Montag, Mai 6, 2024
StartPolitikEuropa„Soldaten als geopolitisches Bauernopfer“: Besatzungsmacht Deutschland im Irak? – Bundestagsstreit

„Soldaten als geopolitisches Bauernopfer“: Besatzungsmacht Deutschland im Irak? – Bundestagsstreit

Muss die Bundeswehr raus aus Irak? Das irakische Parlament fordert ein Ende der militärischen Präsenz aller ausländischen Truppen. Doch die geschäftsführende Regierung in Bagdad wünsche sich nach Darstellung von Außenminister Maas eine Fortsetzung des deutschen Einsatzes. Die Opposition im Bundestag warnt vor einer deutschen Besatzung des Landes.

Ein Antrag der AfD-Fraktion, die Zustimmung für das Bundestagsmandat „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Irak“ zu widerrufen, wurde am Mittwochabend im Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt. Neben der großen Koalition stimmten auch Kritiker des umstrittenen Einsatzes aus anderen Fraktionen gegen den AfD-Antrag.

Zum Auftakt der Bundestagsdebatte betonte Außenminister Heiko Maas (SPD), eine Fortsetzung des Kampfes gegen den IS* sei wichtig und im europäischen Interesse. Vertreter der gesamten Bundesregierung hätten am Dienstag den irakischen Premierminister Abdul Mahdi getroffen, um über das internationale Engagement gegen den IS zu sprechen. „Der Premierminister – das kann ich Ihnen berichten – hat bestätigt, dass Bagdad an der Fortsetzung dieses internationalen Engagements großes Interesse hat, und hat sich in den Gesprächen mit uns für einen Verbleib der Bundeswehr im Irak ausgesprochen“, erklärte Maas und fügte hinzu, dass man auch an der Resolution des irakischen Parlamentes, die einen Abzug aller ausländischen Truppen fordert, nicht vorbeikommen werde.

Deshalb sei es richtig, dass die Verantwortlichen in Bagdad nicht nur mit der Regierung sprechen, sondern die Regierung auch mit dem Parlament, so der deutsche Außenminister. „Wir haben den Verantwortlichen deutlich gesagt: Wir werden die Souveränität des Irak immer respektieren. Das heißt, wir werden jede Entscheidung, die dort getroffen wird, akzeptieren. Aber wir werben dafür, dass wir die Unterstützung, die wir bisher geleistet haben, fortsetzen können, weil wir alles andere für einen Beitrag zur Instabilität im Irak halten“, so der deutsche Chefdiplomat wörtlich.

„Keine rechtliche Grundlage“

Die Linksfraktion im Bundestag fordert bekanntlich einen sofortigen und vollständigen Abzug der Bundeswehr aus dem Irak. „Es macht in keinster Weise Sinn, Bundesehrsoldaten im Irak zu haben, in einer Situation, wo immer mehr eine Eskalation droht“, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Tobias Pflüger, im Sputnik-Interview. Zwar würde die Bundesregierung darauf hinweisen, dass die Regierung im Irak einen weiteren Aufenthalt der Bundeswehr wünsche, allerdings sei es eine geschäftsführende Regierung, die in Bagdad im Amt ist, gibt Pflüger zu bedenken. „Und das Parlament hat einen gegenteiligen Beschluss gefasst. Insofern wäre es klar, wenn das Parlament sagt, wir wollen den Abzug ausländischer Truppen, dass man sich daran auch hält“, meint Pflüger und verweist dabei zudem auf das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages (WD).

Die Juristen des deutschen Parlaments sehen die Einladung des Iraks von 2014 an die Anti-IS-Koalition – zu der auch Deutschland gehört – als zentrale völkerrechtliche Grundlage für die Präsenz ausländischer Truppen im Irak. Doch ob die Bundesrepublik mit ihrer Truppenpräsenz im Irak gegen das geltende Recht verstößt, bleibt zunächst umstritten. Denn nach der Einschätzung der Experten für Völkerrecht im Bundestag müsste Bagdad die damalige irakische Einladung, „völkerrechtlich wirksam durch seinen Präsidenten vertreten“, zurücknehmen. Erst dann wäre die Truppenpräsenz völkerrechtswidrig, heißt es in der Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste. Eine derartige Aufforderung blieb bisher jedoch aus.

Doch im Bundestagsmandat zum Irak-Einsatz hieße es, man beziehe sich sowohl auf die Einladung der Regierung von 2014 als auch darauf, dass das irakische Parlament die ausländischen Truppen vor Ort begrüße, ergänzt der Verteidigungspolitiker der Linkspartei. „Inzwischen ist es so, dass das Parlament in Bagdad dies nicht mehr wünscht. Damit ist es de facto so, dass die irakische Regierung den Beschluss des Parlaments umsetzen muss. Insofern ist die rechtliche Grundlage für die Bundeswehr in der Form, im Irak zu sein, nicht gegeben, wie es in dem entsprechenden Bundestagsbeschluss formuliert wurde“.

Deutsche Soldaten als „geopolitisches Bauernopfer“?

Zudem sei von vornherein der Bundeswehreinsatz im Irak ein verkorkster Einsatz gewesen, bemängelt Pflüger. Das Problem bei diesem Bundestagsbeschluss sei, dass alle möglichen Bundeswehreinsätze in einem einzigen Beschluss zusammengefasst wurden: „Sowohl die Tornados, die über Irak und Syrien fliegen als auch die AWACS-Beteiligung, als auch die Ausbildung, die sowohl in Erbil als auch in Tadschi und in Bagdad stattgefunden hat.“ Dadurch sei die Grundlage für den Einsatz in der Form nicht mehr gegeben, „also muss er auch als Gesamtes beendet werden“, bedauert der Linken-Politiker.

Pflügers Parteifreundin in der Bundestagsfraktion, Heike Hänsel, warnte in ihrer Rede vor dem Plenum, dass die Bundeswehrsoldaten beim Verbleib in der Region Gefahr liefen, zu Besatzungssoldaten zu werden. „Wir haben auch erst gestern Nacht wieder Angriffe auf US-Basen durch Raketenbeschuss erlebt. Es ist ungeheuerlich, muss ich sagen, dass Sie die deutschen Soldaten wie bei einem Schachspiel als Bauernopfer einsetzen, um Ihren geopolitischen Einfluss in der Region zu wahren“, empörte sich Hänsel.

Der Unionspolitiker Dr. Norbert Röttgen argumentierte in der Debatte zur Lage im Nahen und Mittleren Osten wie Außenminister Maas und plädiert für eine Fortsetzung des deutschen Engagements gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Bizarrer Weise widersprach Röttgen zugleich seiner eigenen Forderung: „Wenn wir nicht gewollt sind, wenn die USA nicht gewollt sein sollten, dann können wir nicht da sein.“ Denn, obwohl die irakische Regierung nach den Ausführungen von Außenminister Maas eine weitere Präsenz der Bundeswehr im Irak wünsche, so gilt dies nicht mehr für die USA. In einem Telefonat mit US-Außenminister Mike Pompeo soll der irakische Premierminister die US-Regierung aufgefordert haben, eine Delegation nach Bagdad zu entsenden, um den „sicheren Abzug“ der US-Truppen zu organisieren.

AfD fordert „Respekt vor dem irakischen Parlament“

Überrascht von dem „Eierkurs“ der Bundesregierung zeigte sich der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Armin Paulus Hampel: „Sie wackeln hin und her. Ja, der Regierungschef ist nur ein kommissarischer Premier. Dann muss man abwarten bis da eine neue Regierung ist. Aber dieses Haus ist der Auftraggeber der Bundeswehr – einer Parlamentsarmee. Und wenn der Bundestag die Entscheidung des irakischen Parlaments, die fremden Truppen nach Hause zu schicken, ablehnt, ist das ein Armutszeugnis für die Bundesrepublik Deutschland. Wir sollten dieser Entscheidung folgen. Das sind wir dem Respekt vor dem irakischen Parlament schuldig“, so Hampel.

Außenpolitiker Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) fordert mehr politisches Engagement Deutschlands im Irak: „Wenn ich jetzt diejenigen Reden hier höre, die mir erklären, wie denn die Bundeswehr dort ISIS bekämpft, dann verstehe ich eine Sache nicht: Wir bilden Soldatinnen und Soldaten aus, die aber in der Befehlskette am Ende des Tages gegen die Sunniten eingesetzt werden. Deshalb: Hören Sie um Gottes willen auf, eine Aufgabe der Politik der Bundeswehr zu übertragen, die die Bundeswehr nicht leisten kann!“ Europa brauche weit mehr Beiträge aus der Politik, weit mehr Engagement, weit mehr Investitionen politischer Art im Irak, damit die Reform des Sicherheitssektors dort vorangetrieben werden könne, unterstrich Nouripour.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer traf nach Angaben ihres Ministeriums in Bagdad hochrangige irakische Militärs zu Gesprächen. Sie hatte zuvor den Fliegerhorst Al-Asrak in Jordanien besucht, von wo aus das deutsche Kontingent im Einsatz gegen den IS geführt wird. Dort sind etwa 290 deutsche Soldaten im Einsatz.

Aus dem Zentralirak waren die deutschen Soldaten und Einheiten anderer Staaten abgezogen worden, nachdem die USA in der Nacht zum 3. Januar den iranischen General Ghassem Soleimani mit einem Luftangriff gezielt getötet hatten. Als Reaktion darauf feuerte der Iran Raketen auf von US-Truppen genutzte Stützpunkte im Irak. Im nordirakischen Erbil sind nach wie vor etwa 90 deutsche Soldaten für die Ausbildung kurdischer Kräfte in der Region stationiert.

Quelle!:

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