Dienstag, Mai 7, 2024
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Merkel: Ökonomisch können wir uns eine zweite Welle nicht leisten

Aus Sorge vor einer unkontrollierbaren Ausbreitung der Corona-Pandemie mit unabsehbaren Folgen für Bürger und Wirtschaft verschärfen Bund und Länder die Gegenmaßnahmen in Hotspots. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten verständigten sich am Mittwochabend auf einheitliche Regeln für Städte und Regionen mit hohen Infektionszahlen.

Dazu gehören eine Ausweitung der Maskenpflicht, eine Begrenzung der Gästezahl bei privaten Feiern, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und eine Sperrstunde für die Gastronomie. Bund und Länder schließen noch härtere Maßnahmen nicht aus, wenn sich die Infektionslage in den kommenden zehn bis zwölf Tagen nicht bessert.

Merkel zeigte sich in den Beratungen im Kanzleramt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur mit den Beschlüssen jedoch unzufrieden.

„Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden”, sagte die CDU-Politikerin nach übereinstimmenden Angaben von Teilnehmern. „Es reicht einfach nicht, was wir hier machen.”

Nach der Sitzung betonte Merkel, ob die Beschlüsse reichen oder nicht, werde man sehen.

„Deshalb ist meine Unruhe mit dem heutigen Tag noch nicht weg”, so Merkel weiter. Beunruhigt sei sie vom exponentiellen Anstieg der Infektionen. „Den müssen wir stoppen. Sonst wird es in kein gutes Ende führen.” Merkel machte deutlich, dass sich ihre Unzufriedenheit vor allem auf die umstrittenen Beherbergungsverbote bezieht.

„In dieser entscheidenden kritischen Phase des Herbstes ist es ganz, ganz wichtig, dass alle auch mitmachen weiter”, Merkel rief nach dem Treffen die Menschen in Deutschland zu einer gemeinsam Kraftanstrengung auf. „Auch ökonomisch können wir uns eine zweite Welle, wie wir sie im Frühjahr hatten mit solchen Folgen, nicht leisten”, betonte sie.

Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) betonte, Deutschland befinde sich jetzt in einer sehr entscheidenden Phase: „Es steht jetzt viel auf dem Spiel.”

Zweite Corona-Welle bereits da

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sah zwar Fortschritte durch die Beschlüsse. „Aber ob das reicht, ist meiner Meinung nach offen. Wir sind dem zweiten Lockdown eigentlich viel näher, als wir das wahrhaben wollen.” Die zweite Corona-Welle sei bereits da. Die Situation jetzt sei fast gefährlicher als im Frühjahr, weil nun der Winter bevorstehe, warnte Söder, der zugleich dazu aufrief, durch die Beschränkungen wieder „vor die Welle” zu kommen.

Unterdessen plant Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) weitere Hilfen für besonders hart von Corona-Maßnahmen getroffene Unternehmen. Die bisher bis zum Jahresende laufenden Überbrückungshilfen sollen um ein halbes Jahr bis zum 30. Juni 2021 verlängert werden. Die Wirtschaftsleistung in Deutschland war im zweiten Quartal eingebrochen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gab am Mittwoch in Berlin bekannt, dass die neue Corona-Testverordnung an diesem Donnerstag in Kraft treten werde. Corona-Tests sollen damit künftig stärker auf Risikogruppen und das Gesundheitswesen konzentriert werden – weniger auf Reiserückkehrer.

Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten waren erstmals seit Juni wieder persönlich zusammengekommen und berieten nicht nur per Videokonferenz. Das Treffen stand unter dem Eindruck massiv steigender Infektionszahlen in Deutschland und zum Teil noch dramatischerer Entwicklungen bei vielen europäischen Nachbarn. Hierzulande wurden nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom Mittwoch aktuell 5132 Neuinfektionen gemeldet – so viele wie seit Mitte April nicht mehr.

Der Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, Michael Meyer-Hermann, warnte bei dem Treffen eindringlich vor einem Kontrollverlust bei den Infektionen. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern zwölf, um das Schiff noch zu drehen”, sagte er laut Teilnehmern im Kanzleramt. Deutschland stehe an der Schwelle zu einem exponentiellen Wachstum.

Am Ende leidet auch die Wirtschaftskraft

Kanzleramtsminister Helge Braun hat die Bevölkerung aufgerufen, im Kampf gegen die Corona-Pandemie mehr zu tun als nun von Bund und Ländern vereinbart. Die Beschlüsse seien ein wichtiger Schritt, würden aber vermutlich nicht ausreichen, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin”.

„Und deshalb kommt’s jetzt auf die Bevölkerung an. Dass wir nicht nur gucken: Was darf ich jetzt? Sondern wir müssen im Grunde genommen alle mehr machen und vorsichtiger sein als das, was die Ministerpräsidenten gestern beschlossen haben”, so Braun.

Es könne jetzt überhaupt keine Frage mehr geben, „dass das jetzt der Beginn einer sehr großen zweiten Welle ist”, führte Braun aus. „Und am Anfang dieser zweiten Welle haben wir es in der Hand, diese Infektionen aufzuhalten.” Er warnte, wenn die Infektionen hochgingen, leide am Ende auch die Wirtschaftskraft.

Mit Blick auf die Debatte über umstrittene Beherbergungsverbote für Reisende aus deutschen Corona-Risikogebieten sagte Braun: „Jetzt ist nicht die Zeit für Reisen, sondern jetzt ist die Zeit, die Kontakte deutlich zu reduzieren.”

Der Kanzleramtschef verwies auf Ausführungen des Leiters der Abteilung System Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, Michael Meyer-Hermann, beim Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin.

„Der hat uns anhand der Modellierungen vorgerechnet: Wir müssen im Grunde genommen alle unsere Kontakte halbieren”, sagte Braun.

Corona in Deutschland

Die Zahl der binnen eines Tages mit dem Coronavirus neu infizierten Menschen in Deutschland ist erneut sprunghaft gestiegen und hat damit einen Rekordwert erreicht. Die Gesundheitsämter meldeten nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom Donnerstagmorgen 6638 Neuinfektionen – rund 1500 mehr als am Mittwoch. Bislang waren Ende März mit knapp 6300 Neuinfizierten die meisten registriert worden.

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mindestens 341.223 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert (Datenstand 15.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion lag demnach bei 9710. Das waren 33 mehr als am Vortag. Nach Schätzungen des RKI gibt es etwa 284.600 Genesene.

ai/dpa

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