Samstag, Mai 4, 2024
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Qualitätsjournalismus-Guru beim Spicken erwischt. Doch Schuld ist immer der Russ’

In den Vereinigten Staaten hat sich ein weiterer Skandal um Plagiate entsponnen. Eigentlich nichts Neues – in den USA, in Europa und auch in Russland werden öfters unsauber arbeitende Journalisten, Buchautoren, Studenten und sogar Politiker wegen „Zitaten“ aus fremden Werken ohne Quellenangabe oder gar beim Märchenerzählen (Fall Relotius) ertappt.

Der Skandal sorgte für großes Aufsehen, weil das Buch, in dem das Plagiat entdeckt wurde, journalistischen Standards gewidmet war und ein Standardwerk für Redakteure und Journalisten hätte sein sollen. Geschrieben hat es Jill Abramson, ehemalige Chefredakteurin der einflussreichen „New York Times“. Die renommierte Zeitung ist und bleibt dabei Pulitzer-Rekordhalterin.

Abramson gilt im US-Journalismus als prägende Figur. Sie bekleidete verschiedene Posten in der „New York Times“ und war nach fast anderthalb Jahrhunderten die erste Frau, die dieses renommierte Blatt leitete. 2012 stand sie in der Forbes-Liste der einflussreichsten Frauen der Welt – neben Angela Merkel, Hillary Clinton und anderen Staats- und Regierungschefinnen. Sie tauchte mehrmals in verschiedenen Ranglisten der einflussreichsten Personen der Welt auf — bis sie im Mai 2014 nach weniger als drei Jahren als Chefredakteurin ohne Angabe von Gründen und ohne großes Aufsehen entlassen wurde.

Dennoch gilt sie bis heute als Guru des Journalismus. Sie reist mit Lesungen durchs Land, kommentiert politische Ereignisse. Deswegen sorgt ihr Buch mit dem anspruchsvollen Titel „Merchants of Truth: The Business of News and the Fight for Facts“ bereits vor seinem Erscheinen in den Buchhandlungen für Aufsehen im US-Journalismus. Abramson schreibt pathetisch über ihre Rolle im Kampf um die absolute Wahrheit, spricht gebetsmühlenartig vom „Fakten-Check“ und „qualitativen Journalismus“. Sie kritisiert „russische Bots“, die vehement bekämpft werden müssten, spricht von „russischer Einmischung“ bei den Präsidentschaftswahlen 2016.

Dabei klaut sie. Fremde Begriffe, fremde Gedanken, fremde Zitate. Sogar komplette Absätze.

Als erster machte der „Vice News“-Korrespondent Michael Moynihan auf Anzeichen eines Plagiats in ihrem Buch aufmerksam, der dadurch bekannt wurde, dass er vor einigen Jahren die Plagiate und die offenen Betrügereien des Journalisten und Schriftstellers Jonah Lehrer aufdeckte, der für den „New Yorker“ arbeitete und Bücher über Neuropsychologie schreibt. Diesmal wies er auf zahlreiche faktische Fehler und Aneignung von Zitaten ohne Quellenangabe hin.

In ihrem Buch übernahm Abramson bei ihren Überlegungen über Standards und Qualität der Nachrichten komplette Absätze aus den Zeitschriften „Time“, „New Yorker“, Fachmagazinen und präsentiert diese Gedanken als die eigenen. Sie wurden nur ein wenig bearbeitet und mit einigen anderen Wörtern ergänzt. Mehrere Vergleiche mit dem Originaltext, angeführt von Moynihan, lassen keine Zweifel an Plagiat bestehen.

Nach der Recherche von Moynihan brachten auch weitere Autoren ihre Empörung zum Ausdruck.

Bemerkenswert ist, dass die Journalistin nicht verstand, worin das Problem besteht. Schlussendlich hatte ja die „New York Times“ unter ihrer Federführung Kolumnen publiziert, in denen behauptet wurde, dass Plagiate kein großes moralisches Verbrechen seien. („Plagiarism Is Not a Big Moral Deal“)

Abramson ist sich offenbar keiner Schuld bewusst.

Zuerst versuchte sie, merkwürdige Übereinstimmungen in einzelnen Passagen zu dementieren, und sagte, dass „es überhaupt kein Thema ist“. Als sie danach verstand, dass die Aufregung nicht einfach so abebben wird, sagte sie, dass es zu einigen „bedauerlichen Missverständnissen“ kam, die in der nächsten Ausgabe korrigiert werden. Dabei sicherte sie zu, dass sie die Autoren der ursprünglichen Quellen kontaktiert und sich bei ihnen entschuldigt habe. Doch diese wiesen diese Informationen zurück.

Einer der beklauten Autoren rief Abramson an und fragte, ob sie ihr Fehlverhalten begriffen habe. Sie verneinte seine Frage und insistierte, dass es sich nicht um Plagiate, sondern um kleine Fehler, die in der nächsten Ausgabe korrigiert werden würden, handele.

Abramsons Haltung: Sie nimmt ein paar Phrasen bei Kollegen, doch widerspricht das dem heiligen Kampf gegen „die russischen Bots“?

Das Verhalten zur journalistischen Ethik scheint sich zu ändern. Erinnerungswert ist dabei der jüngste Skandal um einen „Spiegel“-Journalisten, der beim Erfinden seiner Storys ertappt wurde. Doch immerhin sorgte dieser Vorfall für einen Skandal.

Ein anderer Fall: Der ehemalige britische Journalist und politische Berater der Labour Party, Tom Baldwin, gab in seinen Memoiren zu, dass er einen Artikel für die Titelseite des „Sunday Telegraph“ gefälscht habe, indem er den Berater des Schatzamtes betrunken machte, und der ihm versprach, nichts zu dementieren. Ein Skandal in Großbritannien blieb aus, niemand leitete Untersuchungen ein. Dieser Autor schreibt übrigens auch Bücher über Qualitätsjournalismus.

Natürlich kann man nicht sagen, dass Plagiate und Fakes moderne Erfindungen sind. Natürlich wurde schon immer dazu gegriffen, besonders während der Kriege – in heißen und kalten —  in Zeiten, als das Gewehr und die Feder gleichgesetzt wurden. Doch heutzutage ist diese Erscheinung offenbar schon eine gewöhnliche Sache.

* Die Meinung des Autors muss nicht der der Redaktion entsprechen.

Quelle!:

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