Freitag, Mai 3, 2024
StartZARONEWS PresseAgentur"Krokodilstränen" - So trat Tugce-Schläger Sanel M. vor Gericht auf

„Krokodilstränen“ – So trat Tugce-Schläger Sanel M. vor Gericht auf

Darmstadt, Sanel M., Tugce

 

Der Angeklagte Sanel M. bereut seine Tat. Vor Gericht legte er ein emotionales Geständnis ab. Doch Tugces Familie glaubt ihm nicht – weil er vor Gericht eine unbedachte Aussage über seinen Alkoholkonsum machte.

Am 15. November 2014 holte er aus und traf die junge Frau mit der Hand ins Gesicht. Sekunden später schlug sie auf dem harten Boden des McDonald’s-Parkplatzes auf und fiel ins Koma. Tugce A. wachte nie wieder auf.

Sanel M., der Täter, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Tugces Familie geht durch die Hölle. Erst, weil sie die Hoffnung haben, dass ihre „Prinzessin“, wie sie in der Familie genannt wird, wieder aufwacht. Dann, weil sie ihre Geräte

abstellen müssen.

Rund vier Monate später ist Tugce auf dem Mathildenpalatz in Darmstadt allgegenwärtig. Wer in das Gebäude D des Landgerichts gehen möchte, läuft mehrfach an ihr vorbei – sie ist auf Plakaten und auf T-Shirts zu sehen.

Darmstadt, Sanel M., Tugce

 

dpa/Boris RoesslerMit Fotos, Blumen undKerzengedenken Trauernde vor dem Klinikum in Offenbach der verstorbenen Tugce Albayrak.

 

 

Sanel M. schützt sein Gesicht mit einem Postkuvert

Sanel M. bleibt dieser Weg erspart. Der Angeklagte wird durch eine Hintertür in den Sitzungssaal 3 der Jugendkammer des Landgerichts geführt. Er ist frisch rasiert, trägt seine Haare kurz, außerdem ein weißes Sweatshirt. Vor sein Gesicht hält er ein braunes Postkuvert. Er schützt sich damit vor den Kameras.

Gleichzeitig hält er die gequälten Blicke von Tugces Eltern und Brüdern, die nur wenige Meter hinter ihm sitzen, von sich fern. Sie können die Tat auch Monate danach nicht fassen.

Tugces Familie hört stoisch zu

Dann spricht Sanel M. Es ist das erste Mal, dass Tugces Eltern den jungen Mann hören, der ihre Tochter ins Koma geprügelt hat. „Ich habe Tugce eine Ohrfeige gegeben. Dann ist sie umgefallen“, sagt Sanel, er kann nicht weiter sprechen. Er weint. Dann: „Es tut mir unendlich leid, was ich getan habe. Ich kann mir kaum vorstellen, welches Leid ich der Familie zugefügt habe.“

Stoisch hören die Brüder der Toten, der Vater, die Mutter zu, was der junge Mann zu sagen hat. Sie hoffen auf eine Erklärung, ein Motiv, sie wollen endlich wissen, warum ihre Tochter, die immer lächelte, wie ihr Bruder sagt, sterben musste.

Darmstadt, Sanel M., Tugce

 

dpaDie Eltern von Tugce im Gerichtssaal

 

 

Sanel M. sagt nichts über die Gründe seiner Tat

Doch Sanel äußert sich nicht weiter. Zu der Sache wolle er keine Angaben machen, Fragen des Richters lässt er durch seinen Anwalt Stephan Kuhn abwehren.

Wenn er doch spricht, gibt er sich Mühe, Fehler zu vermeiden. Nur ein leichter Akzent ist zu hören. Sanel M.s Leben ist eine Biographie, wie man sie zu Hauf in Deutschlands Problemvierteln findet: Nach der Grundschule hätte er auf das Gymnasium gehen können.

Sanel M.s Leben läuft bergab 

Sein Vater war dafür, bis zur sechsten Klasse klappte es. Dann die ersten Auffälligkeiten. An der Mittelschule verlieren zuerst die Lehrer den Glauben an ihn, dann er selbst. 2013 sitzt er im Jugendarrest. Wegen der Körperverletzung ist er auch von der Hauptschule geflogen.

Im Video: So spendeten Familie, Freunde und Fremde der ins Koma geprügelten Studentin Kraft

http://www.focus.de/kultur/videos/beruehrende-botschaft-so-spenden-familie-freunde-und-fremde-der-ins-koma-gepruegelten-studentin-kraft_id_4300018.html

Den Abschluss bekommt er trotzdem, danach bewirbt er sich für eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. Vor Gericht erzählt er, dass er in seiner Freizeit hauptsächlich Bewerbungen schreibt. Selten habe er gefeiert, ansonsten ging er insFitnessstudiound traf Freunde.

Wenn sie feiern gingen, dann mit einer Flasche Whiskey  

Wenn sie feiern gingen, hätten sie eine Flasche Whiskey und Red Bull oderColagekauft. Richtig betrunken sei er nur ein paar Mal gewesen, öfters angetrunken.

Dann macht Sanel M. vor Gericht einen entscheidenden Fehler.

Er gibt zu: Wenn er was getrunken hat, sei er leichter reizbar. Hier bröckelt die Fassade des Jungen, der nur einen Job finden wollte, etwas. Diese Aussage habe Auswirkungen auf seine Schuld und seine Glaubwürdigkeit, sagt der Anwalt der Nebenkläger, Alexander L. K. Freiherr von Malsen-Waldkirch zu FOCUS Online.

Was passierte auf der Toilette?

Ob Sanel M. seine Glaubwürdigkeit bewahren kann, muss er in den kommen Prozesstagen zeigen. Bis Anfang Juni wird das Gericht rund 60 Zeugen hören. Es muss klären, ob es Beleidigungen gab, was auf der Toilette passiert ist und wer sich wie geäußert hat.

Am Ende des ersten Prozesstages treten eine ältere Frau am Stock und ihr Mann mit schlohweißem Haar auf den sonnigen Mathildenplatz vor dem Landgericht. Es sind die Großeltern von Tugce. Sie sind sichtlich abgekämpft. Dennoch: Voller Stolz tragen sie das Bild ihrer Enkelin auf weißen T-Shirts. Sie glauben dem jungen Angeklagten die Reue nicht. „Es sind Krokodilstränen“, sagte der Großvater.

 

Video: Mit diesen Zeilen nimmt McDonald’s Abschied von Tuğçe

http://www.focus.de/panorama/videos/ganzseitige-traueranzeige-mit-diesen-zeilen-nimmt-mcdonald-s-abschied-von-tugce_id_4315996.html

Verteiler: Focus

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »