle/Saale hatte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in einer Mitgliederversammlung beschlossen, angesichts der sich häufenden antisemitischen Vorfälle in Deutschland die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu übernehmen.

„Die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), welche auch durch die Bundesregierung Anerkennung findet, bietet eine klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass und ist damit ein wichtiges Werkzeug bei seiner Bekämpfung. Dabei wird auch der israelbezogene Antisemitismus berücksichtigt. Die Mitgliedshochschulen der Hochschulrektorenkonferenz begrüßen diese Antisemitismusdefinition ausdrücklich und möchten sie an allen Hochschulstandorten etabliert sehen“, heißt es im Entschließungsschreiben vom 19. November 2019.

Ende September hatte die Bundesregierung folgende Definition von Antisemitismus angenommen:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

Georg Meggle, emeritierter Professor am Philosophischen Institut der Universität Leipzig, sieht in der Entschließung der HRK eine Bevormundung und ein Überschreiten ihrer Kompetenzen. In einem an HRK-Präsident Prof. Dr. Peter-André Alt adressierten Brief schreibt er am 28. November 2019:

„Gehört es wirklich zu den Aufgaben der HRK, uns – dem Hochschulvolk – vorzuschreiben, mit welcher Definition von Antisemitismus wir über diesen nachdenken – und entsprechend handeln – sollen? Was sagen die juristischen Ratgeber der HRK zu dieser Frage? Ich vermute, dass die HRK in diesem Punkt ihre Aufgaben-Kompetenz überschritten hat – und so möchte ich Sie hiermit sehr herzlich darum bitten, dank Ihres privilegierten Zugangs zu unseren Jura-Kollegen diese um eine öffentliche Klärung dieser Frage zu ersuchen“, so der Akademiker.

Die Definition ist aus seiner Sicht sowohl zu eng als auch zu weit, weder „klar“ noch zur Bekämpfung „von allen Formen des Antisemitismus“ verwendbar. Vielmehr sei sie bestenfalls als mangelhaft zu bewerten. Zudem stehe die Sprachregelung im Widerspruch zum Grundsatz der Hochschulen, wonach sie Zentren der demokratischen Kultur, Orte des Dialogs und Stätten der Vielfalt sein wollen.

„Denn, wie der bisherige öffentliche Einsatz der fraglichen ‚Arbeitsdefinition‘ als Instrument zur Rechtfertigung von Vortrags- und Diskussionsverboten in öffentlichen Räumen zeigt, ist deren Hauptzweck eben gerade nicht die Bekämpfung einer jeden Form von Antisemitismus, sondern primär die Delegitimierung jeglicher etwas grundsätzlicheren (insbesondere also an den Menschenrechten und am Völkerrecht orientierten) Kritik an der Besatzungspolitik Israels.“

Zum Schluss appelliert Georg Meggle an HRK-Präsident Alt, die von der Mitgliederversammlung beschlossene Sprachregelung für die Universitäten „dezidiert nicht zur Norm“ zu machen.

Mit äußerstem Befremden habe auch er die Entschließung zur Kenntnis genommen, schreibt Norman Paech, Jurist und emeritierter Professor für Politikwissenschaft und für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg, in einem ebenfalls an HRK-Präsident Alt gerichteten Brief. Paech stört sich an den aus seiner Sicht nichtssagenden und unklaren Formulierungen und meint, die Definition sei alles andere als eine „klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass“. Im Zentrum seiner Kritik ist jedoch der letzte Teil der Definition, der auch den Staat Israel einschließt.

„Die Identifizierung des Staates Israel mit dem Judentum leugnet nicht nur die Realität, dass über 20 % des Staates nichtjüdisch sind, sondern auch die Tatsache, dass die ‚Angriffe‘, d.h. die Kritik, gar nicht dem Staat, sondern seiner Regierung gelten.“

Es gehe um die Illegalisierung der Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und ihre Tabuisierung in öffentlichen Auftritten und Veranstaltungen.

Der jüdisch-deutsche Psychologie-Professor, Buchautor und Gründer der Bündnisses für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern, Rolf Verleger, übt ebenfalls deutliche Kritik am Vorstoß der HRK. In Vorträgen setze er sich für ein Judentum der Nächstenliebe statt der Nationalismus ein und für die Lösung des Konflikts, der damit beginnen solle, dass die israelische Regierung als Vertreterin der israelischen Juden die Palästinenser für vergangenes und fortdauerndes Unrecht um Verzeihung bittet. Regelmäßig würden „irregeleitete junge Menschen“ gegen seine Vorträge protestieren und ihm Antisemitismus vorwerfen. „Leben wir in einer Demokratie oder nicht? Gilt die Meinungsfreiheit auch für scharfe Kritiker der israelischen Politik oder nicht“, fragt Verleger.

Bisher habe er sich in Deutschland wohl gefühlt, so der Sohn eines KZ-Überlebenden.

„Dieses Gefühl ist durch die politische Ächtung von Eintreten für palästinensische Menschenrechte in den letzten Jahren erschüttert worden. Und hier kommt nun die HRK und gibt mit Ihrer Unterstützung der IHRA-‚Definition‘ von Antisemitismus diesen undemokratischen Tendenzen an den Universitäten Recht und leistet ihnen weiteren Vorschub.“

Verleger glaubt nicht, dass sein Brief oder die Briefe anderer Akademiker an die HRK dazu führen werden, dass die Sprachregelung wieder zurückgenommen wird – viel zu groß sei die Angst, als antisemitisch abgestempelt zu werden.

Quelle!:

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