Freitag, März 29, 2024
StartPolitikEuropa"Nur mit Mundschutz den Reichstag erstürmen?“ – Justizministerin im Ersten vorgeführt

„Nur mit Mundschutz den Reichstag erstürmen?“ – Justizministerin im Ersten vorgeführt

„Rechtsextreme schwenken Reichsflaggen auf den Reichstagstreppen – wie soll der Staat reagieren?“ – so lautete die Frage im Einspieler zum jüngsten „Maischberger“-Talk. Für den Staat war in der Sendung Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) zuständig. Fazit: Jener ist in dieser Frage ziemlich ratlos.

Die rund 40.000 Menschen, die am Sonntag in Berlin demonstriert haben, seien nicht alle „Covidioten“, räumte die Ministerin im „Maischberger“-Interview am Mittwochabend ein, womit sie die frühere Behauptung ihrer Parteichefin Saskia Esken zumindest relativierte. „Da sind auch Menschen, die zu Recht auf ihre schwierige Situation hinweisen“, so Lambrecht. „Die Mehrheit verfolgte aber ganz andere Ziele“ und wollte „die Demokratie angreifen“.

Das ursprüngliche Demo-Verbot für Justizministerin „nachvollziehbar“

Diese „Mehrheit“ der Demonstranten repräsentiere allerdings eine kleine Minderheit der deutschen Gesamtbevölkerung, welche die Anti-Corona-Maßnahmen unterstütze bzw. sogar zu schwach finde, behauptete die Ministerin. Den ursprünglichen Versuch von Berlins Innensenator Geisel, die Demonstration zu verbieten, bewertete Lambrecht als „zumindest nachvollziehbar“ (ein paar Tage zuvor, noch vor dem Gerichtsbeschluss, mit dem das Verbot gekippt wurde, hatte sie das Verbot immerhin als „richtig“ bewertet).

„Wir sind aber eine lebendige Demokratie“, meinte die Justizministerin zur Aufhebung des Demonstrationsverbots. Offen blieb insofern, ob sie den Gerichtsbeschluss genauso als richtig bewertet wie zuvor Geisels Verbotsbeschluss. Oder war in der Logik von Frau Lambrecht etwa „beides richtig“?

„Berlin hat reagiert“

„Die Bilder, die um die Welt gegangen sind, sind verheerend“, regte sich die Bundesministerin über die Erlebnisse vom Sonntag auf. „Hier wurde versucht, zu suggerieren, man könne diese Demokratie aus den Angeln heben.“ Nun müsse der Staat reagieren. Aber wie? Die Antwort der Ministerin darauf beeindruckte durch ihre Banalität – da muss man wirklich kein Regierungsmitglied sein, um die Antwort in dieser belanglosen Form zu formulieren: „Es muss darauf geachtet werden, wo Demonstrationen stattfinden werden und welche Voraussetzungen vorher zu treffen sind.“ Das war aber noch nicht die Spitze der Weisheit. „Berlin hat reagiert“, berichtete Christine Lambrecht stolz. „In Zukunft werden Demonstrationen nur mit Mund- und Nasenschutz zugelassen.“ Die Moderatorin musste darauf in ihrer süffisant-ironischen Manier präzisieren:

„In Zukunft dürfen also die ‚Reichsbürger‘ mit Mund- und Nasenschutz direkt vor dem Reichstag demonstrieren?“

„Das Demonstrations- und Versammlungsrecht ist ein ganz wesentliches Recht in unserer Demokratie und nicht an der Gesinnung ausgerichtet“, lautete die Antwort der Ministerin. Das logische Fazit: Sobald die Reichsbürger genügend Masken vorrätig haben, können sie einen neuen Reichstagssturm versuchen, oder?

Seite an Seite mit NPD und „Reichsbürgern“

„Der Sturm auf den Reichstag war das auf keinen Fall“, meinte Claudia Kade, Leiterin des „Welt“-Politikressorts. „Der Reichstag ist bewusst nicht besonders stark geschützt, allein deshalb war es kein ‚Sturm‘.“ Als „Sturm“ sollte man diese Aktion allein schon deshalb nicht bezeichnen, „weil die Täter selber das so hochjazzen“: „Wir standen ja nicht kurz vor dem Moment, dass das Parlament entrechtet worden wäre.“

Problematisch fand die Journalistin allerdings, dass die große Masse der „friedlichen Demonstranten“, die sich aus ihren persönlichen Beweggründen der Aktion angeschlossen haben, kein Problem daran sahen, mit NPD-Funktionären und „Reichsbürgern“ Seite an Seite zu laufen. „Was heißt denn das? Ist das völlig egal? Gibt es da keine Berührungsängste mehr?“ Als Leiterin des Politikressorts einer Tageszeitung, die zu den einflussreichsten „Leitmedien“ gezählt wird, finde sie dieses Phänomen „politisch schwer zu verarbeiten“.

Ein Schluss, den „Die Welt“ und die anderen deutschen Mainstream-Medien aus den beiden bisherigen Anti-Corona-Großdemonstrationen bei der „Verarbeitung“ dieses Phänomens ziehen sollten, dürfte darin bestehen, dass sie bei der Berichterstattung über eventuelle weitere Demos dieser Art deren Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht mehr pauschal als „Corona-Leugner“ und „Rechtsextreme“ abstempeln dürfen.

Immerhin gab Christine Lambrecht – wie zuvor auch der Gesundheitsminister Jens Spahn – am Mittwochabend zu, dass der Staat im Zuge der Pandemie-Bekämpfung bei manchen Sachen überreagiert hatte: „Man hätte manche Veranstaltungen zulassen und die Geschäfte offen lassen können“, so die Justizministerin.

Der „Fall Nawalny“: Hat sich Merkel „unter Zugzwang gesetzt“?

Natürlich musste Sandra Maischberger auch den „Fall Nawalny“ in ihrem TV-Talk zur Sprache bringen. Insbesondere, weil die Bundeskanzlerin wenige Stunden zuvor mit ihrem speziellen dreiminütigen Statement „mit dem Finger nach Moskau“ gezeigt und von der russischen Regierung eine Erklärung dazu gefordert hatte. Wie Claudia Kade äußerte, sollte Angela Merkel als gegenwärtige Ratspräsidentin der EU eine „gemeinsame Antwort“ der Europäischen Gemeinschaft „organisieren“. Mit dieser Forderung habe sich die Kanzlerin allerdings womöglich „unter einen Zugzwang gesetzt, Dinge zu liefern, die sie gar nicht liefern kann“, meinte die Moderatorin.

Selbstverständlich wurde dabei wieder das Wort „Sanktionen“ erwähnt – wie wenige Tage zuvor im Zusammenhang mit der Entwicklung in Minsk. Und dass trotz der inzwischen bereits anerkannten Tatsache, dass die bisherigen gegen Russland verhängten Sanktionen recht wenig bewirkt haben. Das erste, was nun den „Hardlinern“ wie der „Bild-Zeitung“ oder einem Norbert Röttgen einfällt, wäre der Baustopp an der Gaspipeline Nord Stream 2 als eine nächste „Strafmaßnahme“ gegen Moskau. Bisher hatte Merkel alle Forderungen dieser Art – auch aus den USA und einigen Ländern Europas – standhaft abgewehrt und den Standpunkt verteidigt, das Projekt sei für die deutsche Wirtschaft von großem Vorteil. Den besonders zynischen Nord-Stream-Gegnern, die bereits seit Jahren verzweifelt versuchen, der Pipeline den Riegel vorzuschieben, könnte insofern der „Fall Nawalny“ wie gerufen kommen.

* Die Meinung des Autors muss nicht der der Redaktion entsprechen.

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