Dienstag, Mai 7, 2024
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Russland fast ohne Asylanten? Deutsche Menschenrechtler vermitteln ihre Erfahrungen mit Flüchtlingen

Flüchtlinge und ihre Kinder haben laut der Fachbereichsleiterin bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Anke Giesen, die gleichen Rechte wie deutsche BürgerInnen. Im Rahmen eines Menschenrechtsdialogs besprachen deutsche und russische Menschenrechtler in Moskau Unterschiede der Asylsysteme bzw. Integrationsproblematik.

Die Konferenz zum Thema „Migrations- und Asylprobleme in Deutschland und Russland“ fand im Rahmen des Deutsch-Russisches Jahres der Menschenrechte im Moskauer Menschenrechtszentrum „Memorial“ statt und war Teil eines längeren Forums zu den Menschenrechten in den beiden Ländern. Finanziert wird es vom Auswärtigen Amt von Heiko Maas und dient offenbar dazu, die Erfahrungen Deutschlands bei der institutionellen und praktischen Umsetzung der Menschenrechte an Russland zu übermitteln.

So sprach die Berliner Vertreterin Anke Giesen auf der Konferenz vor allem über ihre Arbeit mit den Flüchtlingskindern. Giesen erinnerte unter Verweis auf die Kinderrechtskonvention, dass sie die gleichen Rechte wie die deutschen Kinder hätten und entsprechend der Schulpflicht die Schule besuchen müssten. Sollte die Mutter oder der Vater – also ein Flüchtling – sich anders benehmen, als der deutsche Staat es wolle, ihrem Kind Gewalt antun oder diesem den Schulbesuch verweigern, werden sie in einem „Gespräch“ vor den Folgen gewarnt. Helfe dies nicht, greife der Kinderschutzdienst des Bezirkes ein, so Giesen.

Demokratieförderung bei den Flüchtlingen „ohne demokratische Wahrnehmung“

Die Ankunft der Flüchtlinge bereitete Giesen zufolge mehrere Herausforderungen für die Stadtdienste, auf die man offenbar wenig vorbereitet gewesen war. Die Wohnheime seien übervölkert, es gebe da sogar keinen Spielplatz bzw. einen Platz für die Hausaufgaben der Kinder. Die Badezimmer und Toiletten würden eben von allen geteilt, so dass Kinder und Frauen Angst vor sexuellen Übergriffen hätten. Bei Kindern sehe es so aus, dass sie normalerweise erst Deutsch lernen würden, bevor sie in die Klassen integriert würden, so die Fachbereichsleiterin bei der Senatsverwaltung.

Zugleich gab Giesen zu: „Nicht alle Flüchtlinge und Migranten teilen die in der deutschen Verfassung und Konvention festgelegten Werte. Viele Familien üben Gewalt aus und erkennen die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht an.“

In einer multinationalen Stadt wie Berlin wisse man aber längst, wie man mit solchen Familien sowie wie man mit den traumatisierten Kindern umzugehen habe. Bis zur gleichen Rechtsausübung durch die Flüchtlinge habe man aber „viel zu tun“.

Für problematische Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien hätten gäbe es eine Lösung, teilte der künstlerische Vorstand der Menschenrechtsorganisation Inside Out mit Sitz in Stuttgart, Alexej Boris, seine Erfahrung mit. Das Präventionsprogramm Respekt Coaches bringt bereits Jugendlichen an bundesweit 168 Standorten in Bayern, Baden-Württemberg und in Hessen bei, sich vor Radikalisierung zu schützen. Sein Programm heißt „Toleranz, Identität, Empowerment und Demokratie“ und umfasst innerhalb von anderthalb Jahren Workshops und Module zur Demokratieförderung bei den Flüchtlingen „ohne demokratische Wahrnehmung“.

„Jugendliche bringen die Probleme ihres Landes, ethnische Konflikte mit und reflektieren keine Einstellung dazu. Unsere Aufgabe ist es, ihnen diese Reflexion beizubringen“, sagte Boris.

Auch ohne Sprachkenntnisse übermittle man ihnen Demokratie „auf nonverbaler Ebene“. Es sei wichtig, ihnen zu erklären, welche Spielregeln in der deutschen demokratischen Gesellschaft gelten würden, so Boris.

„Keine Asyl-Institution in Russland“

Die bekannte russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina bemängelte ihrerseits, dass es in Russland kein Asyl als rechtliche Institution gebe. Sie griff auf die Zahlen der Asylanten in Russland zurück. Nach ihren Angaben waren es nur 572 Asylanten Anfang 2019 und nur 592 Anfang 2018, obwohl es seit 1997 „einen Erlass des Präsidenten zur Erteilung von politischem Asyl gibt“. Zwar gibt es in Russland sogenannte vorübergehende temporäre Flüchtlinge – etwa 76.000 Anfang 2019, die meisten allerdings aus der Ukraine. Mehr als 270.000 Ukrainer waren im Jahr 2015 laut UN-Angaben noch nach Russland geflüchtet. Viele von Ihnen hätten schon die russische Staatsbürgerschaft bekommen, behauptet Gannuschkina. Sie kritisierte übrigens, dass eine Familienzusammenführung in Russland ohne Sprachtest und ohne eine Beschäftigung vor Ort unmöglich sei. Darauf erwiderte ein Zuhörer aus dem Publikum, dass auch in Deutschland ein Sprachtest unvermeidlich sei – allerdings würde da schon ein Ergebnis auf dem A1-Niveau ausreichen, während die russischen Forderungen etwa dem B1-Niveau entsprechen würden.

Viel wurde über die Menschen aus Russland diskutiert, die aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland umziehen wollen und da Asyl beantragen. Das wird ihnen allerdings verwehrt.  Hinsichtlich der Diskussionen über die nordafrikanischen Mittelmeer-Flüchtlinge und ihre Fluchtfaktoren lässt sich die Frage stellen, wie diese in Deutschland dann angemeldet werden.

Auf der einen Seite sind nicht alle davon Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention, auf der anderen Seite sind Hunger und Armut laut manchen Linken-Politikern ebenfalls „ein Fluchtfaktor“, während die Lebensbedingungen in den libyschen Flüchtlingslagern menschenunwürdig sind. „Sie kriegen normalerweise eine Duldung in Deutschland“, erklärte Anke Giesen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen „nicht in die Heimat zurückgeschickt werden können“. Sie würden eben minimale Rechte bekommen und dürften bleiben.

„Probleme nicht in Kulturen, sondern in verschiedenen Modernisierungsniveaus“

„Gesellschaften in ländlichen Gebieten sind natürlich geschlossen“, bedauerte Giesen generell.

„Unser Ministerium ist jedoch der Ansicht, dass interkulturelle Probleme nicht in unterschiedlichen Kulturen, sondern in verschiedenen Modernisierungsniveaus liegen.“ Giesen ist sich sicher: In den größeren Städten habe man „eine offene Gesellschaft“, wobei die Menschen „mit archaischen Weltansichten“ es schwer hätten, denn ihre Sitten würden dem Modernisierungsniveau Deutschlands nicht entsprechen. Geschlossene Strukturen innerhalb der Menschen mit Migrationshintergrund gebe es manchmal als Folge.

„Es ist klar, dass es (in den Integrationsprozessen – Anm. d. Red.) niemals 100 Prozent Erfolg geben wird“, sagte Alexej Boris weiter, – „Aber eine demokratische Gesellschaft muss dies aushalten. Je offener die Gesellschaft wird, desto mehr Konflikte und umso akuter sind sie.“ Es gebe auch eine andere Form der Radikalisierung, fügte Swetlana Gannuschkina hinzu, – wenn die Menschen dann auf ihren traditionellen Eigenheiten bestehen und damit die Rechte der anderen verletzen würden.

„Wir haben in Russland eine Rahmenkonvention über die Minderheitenrechte. Jeder vergisst aber, dass der Staat jedem Angehörigen einer ethnischen Minderheit das Recht einräumen muss, diese Minderheit zu verlassen.“ Gannuschkina verwies damit auf Fälle sowohl in den kaukasischen Republiken als auch in Deutschland, wenn z.B. 14-jährige Mädchen von ihren Familien gewaltsam verheiratet werden oder mit volljährigen „Partnern“ zusammenleben sollen.

„In Berlin gibt es über 50 Jahre Erfahrung, dass Menschen, die zu uns kommen, sich durch Frauen in die deutsche Gesellschaft integrieren“, sagte Giesen zum Schluss.

Die Frauen aus Ländern mit wenigen Frauenrechten würden diese Chance besonders hoch schätzen und ihren Kindern vermitteln. Je mehr Kindergärten für sie auch gebührenlos würden, desto besser. „Eine große Zahl von Menschen aus anderen Ländern kommt zu uns, aber wir wissen ja noch nicht, was dann passiert“, resümierte die Berliner Kinderrechtlerin.

Quelle!:

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