Dienstag, April 30, 2024
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Netanjahu und die Juden


Mit seinem doppelzüngigen Kurs könnte der "Zauberer" Netanjahu Israel in weltweite Isolation treiben

Der überraschend klare Wahlsieg Benjamin Netanjahus und seiner Likud-Partei bedeutet eine Fortsetzung jenes außen- und innenpolitischen Kurses, der nicht nur ein folgenschweres

Zerwürfnis mit der US-Regierung, sondern auch eine Entfremdung breiter Schichten des US-Judentums vom Staat Israel herbeigeführt hat. Seine Anhänger feiern ihn als einen

Magier, der seit neun Jahren im Amt statt der allgemein erwarteten herben Verluste sein bestes Wahlergebnis errungen hat. Der Preis dafür, dass es dem 65-jährigen Politiker gelungen ist, in den letzten Tagen der Kampagne die politische Stimmung zu wenden, ist allerdings sehr hoch.

Der New York Times-Kolumnist Thomas L. Friedman schrieb wörtlich, es sei schwierig zu wissen, was deprimierender sei: dass Netanjahu mit schmutzigen Tricks seine Kampagne retten wollte – Absage an die von ihm auch früher vertretene Zweistaatenlösung und rassistische Aufrufe wegen der massiven Wahlbeteiligung der israelischen Araber; oder dass all dies gewirkt zu haben scheint. Rund die Hälfte Israels identifiziere sich mit den in der Kampagne eingesetzten paranoiden, "Jeder gegen uns"-, religiös-nationalistischen Schlagworten. Dies sowie das Faktum, dass etwa 350.000 Siedler in der West Bank leben, macht es schwer zu glaube, dass eine Zweistaatenlösung noch möglich sein könnte, meint der Publizist.

Dass Netanjahu nach der Wahl seine Absage an einen Palästinenserstaat in Interviews mit US-amerikanischen Medien relativieren und seine Warnung vor den "Scharen" arabischer Wähler mit dem Hinweis auf die Mobilisierung seiner eigenen Anhänger erklären wollte, ändert nichts an der Empörung im Weißen Haus und sogar unter konservativen Rabbinern, die stets das Wahlrecht für Araber (mit einem Anteil von 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung) als einen Beweis für die israelische Demokratie hervorgehoben haben.

Siebzig Jahre nach Auschwitz prägen das Trauma der Überlebenden und die Folgen der Shoah bis heute nicht nur die israelische Gesellschaft, sondern auch viele Juden in Europa, die als Sündenböcke hinhalten müssen, wenn es um Kritik an Israel geht. Trotz des Vormarschs der IS-Terrormilizen und des blutigen Kriegs zwischen Sunniten und Schiiten dient Israel weiterhin als Sündenbock für alle Probleme im Nahen Osten. Der Judenhass blüht zusammen mit Holocaustleugnung und -relativierung weltweit. Dass Juden in Frankreich – und nicht nur dort – wieder um ihr Leben fürchten müssen, ist ein Alarmzeichen dafür, dass die Wiederkehr des Undenkbaren jederzeit möglich bleibt. Man schätzt, dass nur rund 40 Prozent der Juden in Israel leben. In einer feindlichen Umwelt hängt ihre Zukunft freilich vor allem von der massiven Unterstützung durch die US-Regierung ab.

Die amerikanischen Medien, viele Rabbiner und Sprecher der vielfältigen, fünf Millionen starken jüdischen Gemeinde warnen vor der Gefahr einer tiefen Kluft zwischen den Juden in den USA und in Israel. Mit seinem doppelzüngigen Kurs könnte der "Zauberer" Netanjahu Israel in weltweite Isolation treiben – sowohl von der Obama-Administration als auch von breiten Schichten des Judentums (und nicht nur in Amerika).

(Paul Lendvai, DER STANDARD, 24.3.2015)

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