Mittwoch, Mai 1, 2024
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Terror-Opfer: „Der Staat lässt Terroristen laufen und hilft den Opfern kaum“

„Ich habe als Opfer des Anschlags auf den Breitscheidplatz die Hölle erlebt“, sagt Andreas Schwartz im exklusiven Sputnik-Interview. Staat und Behörden kritisiert er drastisch: „Nur durch Staatsversagen konnte der feige Anschlag geschehen.“ Zudem sei die Hilfe für alle Betroffenen „lächerlich“. Politiker und Therapeuten bestätigen die Vorwürfe.

„Für mich war es erschütternd“, erinnert sich Andreas Schwartz im Interview. Er war Opfer und Überlebender des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im vergangenen Dezember. „Es war Grauenvoll. Ich sah, wie Menschen getötet worden sind. Überrollt worden sind. Das war ein Bild des Grauens.“ Die Hölle habe sich für ihn aufgetan.

Der heute 48-jährige Berliner sah vor einem Jahr, wie der islamistische Attentäter Anis Amri den LKW auf den Markt – und auch auf ihn selbst – zusteuerte. Schwartz sprang weg – und half danach trotz eigener Verletzungen sogar noch anderen Terror-Opfern. Aktuell ist er in therapeutischer Betreuung und darf aufgrund der Verletzungen seinen Beruf als Kraftfahrer nicht mehr ausüben. Heute sagt er: „Es ist richtig traurig, wie mit uns Opfern letztendlich umgegangen wird.“

Jagd auf Terroristen? „Der Staat hat total versagt“

„Durch das gesamte Staatsversagen ist dieser feige Terroranschlag passiert“, so Schwartz. „Ich finde es genauso traurig, dass die Minister, die da versagt haben, immer noch im Amt sitzen. Wie zum Beispiel ein Herr de Maizière, der sich grinsend vor Kameras hinstellt und sagt: Wir Deutschen müssen lernen, mit dem Terror umzugehen. Warum muss ich das? Warum sind unsere deutschen Behörden nicht in der Lage, vernünftig zu arbeiten?“

Schwartz bezog sich auf die vielen Versäumnisse und Ermittlungspannen deutscher Sicherheits- und Polizeibehörden im Fall Amri. „Was schon bekannt ist, das zeigt ein komplettes Behördenversagen in fast allen Bereichen“, stellte Karsten Woldeit (AfD), Vize-Vorsitzender des Amri-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, gegenüber Sputnik klar. „Das zeigt, wie das Vorgehen mit straffälligen Migranten vonstattengeht.“ Anis Amri sei mehrfach straffällig geworden, Behörden hätten ihn im Visier gehabt: Wegen Körperverletzung, Drogenhandel und ähnlichem. „Und alle diese Verfahren – unabhängig vom Terrorverdacht – sind eingestellt worden.“ Zudem habe es kaum Austausch und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Polizeibehörden auf Bundes- und Länderebene gegeben – trotz zahlreicher Hinweise. So hatte die Berliner Landespolizei Medienberichten zufolge einige Monate vor dem Anschlag entsprechende Hinweise vom Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen zur Person Amri erhalten – und ignoriert. „Da fehlen einem die Worte“, so der Innenpolitiker Woldeit.

„Menschenunwürdig“: 141 Euro Monatsrente

„Es gibt eine Opferentschädigungsrente“, verriet Schwartz. „Lächerliche 141 Euro im Monat. Das ist das, was ich erleben durfte. Allgemein auch die weiteren Verletzten und traumatisierten Menschen. Das ist menschenunwürdig, wie sie mit uns umgehen. Das ist unterste Schublade.“ Das Bundesamt für Justiz sei das einzige Amt gewesen, das „wirklich versucht hat, mit uns unbürokratisch umzugehen, was Entschädigungen betrifft.“ Aber hier kritisiert er, dass diese Gelder „nach Katalog abgerechnet“ werden. Zuvor hatten Mitglieder aller zwölf Familien der Todesopfer vom Breitscheidplatz in einem Offenen Brief die dürftige staatliche Unterstützung kritisiert. „Das ist die Realität dieses deutschen Staates“, pflichtete der Terror-Überlebende diesem Anliegen bei. „Versprochen wird schnelle, unbürokratische Hilfe. Aber unbürokratisch geht in Deutschland nichts. Das ist der springende Punkt: Das man sich mit den Behörden rumärgern muss. Ich selbst musste mir einen Fachanwalt nehmen, der meine Rechte durchzusetzen versucht. Es ist gravierend.“ Er sagte provokativ: „Stellen Sie bitte mal einen Antrag, drei Tage später, wenn Sie unter Traumatisierung stehen.“

Für Betroffene, die „ein solch traumatisches Ereignis überlebt haben und dann mit Fragebögen bombardiert werden, ist das Ganze natürlich nochmal wie ein Schlag ins Gesicht“, sagte Trauma-Therapeut Dr. Christian Lüdke aus Essen gegenüber Sputnik. „Weil sie keine Hilfe bekommen, die sie erhofft hatten. Stattdessen sind sie mit Formalitäten beschäftigt. Da fehlt vielen Betroffenen das Verständnis.“ Trauma-Forscher Lüdke war direkt nach dem Terror-Anschlag mit seinem Team in Berlin, um auf dem Breitscheidplatz vierzig Überlebende und Betroffene zu behandeln. Sie werden teilweise bis heute von ihm betreut. Geld sei Terror-Opfern weniger wichtig. „Die Betroffenen wollen als Personen wahrgenommen werden, sie wollen Wertschätzung erleben“, erklärte er. „Das zeigen internationale Studien seit vielen Jahren: Je größer die Wertschätzung ist, die Sie einem Menschen in einer solchen Lebenssituation entgegenbringen, desto besser sind seine Heilverläufe.“

Merkel unter Druck: „Deswegen trifft sie sich mit uns“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) traf sich am Montag mit Angehörigen der Terror-Opfer im Kanzleramt, am Dienstag nimmt sie an der Gedenkfeier vor der Gedächtniskirche teil. Schwartz kommentierte diese Teilnahme so: „Merkel trifft sich mit uns am Montag nur aus dem einfachen Grund: Weil sie unter öffentlichem Druck steht. Mehr ist das nicht.“ Er habe auch schon kritische Briefe an Merkel geschrieben. Die Antworten seien enttäuschend gewesen. Die Bundeskanzlerin habe kein Interesse an den Terror-Opfern, denkt er. Auch Kurt Beck (SPD), der Opferbeauftragte der Bundesregierung, bezeichnete dieses Treffen von Merkel als „zu spät“ kommend.

Am Dienstag, dem Jahrestag des Anschlags, sind mehrere Gedenkveranstaltungen auf dem Breitscheidplatz geplant. So wird eine Gedenkstätte eingeweiht: Ein 14 Meter langer, goldfarbener Riss im Boden zeigt alle zwölf Namen der Todesopfer. Kanzlerin Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), weitere Mitglieder der Bundesregierung sowie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der komplette Berliner Senat wollen den Opfern die letzte Ehre erweisen. Der Weihnachtsmarkt bleibt an diesem Tag geschlossen.

Zahlreiche Gegendemonstrationen sind laut der Stadt angemeldet. So wird das Bündnis „Berlin gegen Islamismus“ am Dienstagabend eine Kundgebung am Kurfürstendamm abhalten. „Sicherheitsbehörden müssen ausgebaut werden“, fordern die Veranstalter auf ihrer Homepage. Auch heißt es dort weiter: „Wir sind empört über den Umgang von Politik und Behörden mit den Opfern, Angehörigen und Helfern des Anschlages.“ Das Bündnis rechnet mit 200 Teilnehmern.

Autor:   Alexander Boos    Quelle!

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