Montag, Mai 6, 2024
StartPolitikEU„Muslimen passiert dasselbe, wie einst Protestanten“: Millionär gründet Stiftung gegen Burka-Strafen

„Muslimen passiert dasselbe, wie einst Protestanten“: Millionär gründet Stiftung gegen Burka-Strafen

Der französisch-algerische Unternehmer Rachid Nekkaz will eine Stiftung mit einem Budget von zehn Millionen Dollar gründen, mit denen Strafen für muslimische, schleiertragende Frauen, wenn sie ihre Kinder bei Klassenausflügen begleiten, bezahlt werden sollen – und dadurch gegen das Gesetz verstoßen.

Sputnik France befragte Nekkaz zu seinem Vorhaben.

Rachid Nekkaz: „Wir ziehen gegen das Islam-Verbot durch alle Gerichtsinstanzen der französischen Verfassung“

Am 11. Oktober verlangte der Abgeordnete Julien Odoul von der Partei „Nationale Sammlungsbewegung“ (Rassemblement National) von der Vorsitzenden des Regionalen Rates von Bourgogne-Franche-Comté, eine muslimische Frau, die Schulkinder bei einem Klassenausflug begleitete und bei einer Sitzung des Regionalen Rates in Dijon präsent war, zu zwingen, ihren Schleier abzulegen. Diese Situation löste heftige Debatten in der Öffentlichkeit aus. Daran beteiligen sich praktisch alle Politiker, und es ist sogar zur Spaltung in den Reihen der Mehrheitspartei gekommen. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sagte dazu, dass es in der französischen Gesellschaft „unerwünscht ist, muslimische Schleier zu tragen“. Die Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye erwiderte jedoch:

„Bei Klassenausflügen begegnen Frauen wie ich anderen Frauen, die Schleier tragen, wobei wir in verschiedenen Welten leben, und das ist gut – das erlaubt uns, miteinander zu kommunizieren.“

Am 29. Oktober wird der Senat einen von der Partei „Les Républicains“ eingebrachten Gesetzentwurf behandeln, dem zufolge Eltern, die ihre Kinder bei Klassenfahrten begleiten, keine religiösen Symbole tragen dürfen. Laut einer Frage des soziologischen Instituts Ifop-JDD begrüßen drei Viertel der Franzosen diese Maßnahme. 78 Prozent der Befragten (gegenüber 58 Prozent im Jahr 2005) glauben, dass säkulares Denken im Land in Gefahr schwebe.

Präsident Emmanuel Macron versuchte, der Polemik fern zu bleiben. Während seiner jüngsten Reise auf die Insel Réunion sagte er dem Sender Réunion La 1re:

„In staatlichen Behörden sollte Neutralität bewahrt werden, in Kindergärten sind keine Symbole zulässig, die die religiöse Zugehörigkeit demonstrieren. Ansonsten geht das, was in öffentlichen Räumen passiert, die Regierung oder den Präsidenten der Republik nichts an.“

Am 28. Oktober empfing Macron Vertreter des muslimischen Kults, nachdem er für „Rigorosität“ gegenüber dem Kommunitarismus plädiert hatte, der nach seiner Meinung Erscheinungen des „Separatismus“ in Frankreich provoziert hatte. Einer der Teilnehmer dieses Treffens, Abdallah Zekri, Generalvertreter des Französischen Rates des muslimischen Kults (CSCM) und Oberhaupt des Nationalen Obervatoriums gegen Islamhass, warnte seinerseits vor „Hysterie“:

„Wir sind französische Bürger und respektieren die Werte der Republik.“

Am 27. Oktober hatten sich in Paris mehrere Hunderte Menschen zu einer Protestaktion gegen den „Islamhass“ versammelt. Die Organisatoren treten gegen „Ausnutzung der Debatten zu politischen Zwecken“ auf. In dieser angespannten Situation hat sich der algerische Unternehmer Rachid Nekkaz, der für seinen Kampf für das Recht der Frauen, Schleier zu tragen, bekannt und Autor des Buchs „Le Voltaire du Niqab“ („Der Voltaire des Nikabs“) ist, bereit gezeigt, eine Stiftung für zehn Millionen Dollar zu gründen, aus dem Strafen bezahlt werden sollten, mit denen Frauen im Falle der Verabschiedung des „Schleier-Gesetzes“ belegt werden sollten.

Als die Polemik über Schleier gerade auf Hochtouren lief, versammelten sich am 27. Oktober in Paris mehrere Hunderte Menschen, um gegen den „Islamhass“ und „Hetzjagd gegen Muslime“ zu protestieren. Werden Muslime in Frankreich aus Ihrer Sicht tatsächlich öffentlich verurteilt?“

Vor allem halte ich es für unfair, Franzosen nach dem religiösen Merkmal zu unterscheiden. Die französische Staatsbürgerschaft gibt ihnen sowohl Rechte als auch Pflichten. In Frankreich ist die Kirche seit 1905 vom Staat getrennt. Aktuell haben in Frankreich Muslime, Katholiken, Buddhisten, Protestanten oder Juden das Recht auf eine eigene Religion, indem sie ihre bürgerlichen Pflichten erfüllen. Ich stelle fest, dass wir seit 2001, als die Türme des World Trade Center zerstört wurden, Augenzeugen der öffentlichen Verurteilung der muslimischen Religion sind, die nämlich gegen Frauen gerichtet ist. 2004 wurde es verboten, Schleier in der Schule zu tragen, seit 2010 und 2011 darf man keinen Schleier in öffentlichen Räumen tragen, dann begannen die Debatten über Halalfleisch und Burkini am Strand; und jetzt verlangt man, Schleier in allen öffentlichen Räumen zu verbieten. Und jedes Mal geht es um muslimische Frauen und nicht um Männer. 2015 wurden beispielsweise Terroranschläge verübt, und es brach die Debatte über die mögliche Ausbürgerung mancher Terroristen aus. Die Regierung von Francois Hollande wagte es nicht, mehrere Terroristen, die ja Franzosen waren, auszubürgern. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, sind gegen muslimische Frauen gerichtet und nicht gegen Männer, selbst wenn es um Terroristen geht.

Sie vergleichen die aktuelle Situation mit dem, was einst Protestanten und Juden in Frankreich erleben mussten…

Ich denke, in Frankreich passiert Muslimen jetzt leider dasselbe, was einst Protestanten passierte. 1598 billigte nämlich der französische König Heinrich IV. das Edikt von Nantes, dem zufolge Protestanten das Recht auf Religionsbekenntnis bekamen. König Ludwig XIV. setzte dieses Edikt 1685 wieder außer Kraft. Dasselbe passierte später auch den Juden. 1781 wurden sie mit anderen Franzosen gleichberechtigt, aber Marschall Pétain schaffte diese Norm 1940 ab, und dann kam es bekanntlich zum Holocaust. Jetzt passiert in Frankreich etwas Ähnliches auch den Muslimen. Alles begann mit der Wiedervereinigung der Familien 1976, und seit 2004 werden französischen Muslimen allmählich die Rechte weggenommen. Aus meiner Sicht könnte das allmählich zum Islamverbot in der französischen Verfassung führen.

In den letzten Jahren haben Islamisten mehrere Anschläge in Frankreich verübt. Laut Meinungsumfragen sind viele Franzosen über den Aufschwung der Zuwandererzahl besorgt, und 75 Prozent der Franzosen glauben, dass säkulares Denken gefährdet ist. Teilen Sie diese Befürchtungen?

Ich teile voll und ganz die Befürchtungen der französischen, europäischen und internationalen Gesellschaft wegen der Anschläge, die von Barbaren verübt wurden, die behaupten, sich zum Islam zu bekennen, aber ganz anders handeln. Diese Angst ist gerechtfertigt. Um sie zu überwinden, muss man einen Dialog beginnen. Man muss die Menschen überzeugen, dass der Islam mit diesen Anschlägen nichts zu tun hat. Sie wurden von Barbaren organisiert, die zur Verantwortung gezogen und verurteilt werden müssen, gegen die man mit allen möglichen Mitteln kämpfen muss. Allerdings werden diese Barbaren und Terroristen in den USA und in Europa, auch in Frankreich, mit der muslimischen Religion identifiziert – und das ist sehr gefährlich. In der Welt leben 1,6 Milliarden Muslime. Diese kleinen Gruppen von Barbaren und Terroristen verleumden nicht nur die muslimische Religion, sondern diese Gemeinde und vor allem Frauen. Frankreich ist aus meiner Sicht ein Land mit einer hochentwickelten Demokratie, ein Rechtsstaat, und man sollte den Dialog beginnen und keine Gesetze gegen muslimische Frauen verabschieden. Und man sollte dabei unvoreingenommen sein und niemanden öffentlich verurteilen.

Fürchten Sie eine weitere Zuspitzung der Situation?

Die französische Gesellschaft wird den Weg der Radikalisierung gehen, genauso wie die muslimische Gemeinde in Frankreich. Und was passiert, wenn alle radikale Ansichten haben werden? Wir bewegen uns auf eine Konfrontation zu. Ich weiß nicht, ob es in diesem Land Menschen gibt, die eine Konfrontation anstreben. Jedenfalls stelle ich fest, dass sich vor jeder Wahl Parteien finden, die mit dem Feuer spielen und versuchen, muslimischen Frauen die Einhaltung der Gebote ihrer Religion zu verbieten. Ich behaupte, dass das gegen Frauen gerichtet ist. Ich denke, man sollte aufhören, mit dem Feuer zu spielen. Man sollte die Situation besprechen und die Bevölkerung beruhigen. Es ist wichtig, dass alle Verantwortung übernehmen. Es ist wichtig, dass die muslimische Gemeinde jeden islamistischen Terroranschlag vehement verurteilt und nach jedem Anschlag auf die Straße geht. Sie kann sich nicht für die Handlungen der Terroristen verantworten und sollte das auch zu verstehen geben. Die Intellektuellen, die die Rolle des Mentors in der französischen Gesellschaft spielen, sollten eine ausbalancierte Position einnehmen und als Vermittler auftreten, damit die Einheit in Frankreich weiterhin wertvoll bleibt.

Sie haben erklärt, Sie wären bereit, eine Stiftung für zehn Millionen Dollar zu gründen, um alle Strafen zu zahlen, falls das Gesetz über das Schleierverbot in Frankreich und Europa verabschiedet wird. Sie behaupten, auf der „voltairianischen“ Position zu stehen, nicht wahr? Können Sie bitte präzisieren, was Sie damit meinen?

1765 verteidigte Voltaire die Würde von Jean Calas. Das Parlament von Toulouse hatte diesen Protestanten zuvor zur Todesstrafe verurteilt, und er wurde gefoltert und öffentlich hingerichtet. Voltaire war kein Protestant, aber er verteidigte die Religionsfreiheit. Nachdem er diesen edlen Schritt unternommen hatte, veröffentlichte er sein Traktat „Über die Toleranz“. Ich kann mit voller Verantwortung sagen, dass ich den Weg von Voltaire gehe – des Menschen, der mehrere Jahre im Gefängnis verbrachte. Er blieb seinen Überzeugungen bis zum Ende treu. Es tut mir leid, dass heutzutage der Eindruck entsteht, dass Rachid Nekkaz als Muslim kein Recht hat, auf voltairianischen Position zu stehen. Meine Frau ist US-Bürgerin, trägt weder Schleier noch Burkini noch Nikab. Gemeinsam treten wir für die Religionsfreiheit ein – und gleichzeitig für die Freiheit der Frauen, die Schleier oder Nikab tragen wollen, auch wenn wir dagegen sind. Wir treten auch für die Freiheit der Frauen auf, die keinen Schleier tragen wollen. Ich weiß noch, wie ich im März 2018 nach Teheran flog, um die Befreiung von 29 Frauen zu erreichen, die nur dafür verurteilt worden waren, weil sie in der Öffentlichkeit ihre Schleier abgelegt hatten. Damals war ich der einzige Politiker in der ganzen Welt, der sich mit der Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh traf. Wir haben gemeinsam diese Aktion organisiert. Leider wurde sie später verurteilt und sitzt jetzt im Gefängnis im Iran. Meine Toleranz verändert sich nicht je nach den Umständen. Ich verteidige die Freiheit von allen.

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