Dienstag, April 30, 2024
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Neue Zürcher Zeitung warnt vor „vergifteten Saat der Flüchtlingskrise“

Der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Eric Gujer, hat in seiner aktuellen Kolumne „Der andere Blick“ Klartext zur Flüchtlingspolitik in Deutschland gesprochen.
„Manchmal möchte man Deutschland zurufen: ‚Bitte regt euch ab, schaltet einen Gang runter, das Leben geht weiter‘.

Doch es ist wohl zwecklos. Drei Jahre nach der Flüchtlingskrise ist deren vergiftete Saat aufgegangen“, schreibt Gujer.

„Stillgelegte Republik“? Nicht mehr 

Er verweist auf Reaktionen der deutschen Gesellschaft und des Staates auf den Fall des mutmaßlichen Leibwächters von Osama bin Laden, Sami A., sowie auf einen kritischen Artikel der „Zeit“ über die Seenotrettung für Flüchtlinge. Beide Fälle sollen zeigen, „wohin sich Deutschland mit seiner unbedachten Entscheidung, Neuankömmlinge an der Grenze zu Österreich unkontrolliert ins Land zu lassen, manövriert hat“.

Gujer zufolge hat das deutsche Meinungsklima sich entscheidend verändert. Es sei nicht mehr so „sterbenslangweilig“, als „besorgte Kommentatoren vor der stillgelegten Republik warnten“. Das Klima sei „konfrontativer geworden“. „Hass und Verachtung finden sich längst nicht mehr nur am Narrensaum der bundesdeutschen Gesellschaft“.

Zuhören und Respekt als „Mangelware“ 

Die Debattenkultur leide, weil die Seiten sich wenig zurückhalten wollen. Es mangele heute an „Geduldiges Zuhören und Respekt für die abweichende Meinung“. „Die Menge findet immer einen neuen Anlass, um im Schaumbad ihrer moralischen Überlegenheit zu baden; wohlwissend, dass sie nie die Verantwortung für ihre Gesinnung übernehmen muss“.

Diese Veränderung erklärt der NZZ-Chefredakteur mit einer verzögerten Reaktion auf die Flüchtlingskrise von 2015. „Die Versäumnisse der Vergangenheit rächen sich mit Verzögerung. Extreme Ereignisse wie die Flüchtlingskrise ziehen extreme Reaktionen nach sich, manchmal erst nach Jahren.“

„Propheten der Willkommenskultur“ 

Er kritisiert die Bundesregierung, die „2015 blind gegenüber den Folgen ihres Tuns“ gewesen sei, und vergleicht die Gesellschaft mit einem Organismus, wo „Krankheiten manchmal eine lange Inkubationszeit“ hätten, bis sie ausbrächen.

„Die Propheten der Willkommenskultur wollten nicht wahrhaben, dass eine solche Völkerwanderung Folgen für die Gesellschaft haben würde, die weit über die Frage hinausgehen, wie man eine Million Menschen unterbringen und verköstigen soll“.

„Erosion“ der deutschen Parteienlandschaft 

Die Stabilität der deutschen Parteienlandschaft, die „stets ein Pluspunkt der Bundesrepublik“ gewesen sei und „zu ihrem guten Ruf im Ausland“ beigetragen habe, sei nun gefährdet. Zeichen dafür, dass Deutschlands Parteiensystem „erodiert“, sieht Gujer im Streit um die Asylpolitik, der „die Union zerbricht“, sowie in der Position der AfD, die „gleichauf mit der SPD“ sei. Die SPD sowie die Linkspartei bringen „keine kohärente Linie in der Migrationsfrage zustande“.

Wer „unter Verweis auf die sinkenden Fallzahlen jetzt einen Schlussstrich unter die Asyldebatte“ ziehen wolle, habe sich getäuscht. Solche Unterströmungen ließen sich nicht einfach abstellen, wenn sie sich einmal in Bewegung gesetzt hätten: „Was 2015 ins Werk gesetzt wurde, hat sich längst verselbständigt. Und die Zauberlehrlinge begreifen allmählich, welche Geister sie gerufen haben.“

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