Samstag, April 27, 2024
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Jürgen Elsässer: Stasi 2.0 – Facebooks Werk und Merkels Beitrag

Der neue Totalitarismus kommt auf leisen Sohlen: Big Brother trägt weder Uniform noch Knobelbecher, sondern lockt uns mit Smileys und Likes. Der digitale Zugriff erfolgt aber auf Kommando der analogen Herrschaft: Merkel gibt Zuckerberg die Sporen.

 Von Jürgen Elsässer
 Ein Besuch im Leipziger Stasi-Museum lohnt sich. In der «Runden Ecke» am Dittrichring 24, wo 40 Jahre lang die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit residiert hat, sind die ehemaligen Büros von Erich Mielkes Horch-und-Guck-Offizieren immer noch im gleichen Zustand wie damals – Linoleumfussböden, vergilbte Tapeten, Scherengitter an den Türen und Fenstern, Kabelkanäle und rostige Heizkörper. Einige Zimmer haben kein Tageslicht, die Beamten saßen so eng wie in einer Legebatterie. Staatsfeindliche Elemente wurden in dicken Karteikarten erfasst, die mit klobigen Schreibmaschinen beschriftet wurden. Man kann die Perücken und die falschen Schnurrbärte anfassen, die sich die Spitzel angeklebt haben – ob die mal zwischendrin vom Schmodder gereinigt und sterilisiert wurden? Man weiß ja, dass die Herren des Morgengrauens zur Informationsbeschaffung Mülltonnen durchwühlt und Geruchsproben aus schmutziger Wäsche genommen haben, an denen dann die Spionagehunde schnüffeln durften. Das Ganze ist abstoßend und gruselig wie in einer mittelalterlichen Folterkammer und gehört unverkennbar derselben Menschheitsepoche an: dem politischen Mesozoikum, das von Schurken aus Fleisch und Blut beherrscht wurde.

Diktatur der Freundlichkeit

Die Schöne Neue Welt der Überwachung sieht ganz anders aus. Was Heimkehrer aus dem Silicon Valley berichten, die zum Beispiel in der Google-Zentrale gearbeitet haben, wurde in der Verfilmung der Dystopie The Circle eins zu eins umgesetzt: lichtdurchflutete Räume, flughafenhallengroße Lofts mit Grünzeug zwischen den Computerbeeten, aufgeknöpfte Hemden und Schlabberpullis, aufgeregtes Duzen in der bei allem Stress doch ewig lächelnden U30-Belegschaft.

Der Mega-Konzern, den Autor David Eggers beschreibt, ist aus einer Fusion der ohnedies schon riesengroßen Konzerne Google, Facebook, Amazon und Co. entstanden. In Roman und Film ist eine Entwicklung vollendet, die heute bereits weit vorangeschritten ist: Die verschiedenen Passwörter für einzelne Lebensbereiche sind abgeschafft – mit dem zentralen Log-in vom Circle erhält man Zugang zu Netzwerken, zum Banking, zum Renten- und Gesundheitssystem. Der nächste Schritt wird vorbereitet: Jeder muss eine Minikamera tragen, die rund um die Uhr das eigene Leben sofort online stellt. Jeder soll also jeden kontrollieren können, damit keiner sich mehr traut, etwas Böses zu tun, und sei es im Bad oder im Schlafzimmer. Zukunftsmusik? Eric Schmidt, damals CEO von Google, sagte bereits 2010: «Wir wissen, wo Du bist. Wir wissen, wo Du warst. Wir können mehr oder weniger wissen, was Du gerade denkst.» Als er einmal im US-Fernsehen nach all den gesammelten User-Daten gefragt wurde, antwortete Schmidt: «Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun.»

Schöne Neue Welt: Der Circle-Campus ist die Machtzentrale in der Dystopie von David Eggers. Anders als etwa das Ozeanien in George Orwells «1984» gibt sich die Welt der totalen Kontrolle jedoch den Anstrich weitläufigen Freiraumes. Foto: The Circle, Screenshot

In der Welt von Google und Facebook ist die Überwachung nicht mehr erkennbar, denn sie wird durch Selbstentblößung überlagert: In George Orwells Roman 1984 stellt die Einheitspartei jedem einen Monitor in die Wohnung, über den er ausspioniert wird. Heutzutage geben wir unsere intimsten Daten freiwillig preis, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass der Algorithmus sie gierig aufsaugt und dem Regime zur Verfügung stellt.

Analog kommandiert Digital

 In 1984 legitimiert sich die Diktatur mit Leitsprüchen: «Krieg ist Frieden», «Freiheit ist Sklaverei» und «Unwissenheit ist Stärke» sind für uns Heutige leicht als Manipulation und Lüge einer Diktatur durchschaubar. Die Circle-Ideologie gibt sich dagegen demokratisch und egalitär: «Wissen ist gut, alles zu wissen ist besser.» Oder: «Teilen ist heilen.» Oder: «Geheimnisse sind Lügen.» Fast könnte man vergessen, dass dies der Praxis des Neusprechs vergleichbar ist: Bestimmte Wörter sollen ausgemerzt werden, damit die damit bezeichneten Zusammenhänge nicht mehr gedanklich erfassbar werden. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von «Hass» werden derzeit Begriffe aus der Alltagssprache gesäubert, die der Schaffung eines uniformen Globalmenschen ohne Herkunft und Geschlecht entgegenstehen: Wenn einer auf Facebook über «Neger» oder das «deutsche Volk» oder «Asylanten» schreibt, blinken in der Überwachungszentrale der Kahane-Stiftung die Lämpchen. Es darf nämlich diese Unterscheidung nicht mehr geben, da der Planet allen gehört, und diejenigen, «die schon länger hier leben», keine Sonderrechte auf das von ihnen und ihren Vätern erarbeitete haben. «Teilen ist heilen» eben…
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