Montag, April 29, 2024
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Religion, Herkunft, gemeinsame GeschichteKonflikte in Unterkünften: Das sind die großen Streitpunkte zwischen den Flüchtlingsgruppen

Streitpunkte, Flüchtling, Konfliktlösung, Flüchtlingsunterkunft, Auseinandersetzungen

Immer wieder kommt es in den überfüllten Unterkünften zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingsgruppen. Kein Wunder, sagen viele: Schließlich werden dort Gruppen zusammen einquartiert die völlig unterschiedliche Wertvorstellungen haben oder sich gar spinnefeind sind. FOCUS Online zeigt die größten Konfliktlinien.

In Hamburg stritten im April Flüchtlinge um eine nicht geleerte Waschmaschine – am Ende gingenFehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 2) 40 Männer mit Knüppeln, Stühlen und Besenstielen aufeinander los. In Trier kam es im Juli während eines Fußballspiels zu einer Massenprügelei zwischen Flüchtlingen. Und am Sonntag wurden 13 Flüchtlinge und drei Polizisten in der Flüchtlingsunterkunft Kassel-Calden verletzt, als sich 300 Albaner und 

70 Pakistaner mit Stöcken und Reizgas attackierten. Auslöser war hier eine Rangelei bei der Essensausgabe.

Die Berichte über Streitigkeiten in überfüllten Asyl-Unterkünften häufen sich. Auf den ersten Blick geht es dabei um Lappalien, doch die Hintergründe sind meist tief liegende Konfliktlinien.

Auf dem alten Flughafengelände in Calden sind etwa 1500 Flüchtlinge aus rund 20 Nationen untergebracht. Was aus deutscher Perspektive oft als große Einheit „Flüchtlinge“ wahrgenommen wird, ist de facto eine sehr heterogene Gruppe. 

Streitpotenzial bieten Themen wie Religion, Ethnien, eine gemeinsame Konfliktvergangenheit oder kulturelle Unterschiede. Ein Überblick über die wichtigsten Konfliktlinien:

1. Religion

Im August kam es in einem Flüchtlingsheim im thüringischen Suhl zu heftigenAusschreitungen, nachdem ein Flüchtling Koranseiten in der Toilette heruntergespült hatte.

„Gerade wenn es um religiöse Tabus geht, sind viele Flüchtlinge sehr sensibel“, sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, im Gespräch mit FOCUS Online. Das hänge auch mit negativen Vorerfahrungen in den Herkunftsländern zusammen.

Christen und Muslime

Potenzial für religiöse Konflikte gibt es in jeder Flüchtlingsunterkunft. Die beiden größten Gruppen unter den Asylbewerbern sind Christen und Muslime. Grundlegende Wertvorstellungen können hier ebenso zu Streit führen wie unterschiedliche Alltagsgewohnheiten.

Die meisten Flüchtlinge aus Serbien und Eritrea sind hingegen Christen. Das Verhältnis von Jesiden und Christen gilt allgemein als unkompliziert. Zwischen Christentum undIslamkommt es aber immer wieder zu Konflikten.

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„Ich kann in meinem Asylbewerberheim nicht offen sagen, dass ich Christ bin. Dann werde ich bedroht“, sagte ein Flüchtling  aus einem Asylbewerberheim im südlichen Brandenburg kürzlich der Zeitung „Welt“. Die Muslime in seiner Unterkunft wollten ihn zwingen, nach den Gesetzen der Scharia zu leben, berichtet der junge Mann. Er habe sogar Todesdrohungen bekommen. Auch der Berliner Pfarrer Gottfried Martens wird zitiert und bestätigt die Berichte des christlichen Flüchtlings. Er beschreibt ähnliche Probleme in anderen Unterkünften, in denen Christen beispielsweise daran gehindert würden, ihre Speisen in der Gemeinschaftsküche zuzubereiten. "Vor allem Christen, die vom Islam konvertiert sind, haben als Minderheit zu leiden", sagt Martens.  

Die meisten Streitigkeiten gibt es laut Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, zwischen den Anhängern verschiedener islamischer Strömungen: „Da kämpfenSunnitengegen Schiiten, da gibt es Salafisten unterschiedlichster Ausprägung. (…) Frauen werden zur Verschleierung gezwungen. Männer werden gezwungen zu beten. Islamisten wollen dort ihre Werte und Ordnung einführen“, so Wendt gegenüber „ntv“.

2. Rassismus/Diskriminierung

„In den Erstaufnahmerichtungen finden sich die Flüchtlinge oft in ihren Herkunftsstrukturen wieder“, sagte Konfliktforscher Ulrich Wagner von der Universität Marburg FOCUS Online. Gemeint sind damit Strukturen, die stark an das bekannte Freund-Feind-Schema aus dem Heimatland erinnern.

Schon aufgrund der Sprachbarriere sei eine Durchmischung der Flüchtlingsgruppen mit unterschiedlicher Herkunft oft nicht möglich. Deshalb bildeten sich in den Unterkünften Gruppen, die sich ganz gezielt voneinander abgrenzen.

Abgrenzung zum Beispiel zwischen Albanern und anderen Gruppen

Auch Polizeigewerkschafter Radek sieht bei Massenschlägereien wie in Calden „sich solidarisierende Gruppen“ als Ausgangssituation. Dort waren es Pakistaner und Albaner; in Trier Albaner und Syrer und in Hamburg Eritreer und Albaner.

Diskriminierung von Schwarzen

"Natürlich haben wir auch unter den Flüchtlingen ein Problem mit Rassismus", sagte Helmuth Stoll, Referent für Migration bei der Diakonie „Zeit Online“. In vielen Ländern des Nahen Ostens sei beispielsweise die Diskriminierung von Schwarzen alltäglich, heißt es weiter.  In vielen Staaten der arabisch-islamischen Welt wurde lange Zeit mit afrikanischen Sklaven gehandelt, was das Denken der Menschen zum Teil bis heute prägt.

Abwertung gegenüber Roma

Auch Roma leiden häufig unter Diskriminierung – nicht nur in ihren Herkunftsländern. In vielen Europäischen Staaten sehen sich Roma mit dem Vorurteil konfrontiert, ein Volk von Bettlern, Kriminellen und Landstreichern zu sein. Dieses Vorurteil existiert auch bei manchen Flüchtlingen – dementsprechend ablehnend stehen sie Roma gegenüber.

3. Ethnisch

Ein Beispiel für ethnisch begründete Konflikte, die sich in Flüchtlingsunterkünften ergeben können, ist die angespannte Beziehung zwischen Kosovo-Albanern und Serben.

Streit um den Kosovo

Der Streit um die Eigenständigkeit des Kosovo ist tief verwurzelt und ist selbst für viel junge Serben und Albaner, die nicht direkt aus den betroffenen Gebieten stammen, Teil der ethnischen Identität geworden. „Unter normalen Umständen würde man sich wahrscheinlich aus dem Weg gehen und es käme nicht zur Konfrontation“, sagt Konfliktforscher Wagner. Im Flüchtlingsheim sei das aber nicht möglich.

4. Bürgerkrieg/Konflikte aus den Heimatländern

Besonders brisant werde es, wenn direkte Konfliktparteien aus den Herkunftsländern in Deutschland nah beieinander untergebracht werden, betont Meyer. Als Beispiele nennt er Türken und Kurden, Sunniten und Schiiten und auch jesidische und sunnitisch-arabische Iraker.

„Das Risiko ist groß, dass bei solchen Konstellationen Konflikte fortgeführt werden“, so Meyer. Besonders wahrscheinlich seien persönlich motivierte Racheakte. Viele Jesiden haben ihre Familie bei Angriffen durch sunnitische Islamisten verloren, im Irak werden sie von der Terrormiliz Islamischer Staat als „Ungläubige“ verfolgt. Treffen sie nach den traumatischen Erfahrungen auf überzeugte Muslime, kommt es vor, dass sie ihre Wut auf sie projizieren.  „Einstige Opfer könnten hier zu Angreifern werden“, so der Experte.  

5. Kulturelle Unterschiede

Gegenüber den komplexen ethnischen, religiösen und politischen Konflikten, die das Zusammenleben der Flüchtlingsgruppen beeinflussen, wirkten die kulturellen Unterschiede teils geradezu „banal“, so Konfliktforscher Wagner. Dennoch fielen diese Probleme letztlich ebenso ins Gewicht.

Körperliche Nähe oder Lautstärke

Gemeint sind Kommunikationsprobleme, die zu Missverständnissen und so zu Streitigkeiten führen. Als Beispiele nennt der Experte die Wahrnehmung körperlicher Nähe und die Lautstärke im Gespräch. Während sich die Angehörigen einer kulturellen Gruppe durch das Unterschreiten eines bestimmten Mindestabstands bedrängt oder bedroht fühlen könnten, sei das für eine andere Gruppe ganz normal und üblich.

Ähnlich verhalte es sich mit der Gesprächslautstärke: „Werden in der eigenen Kultur Konflikte eher ruhig ausgetragen und plötzlich erhebt der Gesprächspartner die Stimme, wirkt das aggressiv – auch wenn es nicht so gemeint ist.“ 

6. Perspektive

Auch Neid und Konkurrenzdenken spielen bei Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen eine Rolle. Diejenigen, die keine Aussicht auf Asyl haben, seien oftmals enttäuscht und verärgert, berichtet der stellvertretende Landesvorsitzender der Gewerkschaftder Polizei(GdP) Hessen, Lothar Hölzgen. „Solche Gedanken können die Stimmung schnell negativ aufladen“, sagte er gegenüber FOCUS Online. Die öffentliche Debatte um Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge und deren unterschiedliche Asylansprüche befeuert diese Konflikte zusätzlich.Konfliktforscher Wagner sieht noch ein weiteres Problem, das mit der Zukunftsperspektive der Geflüchteten zusammen hängt: „Der Bildungsstand der Flüchtlinge ist sehr unterschiedlich.“ So fliegen aus Syrien beispielsweise viele gebildete Menschen aus der Oberschicht wie Ärzte, Anwälte oder Ingenieure. Aus manchen Ländern Afrikas kommen hingegen viele Analphabeten. Im Zusammenleben auf engem Raum können sich daraus Probleme ergeben.

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