Donnerstag, Mai 2, 2024
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„Spionage unter Freunden“: Westliche Geheimdienste gegeneinander

Die US-Geheimdienste sind nicht darauf angewiesen, dass die Bundesregierung ihnen das Spionieren erlaubt. Das sagt Erich Schmidt-Eenbohm, Mitautor des Buches „Spionage unter Freunden“. Wenn es um konkurrierende nationale Interessen geht, kennen westliche Geheimdienste, auch der BND, keine Freunde und keine Grenzen, erklärt der Experte im Interview.

Im Zusammenhang mit dem Abhörskandal der National Security Agency (NSA) in den USA wurde auch die Spionage des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegen Verbündete und internationale Organisationen ein politisches Thema. Seit mehreren Jahren beschäftigt sich damit ein Bundestagsuntersuchungsausschuss.

Mit ihrem Buch „Spionage unter Freunden“ haben nun Christoph Franceschini, Thomas Wegener Friis und Erich Schmidt-Eenbohm das Verhältnis des BND zu seinen wichtigsten Partnern im Westen über sechs Jahrzehnte hinweg analysiert. Es ist unlängst im Links Verlag erschienen.

Die drei ausgewiesenen Geheimdienstexperten behandeln das Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation am Beispiel der Nachbarländer Österreich, Schweiz und Frankreich genauso wie die konfliktreichen Beziehungen mit Großbritannien, Italien und den skandinavischen Ländern sowie den USA. Die Autoren stützen sich auf Akten der Organisation Gehlen und des BND, auf freigegebene Akten ausländischer Nachrichtendienste sowie auf Materialien und Nachlässe einst einflussreicher Agenten.

Am 18. Mai stellten Verlag und Autoren das Buch im Berliner Spionage-Museum vor. Erich Schmidt-Eenbohm beantwortete danach Fragen von Sputnik.

Herr Schmidt-Eenbohm, gibt es ein Fazit zu diesem Buch, das ja aus Einzelbeiträgen besteht?

Die Partnerdienstbeziehungen zwischen der Organisation Gehlen und des BND zu verschiedenen westlichen Partnern sind durchaus unterschiedlich. Aber als grobes Fazit lässt sich feststellen, dass es „Spionage unter Freunden“ gibt: Auf der einen Seite immer Partnerdienstbeziehungen mit Austausch von Informationen da, wo es um gemeinsame Interessen ging, zum Beispiel die Aufklärung des Ostblocks, aber dass die Fronten genauso hart aufeinander prallten, wenn es unterschiedliche nationale Interessen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren westlichen Verbündeten gab. Das heißt, der Bundesnachrichtendienst wurde auch beispielsweise in Italien zur Wirtschaftsspionage eingesetzt, als es darum ging, ein deutsches Farbfernsehsystem gegenüber dem französischen durchzusetzen.

Die Geheimdienste der westlichen Staaten haben auch, wenn die Interessenlage so war, gegeneinander gearbeitet?

Sie haben grundsätzlich auch gegeneinander gearbeitet, das heißt sich gegenseitig aufgeklärt, damit man im Bedarfsfall weiß, wo operieren BND-Leute. Das war für die Amerikaner immer ganz besonders wichtig, diesen von ihnen gegründeten Dienst unter Kontrolle zu halten. Aber der größte Gegner, von der Intensität der Gegenwehr her, war eigentlich der italienische Nachrichtendienst. Da mussten wir aus italienischen Geheimdienstakten erfahren, dass die alle BND-Mitarbeiter abgehört haben, nicht nur im BND-Büro, sondern auch privat. Die haben die observiert, und der italienische Nachrichtendienst hat sogar über acht Jahre hinweg einen Doppelagenten gegen den BND geführt, dessen Auftrag lautete, das Italienbild des BND zu steuern und zu schönen.

War das von Anfang an so, seitdem der BND und seine Vorgängerorganisation aufgebaut worden ist?

Also von vornherein gab es diese nachrichtendienstlichen Doppelspiele. Aber die sind sehr viel intensiver geworden in den 60er Jahren. Wenn Sie in die entsprechenden Auftragsbücher des Bundesnachrichtendienstes – damals streng geheim – schauen, da heißt es: Es gibt eine wachsende Konkurrenz zwischen den Industrienationen und darum muss unser Aufklärungspotenzial gegenüber den westlichen Staaten nachhaltig gestärkt werden. Da gibt es dann auch einen großen personellen Aufwuchs. Schwerpunkt war natürlich auch im Personal die Ost-Aufklärung. Aber man hat dann schon in den 60er Jahren mehrere hundert Mitarbeiter auf die West-Aufklärung angesetzt.

Lassen sich da Kontinuitäten zeigen oder entdecken, die bis in das Heute hinreichen?

Es gibt eine Vielzahl von Kontinuitäten: Die erste ist die historische, wo wir feststellen konnten, dass beim Aufbau dieser ganzen Partnerdienstbeziehungen überwiegend Beziehungen aus der Zeit vor 1945 zur Tragfähigkeit beigetragen haben. Also da, wo zum Beispiel NS-Nachrichtendienstler in den skandinavischen Staaten während des Zweiten Weltkrieges eingesetzt waren. Aber natürlich gibt es auch heute noch diese Kontinuitäten, wo Nachrichtendienstler teilweise sich gut kennen, teilweise kooperieren, aber auch im Bedarfsfall gegeneinander richten.

War die Überraschung von Angela Merkel zum Beispiel, als die NSA-Aktivitäten bekannt geworden sind, gespielt oder war das eine echte Überraschung?

Es war eine emotionale Reaktion, weil sie durch das Abhören ihres eigenen Handys nachhaltig persönlich betroffen war. Von politischem Verstand war die nicht geleitet, weil nach Aussage aller wesentlichen Verfassungsschützer alle Regierungsmitglieder frühzeitig davor gewarnt wurden, dass es nachrichtendienstliche Angriffe auch von befreundeter Seite gibt. Und es ist eigentlich ein Grundwissen aller Bundeskanzler, dass sie im Visier der CIA überwiegend, aber auch der Briten, der Franzosen, teilweise sogar der Niederländer standen.

Der Historiker Josef Foschepoth hat sich mit der Telekommunikations- und Postaufklärung im Kalten Krieg beschäftigt und hat dabei Akten herausgefunden, die auf alliierte Sonderrechte für die westlichen Geheimdienste in der Bundesrepublik hinweisen. Er fasste dann in einem Interview angesichts der Enthüllungen zur NSA zusammen: Die NSA darf alles! Er verwies dabei auf diese alliierten Sonderrechte.

Das ist wissenschaftlich ungesichert. Es war deutlich, dass bis zur Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 die Alliierten das alleinige Recht zur Post- und Fernmeldekontrolle hatten. Dann ging das in deutsche Befugnisse über, allerdings immer verbunden mit der Regelung aus dem Nato-Truppen-Statut, dass die alliierten Dienste hier zu Absicherung ihrer eigenen Streitkräfte entsprechenden Abhörmaßnahmen unternehmen dürfen. Das haben die sehr, sehr weitherzig ausgelegt. Das heißt, sie haben eigentlich eine intensive wirtschaftliche, militärische und politische Spionage getrieben unter diesem Deckmantel. Das hätte alles enden müssen mit dem „2+4-Vertrag“. Offensichtlich gibt es aber geheime Absprachen – auf die haben wir keinen Zugriff, die können wir nicht beweisen –, dass auch nach dem Wiedergewinnen der vollen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland mindestens die Amerikaner und die Briten sich weitere Rechte zum elektronischen Spionieren in und gegen die Bundesrepublik Deutschland vorbehalten haben. Aber selbst wenn es diese Rechte nicht gäbe, die technischen Möglichkeiten der NSA sind so, dass man dazu das Einvernehmen einer Bundesregierung auch gar nicht mehr bräuchte.

Wobei sich ja Geheimdienste selten an gesetzliche Regelungen oder Verträge halten, das ist ja keine Überraschung …

Alle Nachrichtendienste dieser Erde haben juristische Grenzen. Und alle Nachrichtendienste dieser Erde sind stets geneigt, über diese Grenzen zu springen.

Das, was Sie mit Ihren Kollegen in Ihrem Buch vorstellen, riecht nach politischen Konsequenzen, auch mit Blick auf die jüngsten Informationen über die CIA-Aktivitäten in dem Konsulat in Frankfurt/Main. Ist mit möglichen politischen Konsequenzen zu rechnen? Oder wo halten Sie diese für notwendig?

Im transatlantischen Verhältnis wird es überhaupt keine Konsequenzen geben. Zyniker sagen, dass durch den NSA-Skandal die NSA jetzt umso unbefangener und freiherziger und noch intensiver spionieren darf. Auf europäischer Ebene gibt es einige positive Signale, wie das deutsch-schweizerische No spy-Abkommen vom Januar dieses Jahres. Ich gehe davon aus, dass das nicht das einzige Abkommen ist, das die Bundesregierung auf diesem Felde verhandelt, sondern dass wir alsbald auch mit anderen Staaten wie Österreich, Dänemark oder den Niederlanden solche Übereinkünfte erzielen, nicht jedoch mit den absolut hartleibigen Briten, die nicht nur den Brexit wollen, sondern auch weiterhin die nachrichtendienstliche Konfrontation.

Noch eine Frage zu Ihren Quellen: Sie haben gesagt, dass Ihre Untersuchungen und das Buch unter anderem auf freigegebenen CIA-Dokumenten beruht – mehreren zigtausend. Wie kommt das zustande, dass ein Historiker bzw. Geheimdienstforscher, der ja selbst von Geheimdiensten beobachtet wird, an CIA-Akten herankommt?

Die CIA wurde 1998 gesetzlich verpflichtet, alle Akten frei zu geben, wo es sich um die Kooperation mit NS-Kriegsverbrechern handelte. Das ging sehr zögerlich vonstatten: 2001 gab es die ersten Freigaben, 2003 etwas mehr, mittlerweile Tausende von Akten, die aufgrund von Druck von Bill Clinton und der jüdischen Lobby in den Vereinigten Staaten ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Da sitzen viele Historiker dran, aber es ist bei weitem noch nicht alles aufgearbeitet. Wir haben uns natürlich bemüht, auch aus dem Bestand des Bundesnachrichtendienstes, bei dänischen, norwegischen Nachrichtendiensten Akten zu bekommen. Und alles, was derzeit auf dem Weltmarkt in dieser Hinsicht zu bekommen ist, das ist auch in dieses Buch eingeflossen.

Der allergrößte Aktenumfang ist von der CIA, aber es gibt auch durchaus qualifizierte Akten aus dem Pullacher Archiv oder aus Archiven in Stockholm oder Kopenhagen.

Haben die in Langley gewusst, an wen sie die Akten geben und was dem folgt?

Die CIA-Mitarbeiterin, die uns diese sieben DVDs mit 50.000 Aktensätzen überantwortet hat, hat sicherlich nicht gewusst, welchen Ruf ich in der Bundesrepublik Deutschland habe.

Der Geheimdienstexperte leitet das Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim (http://www.geheimdienste.info/)

Interview: Tilo Gräser

Quelle: https://de.sputniknews.com/politik/20170521315826594-spionage-geheimdienst/

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