Freitag, Mai 3, 2024
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Kissinger-Bashing: US-Eliten nehmen Kurs auf Bürgerkrieg

Dass ein Staatsmann wie Henry Kissinger – das Urgestein der US-Außenpolitik – in einen Skandal hineingezogen würde, war bis vor kurzem völlig undenkbar. Aber so ist es gekommen. Der Vordenker und Altgardist amerikanischer Weltpolitik wird in den Medien gebasht. Das bedeutet vor allem, dass es schlimm steht um den inneren Frieden in den USA.

Zu allen Zeiten gab es Persönlichkeiten, die über alle Zweifel erhaben waren: die Stammesältesten, die Gründerväter, die weisen Männer. Sie durften nicht einmal kritisiert, geschweige denn gehetzt werden. Selbst in schlimmsten Clankämpfen wurden sie nicht angerührt.

Doch die Ära der Unantastbaren scheint zu Ende gegangen zu sein. Die Agentur Bloomberg hat einen skandalösen Ermittlungsbericht veröffentlicht, in dem im Grunde behauptet wird, ausgerechnet der graue Kardinal Kissinger sei der „Angelpunkt“ gewesen, um den sich alle Beteiligten der „russischen Verschwörung“ gedreht hätten: Donald Trump, dessen Schwiegersohn Jared Kushner, der russische Botschafter Kissljak und sogar die in den USA verhaftete Lobbyistin Butina.

Sollte Sonderermittler Mueller, dessen Team „Trumps Russland-Verschwörung“ untersucht, nach Bloombergs Einwurf sich auch für Kissinger interessieren, würde das bedeuten, dass in den USA jetzt alles möglich ist – bis hin zum gewaltsamen Konflikt zwischen den Parteigängern des Establishments und den Anhängern des US-Präsidenten.Es ist wichtig zu wissen, dass Kissinger eine Persönlichkeit ist, die (in der Theorie zumindest) stets über den Dingen stehen muss. Denn wer an politischen Grabenkämpfen beteiligt ist, sieht ja eigentlich ein, dass es Kräfte geben muss, die es sich erlauben können, auf die neuesten Stimmungen, Trends und Umfrageergebnisse zu pfeifen, um die Freiheit zu haben, für Jahrzehnte im Voraus zu denken.

Dank dieser fein justierten Konfiguration der US-Eliten konnte das ewig zerstrittene Tandem Kissinger-Brzezinski beispielsweise die China-Politik der Vereinigten Staaten über Jahrzehnte hinweg – von Nixon bis Obama – im Gleichgewicht halten. Amerikanische Präsidenten kommen und gehen, nur die US-Politik bleibt unverändert, weil sie „von Menschen mit Aktentaschen und dunklen Anzügen“ bestimmt werde, wie Wladimir Putin einst westlichen Journalisten erklärte.

Wenn die allerseits anerkannten Autoritäten auf einmal zum medialen Abschuss freigegeben werden, dann muss man Schlimmes ahnen. Bloombergs Bericht stützt sich auf einige ernste Anschuldigungen gegen Kissinger, der sich ohnehin bei vielen in den USA unbeliebt gemacht hat: durch Treffen mit Putin und Trump sowie durch vermeintliche Versuche, mithilfe des US-Präsidenten eine Anti-China-Allianz mit russischer Beteiligung zu schmieden.

„Kushners Verhältnis zu der Gruppe, die mit Russland verbunden ist, hat mit einem Mittagessen mit Kissinger begonnen“, schreiben die US-Journalisten. Nach heutigen Maßstäben ist das allein Anlass genug für eine mediale Schelte, wenn nicht gar für einen Besuch von FBI.

Unter Berufung auf eigene Informationen berichtet Bloomberg, dass Trumps Schwiegersohn Kushner im März 2016 vom „Center for the National Interest“ (CNI) – einem Thinktank, der sich für eine konstruktive Beziehung zu Russland eingesetzt – zu einem Dinner eingeladen worden sei.

Bei dem Treffen im Time Warner Center in Manhattan soll Kushner dem großen Kissinger vorgestellt worden sein, der als Ehrenvorsitzender der besagten Denkfabrik an dem noblen Event teilnahm. Außerdem lernte Trumps Schwiegersohn dort den CNI-Chef Dimitri Simes kennen, mit dem er später am außenpolitischen Programm des Präsidentschaftskandidaten Trump arbeiten wird.

Was diesem Thinktank, für den sich Kissinger als Ehrenvorsitzender engagiert, nun angelastet wird, ist eine Verbindung zur eingangs erwähnten Maria Butina. Sie wird beschuldigt, als Agentin versucht zu haben, wichtige amerikanische Lobbyorganisationen zu infiltrieren.Mehr als das: Dmitri Simes hatte auch anderen Präsidentschaftskandidaten einen Auftritt im CNI angeboten. Doch der Einladung folgte keiner von ihnen, offenbar aus Angst, sich mit einer Organisation sehen zu lassen, die Bloomberg als prorussisch bezeichnet.

Als besonders erschwerend werten US-Journalisten den Umstand, dass Kissingers Thinktank einen Auftritt von Trump veranstaltet habe, in dessen Rahmen Kushner den russischen US-Botschafter Kissljak kennengelernt und ihn angeblich darum gebeten habe, die russische Botschaft als ein inoffizielles – das heißt, von US-Geheimdiensten nicht kontrolliertes – Bindeglied zwischen dem Kreml und dem Trump-Team einzusetzen.

Besonders pikant ist nur: Wenn man schon Kissinger vorwirft, eine Plattform für eine „Verschwörung“ zwischen Trump und dem Kreml vorbereitet zu haben, dann muss unbedingt auch Hillary Clinton samt ihrem Ehemann zum FBI-Verhör geladen werden.

Denn das Ehepaar Clinton hatte jahrelang den Winterurlaub zusammen mit Kissinger und dessen Frau in einer Villa in der Dominikanischen Republik verbracht. Henry Kissinger ist eben kraft seines Status weder Republikaner noch Demokrat, sondern der Pate der US-Politik.

Clinton selbst hatte während des Wahlkampfs nicht nur gesagt, Kissingers Meinung sei für sie besonders wichtig, sondern sich auch damit gebrüstet, der große Stratege habe einst ihre Arbeit im US-Außenministerium gelobt. Kissinger hatte einmal sogar seine Jubiläumsfeier verschoben, damit das Ehepaar Clinton daran teilnehmen konnte.

Nun wird dieser Mann von enormem Einfluss, unerschütterlichem Ansehen und kolossalen Verdiensten vor den USA den Medien zum Fraß vorgeworfen: Er wird ja faktisch des Hochverrats beschuldigt (oder zumindest der Mittäterschaft daran).

Die kleine Welt der großen US-Politik ist verrückt geworden: Um Trump auch nur irgendwie zu behindern und jedwede Chance auf eine Normalisierung des russischen-amerikanischen Verhältnisses zu tilgen, ist ein einflussreicher Teil des US-Establishments bereit, Kissinger im „Kampf gegen die russische Bedrohung“ zu opfern.

Russland könnte das einerseits schmeicheln. Aber andererseits ist kein Happy End zu erwarten, wenn eine Atommacht zu platzen und ein seit Jahrhunderten bestehendes politisches System zusammenzubrechen droht.Sollte sich der gegenwärtige Konflikt in einen Bürgerkrieg ausweiten, wäre es natürlich vorrangig für die USA eine Katastrophe. Doch für andere Staaten würden die Risiken dadurch nicht kleiner. Der Hegemon ist gespalten, er schlägt wild um sich und ist gefährlich.

Um ihn zu mäßigen, werden kollektive Anstrengungen nötig sein. Aber das Gespräch darüber hat noch nicht mal begonnen.

Quelle!:

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