Samstag, April 27, 2024
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Lässt sich die Aushöhlung des Rechtsstaats verhindern? – Wiener Publizist antwortet

Lässt sich die Aushöhlung des Rechtsstaats verhindern, was der deutsche Bundesverfassungsrichter Peter Müller in FOCUS Online forderte? Den bürgerlichen Rechtsstaat darf man nicht jenseits ökonomischer und politischer Machtverhältnisse sehen, meint der Wiener Publizist und Leiter des Promedia-Verlages Hannes Hofbauer.

Das sei nie der Fall gewesen und heute schon gar nicht, sagte er im Sputnik-Interview. „Denn die bürgerliche Demokratie folgt immer den ökonomischen Gegebenheiten. Und wenn man sich ansieht, wie Kapitalkonzentration in der Europäischen Union oder auch in einzelnen EU-Ländern stattfindet, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich das auch auf die Rechtsprechung und den Rechtsstaat auswirkt, dass die ganz großen Unternehmungen kaum Steuern zahlen, auch wenn es irgendwelche Verwerfungen gibt, die sich dann rechtlich niederschlagen. Mit ganzen Horden und Herden von Anwälten verzögern sie Verfahren.“

„Im Großen und Ganzen werden nur einzelne Manager in Verantwortung gezogen“, fährt Hofbauer fort, „aber nie das Unternehmen selbst. Und wenn es Strafzahlungen gibt, dann ist das für die Unternehmen aus der Portokasse bezahlbar. Es gibt keine abstrakte, gut funktionierende und für alle gleich gültige Rechtsprechung in unserem System. Insofern stimme ich mit dem, was Müller als Gefahr sieht, überein, wenn er schreibt, dass der Rechtsstaat nach dem vor allem in Osteuropa vertretenen Konzept der ,illiberalen Demokratie‘, in erster Linie herrschenden Eliten, zur Verteidigung ihrer Privilegien diene.“

Aber mit seiner Idee, dass alles im deutschen Justizsystem gut sei, nur leider irgendwie von Ungarn, Italien, Polen oder wo immer ein bisschen verschlechtert werde, ist Hofbauer nicht einverstanden. „Auch in allen anderen Ländern ist es so, dass die ganz großen Konzerne nie in irgendeiner Form für das, was sie anrichten, juristisch verfolgt werden.“

Europäische Union weist keine demokratische Struktur auf

Seinen Beitrag im Sammelband seines Verlages „Der tiefe Staat schlägt zu“ betitelt der Publizist „Die Europäische Union: dem Kapital ergeben, der Demokratie abhold“. Und das korrespondiere mit dem, „was Müller befürchtet. Diese Befürchtung ist aber zu wenig. Das ist eigentlich ein Tatbestand. Ich erinnere nur an die fehlende Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive. Das wird eigentlich jeder, der sich mit den Strukturen der Europäischen Union auskennt, bestätigen.“

Hofbauer erläutert: „Nationale Exekutiven, der Ministerrat oder der Premierminister stellen in den Räten der Europäischen Union auf supranationaler Ebene die Legislative. Sie sind also quasi für die Bestimmung der Kommission zuständig, und das Parlament spielt dabei keine Rolle. Wir haben das wieder gesehen. Da waren Parlamentswahlen und wurden mehrere Kandidaten gewählt. Und sie haben keine Rolle bei der Auswahl der Kommission gespielt. Da hat der sogenannte Rat, also die Ministerpräsidenten der einzelnen Staaten, bestimmt, wer die Europäische Union führt.“

Die Ministerpräsidenten der einzelnen Staaten seien, so der Publizist, „wie der lateinische Begriff sagt, Diener dieser Staaten und nicht dafür gewählt, dass sie auf supranationaler Ebene die Legislative bestimmen. Das ist zum Beispiel ein Punkt, wo ersichtlich ist, dass die Europäische Union nicht demokratisch strukturiert ist.“

Finanz- und Steuerpolitik

Und weiter urteilt Hofbauer: „Wenn man sich anschaut, der Maastricht-Vertrag drängt ja die einzelnen Staaten zugunsten der stärksten Kapitalgruppen zurück. Und diese werden dann in der EU vertreten. Oder der Fiskalpakt, den die Europäische Union vor sieben Jahren beschlossen hat. Das ist die Möglichkeit eines Durchgriffs der Europäischen Union auf die nationalen Budgets. Das heißt, dass die Notverordnung gilt. Die nationalen Parlamente haben eigentlich nichts mehr zu beschließen.“

Der Publizist führt als Beispiel den Fall Italien an, wo ein Budget vorgelegt wurde. „Jedes europäische Land muss bis zum 15. Oktober das Budget der EU vorlegen und die EU bestimmt, ob das gilt. Das italienische Budget ist vorgelegt worden, und die EU war dagegen. So musste es revidiert werden. Und was wurde aus dem Budget heraus reklamiert? Soziale Leistungen! So wird eine Art Politik gemacht, die keine soziale Politik ist, sondern eine Politik für die großen Kapitalgruppen.“

Feindbild Russland

Der Sammelband „Der tiefe Staat schlägt zu“ zeigt auf, wie sich die autoritären Strukturen hinter den parlamentarischen Kulissen verfestigen und wie Herrschaftseliten und Systemmedien „das alte Feindbild Russland revitalisieren“. Hofbauer führt aus: „Die Europäische Union folgt wie die USA einer Politik, die gegen Russland gerichtet ist und militärisch auf Erweiterung der Nato in Richtung Russland setzt. Und das mit dem Raketenschutzschild, der jetzt seit ein paar Monaten in Rumänien aufgestellt worden ist und die Zweitschlagskapazität Russlands zerstören soll.“

Dieser „Schild“ mache eine Vorwärtsstrategie auch im atomaren Sinn für die Nato möglich, fügt  der Autor des Buches „Feindbild Russland“ hinzu. „Und das wäre der militärische Part, der ökonomisch mit den Sanktionen, die seit April 2014 in Kraft sind, verbunden ist. Es ist eigentlich ein Wirtschaftskrieg auf kleiner Flamme, den die Europäische Union mitträgt, obwohl sie selbst darunter leidet, ganz anders als die USA.“

Und in der Medienpolitik sehe man ganz deutlich, merkt Hofbauer an, dass „immer wieder, wenn von europäischen Politikern Versuche gemacht werden, mit der russischen Seite ins tiefere Gespräch zu kommen, kommt sofort die mediale Kritik: das wäre ein Verrat an der allgemeinen EU-Politik. Ob das ein deutscher Lokalpolitiker ist oder ein italienischer Innenminister, es kommt immer die Keule von wichtigen medialen Häusern, aber auch vom Staatsfernsehen in Deutschland und Österreich, dass man sich zurückhalten soll und keinen Ausgleich mit Russland finden soll. Und das geht jetzt schon seit sechs, sieben Jahren ohne Unterlass. Eine sehr traurige Bilanz.“

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