Samstag, April 27, 2024
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Kardinaler Sündenfall: Wie Hollywood den Vatikan fast in den Ruin stürzte

Ein Finanzskandal erschüttert den Vatikan. Hochrangige Personen sind in millionenschwere Manipulationen verwickelt. Zahlreiche Affären führten zu Haushaltslöchern, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollten. Über die Intrigen und das weltweit wohl undurchschaubarste Finanzsystem des Vatikans erfahren Sie mehr in diesem Artikel.

„It’s a sad, sad situation“ – die Zeilen aus dem wohl bekanntesten Song von Elton John wurden zum Leitmotiv des Films über sein Leben. „Rocketman“ ist zwar erst vor kurzem erschienen, sorgte jedoch bereits für großes Aufsehen, darunter wegen einer auffallenden Sexszene zweier Männer.

Die berühmten Zeilen wurden zu einer finsteren Prophezeiung für den Heiligen Stuhl. Hochgestellte Vatikan-Vertreter griffen zu Manipulationen, die das Seelenheil der katholischen Welt aufs Spiel stellen. Pikant an der Sache ist, dass ausgerechnet kirchliche 4,5 Millionen Dollar in die Produktion von zwei Hollywood-Filmen flossen, die nach ihrem Kinostart schwache Ergebnisse zeigten – „Men in Black: International“ und …„Rocketman“.

Geldgeber aus Hollywood

An dieser Stelle erinnert man sich gern an die Worte von Papst Franziskus: „Wer bin ich, um über Schwule zu richten?“ Denn damals, im Sommer 2013, bedankte sich Elton John als einer der ersten bei dem frisch ernannten Papst für die Unterstützung von Homosexuellen. Sechs Jahre später sagte der Vatikan, ohne es selbst zu ahnen, „Danke“ an den Sänger.

In den Film über Elton John investierte die Stiftung Centurion Global. Diese Stiftung unterstützte auch zahlreiche Startup- und Energieprojekte in Europa, die alle scheiterten. Dennoch bekamen Top-Manager der Firma millionenschwere Honorare. Davon profitierte auch die Leitung von zwei Banken, die zuvor in eine Geldwäsche-Affäre in Venezuela geraten waren.

Die Zentrale von Centurion Global befindet sich in Malta, die Regierung des Unternehmens ist eng mit der Regierung des Inselstaates verbunden, deren Mitglieder in den vergangenen Wochen de facto belagert werden. Tausende Protestierende fordern den Rücktritt von Premier Joseph Muscatt nach der Veröffentlichung von Informationen über die Untersuchung des Mordes an der Journalistin Daphne Galicia 2017. Es stellte sich heraus, dass dieser Mord von einflussreichen Geschäftsleuten in Auftrag gegeben worden war, die sich fürchteten, dass etliche Korruptionsfälle aufgedeckt werden. Im Ergebnis stehen alle Großunternehmen Maltas unter Korruptionsverdacht, darunter die mit dem Vatikan verbundene Organisation.

Nun versuchen die EU-Rechtsschutzorgane, die Wege nachzuvollziehen, über die die vatikanischen Millionen flossen.

Alles begann im Oktober mit Durchsuchungen im Staatssekretariat des Vatikans (Außenministerium des Vatikans), das Centurion Global 78 Millionen Dollar übergeben hatte.

Löcher im Haushalt

Das Staatssekretariat kaufte vor vier Jahren für 25 Millionen Euro (laut Medien eine eindeutig überhöhte Summe) ein Krankenhaus in Italien. Später stellte sich heraus, dass das Geld aus Spenden von Gläubigen stammte. Da musste selbst Papst Franziskus das Wort ergreifen: „Und was sollte ich mit diesem Geld (den Spenden) machen? In einen Kasten legen? Nein, das wäre eine schlechte Investition“, sagte er im November.

Als Beispiel erwähnte der Papst die Stiftung „Denari Sancti Petri“. Nach Angaben auf der offiziellen Webseite des Vatikans sammelt diese Organisation jedes Jahr Spenden für „Bedürftige und in Schwierigkeiten steckende Kirchengemeinschaften“. Doch ein paar Wochen später hatte sich auch diese Stiftung blamiert – die ohnehin traurige Finanzsituation „is getting more and more absurd“, wie es in Elton Johns Song heißt.

US-Medien fanden heraus, dass die Stiftung für Armutshilfe nur zehn Prozent der Spenden ausgibt. Der größte Teil des gesammelten Geldes – rund 55 Millionen Dollar – fließt zum Stopfen der Haushaltslöcher im Vatikan. Und die entstehen unter anderem wegen zweifelhafter Investitionen des Staatssekretariats.

Weltpremiere von „Rocketman“ bei den internationalen Filmfestspielen in Cannes (Archivbild)
© SPUTNIK / JEKATERINA TSCHESSNOKOWA
Weltpremiere von „Rocketman“ bei den internationalen Filmfestspielen in Cannes (Archivbild)

Wie viel Geld verlorenging, steht nicht fest. Denn der Vatikan verheimlicht die Zahlen seiner Bilanz. Journalisten meinen, dass das Haushaltsdefizit des kleinsten Staates der Welt sich auf rund 70 Millionen Euro bei gesamten administrativen Ausgaben in Höhe von 300 Millionen Euro beläuft.

Vertreter einiger großer katholischer Wohltätigkeitsorganisationen warfen den Kirchenbehörden vor, dieses Problem unter den Teppich zu kehren. Denn kurz nach dem Amtsantritt hatte Papst Franziskus erklärt, dass er Kurs auf die „finanzielle Genesung und Transparenz“ der Kirche nehmen werde. Ein Jahr später wurden aber erstmals in der Geschichte Angaben über die Bank des Vatikans, die undurchsichtigste Finanzstruktur der Welt, offengelegt. Damals wurde bekannt, dass die Bank allein innerhalb von 12 Monaten ihren Gewinn um das 26-fache erhöhte!

Die Finanzreform des Vatikans wurde vom australischen Kardinal George Pell geleitet. Er führte ein neues System der Buchhaltung ein und rief die Financial Information Authority AIF ins Leben, die zweifelhafte Finanzoperationen überprüft. Wegen seines Eifers und seiner Kompromisslosigkeit wurde er „Kardinal Rambo“ genannt.

Zweifelhaftes Urteil

Kardinal Pell bekam die Kontrolle nahezu über die gesamten kirchlichen Finanzmittel und avancierte zur zweitwichtigsten Person des Vatikans. Er wurde sogar als Nachfolger von Franziskus gehandelt. Doch im Sommer 2017 lief alles schief…

In Australien begann eine massive Untersuchung von Pädophilie-Fällen unter Beteiligung von Priestern – mehr als 4500 Opfer wurden dabei ermittelt. Doch niemand erwartete, dass George Pell zum Hauptangeklagten wird. Allerdings machten Menschenrechtler darauf aufmerksam, dass viele Episoden des Missbrauches frei erfunden sind.

Doch das hinderte das Oberste Gericht Australiens nicht daran, den Kardinal zu sechs Jahren Haft zu verurteilen. Das Urteil wurde hinter geschlossenen Türen verkündet und gelangte erst drei Monate später an die Öffentlichkeit. Bemerkenswert ist, dass der Vatikan dem Kardinal nicht seinen Titel entzog – ihm wurde nur zeitweilig verboten, seinen Dienst zu verrichten.

„Der Heilige Stuhl nimmt den Beschluss des Obersten Gerichts zur Kenntnis, wobei berücksichtigt wird, dass Kardinal Pell immer behauptet hat, dass er unschuldig ist.“ Mehr als diese kurzen Satz hatte der Vatikan dazu nicht zu sagen.

Im Apostolischen Palast wurden die Vorwürfe gegen den Kardinal vielleicht eben damit in Zusammenhang gebracht, dass er einflussreiche vatikanische Finanzierer verärgert haben könnte.

„In der katholischen Kirche zweifeln sehr viele an der Gerechtigkeit des Urteils gegen Pell. Laut einigen Versionen setzte die Ermittlung die Betroffenen unter Druck, und die Massenmedien sorgten für großes Aufsehen in dieser Geschichte – die Argumente der Skeptiker sind ziemlich ernsthaft“, sagt der Religionsforscher und Exekutivsekretär der katholischen Enzyklopädie, Alexej Judin.

Spiel ohne Regeln

Der jetzige Finanzskandal im Vatikan ist nicht der erste in den vergangenen 15 Jahren. Doch es sind sehr viele Akteure beteiligt. An Manipulationen nahmen sogar Leiter des von Pell eingerichteten AIF-Gremiums teil, die in Zusammenarbeit mit EU-Finanzorganen Verstöße hätte verhindern müssen.

„Der Vatikan hatte eine eigene Buchhaltung, er wollte sich nicht den neuen europäischen Standards anpassen. Der Heilige Stuhl meisterte mehr oder weniger die Kontrolle seines globalen Bankensystems. Und nun (nach der 2014 begonnenen Finanzreform und Entstehung der AIF – Anm. d. Red.) wurde ein extrem starkes Finanzdiktat von außen aufgestellt. Darin besteht das Problem“, so Judin.

Gerade dieser Widerspruch zwischen den jahrhundertealten Standards des Vatikans und den Anforderungen der säkularen Gesetzgebung führte zu harten Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen in der katholischen Kirche. Bislang gebe es keine allgemeinen Spielregeln, so der Experte.

„Der Vatikan versucht, nach den alten Regeln zu spielen, und ist auf eine große Frage gestoßen – wie soll die eigene Autonomie beibehalten werden, darunter die finanzielle?“, schlussfolgert der Experte.

Quelle!:

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