Samstag, April 27, 2024
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Traktoren rollen durch Berlin – Bauernprotest gegen Agrarpolitik

Zu viele Auflagen und kein Respekt für harte Arbeit – so sehen die Vertreter der Landwirtschaft ihre Behandlung durch die Politik. Sie fordern eine gemeinsame Lösung und genauere Prüfungen der Verursacher im Fall des Nitrats. Öko-Bauern sehen das differenzierter: Handlungsbedarf ist auf allen Ebenen gefragt – auch mit Blick auf die Klimakrise.

Am Dienstag trafen Tausende Bauern mit mehreren Tausend Traktoren in Berlin zu einer Bauerndemo vor dem Brandenburger Tor ein. Gegenstand der Kritik: die Agrarpolitik der Bundesregierung, die im September in Form des Agrarpakets verabschiedet wurde. Die Probleme aus Sicht der Bauern: Durch die vielen Auflagen wird ihre Arbeit immer mehr bürokratisiert und durch die Einschränkungen etwa bei der Ausbringung von Düngemitteln die Wirtschaftlichkeit von Betrieben gefährdet.

Landwirtschaft soll „kein politischer Spielball werden“

„Wir sind hier, weil wir für bessere Rahmenbedingungen der Landwirtschaft demonstrieren und darauf hinweisen wollen, dass die Landwirtschaft in Zukunft kein politischer Spielball werden darf“, erklärt der niedersächsische Landwirt Stefan Cramm gegenüber Sputnik die Mission der Ackerwirte. „Es fand in der Vergangenheit wenig Austausch zwischen der landwirtschaftlichen Basis und der Politik statt. Die Landwirte müssen wieder Gehör finden. Wir sind nämlich diejenigen, die es umsetzen müssen.“

Über das Anwachsen der Bürokratie beschwert sich der Landwirt Heiko Voß aus Mecklenburg-Vorpommern: „Ich sage mal, etwa 70 Prozent der Arbeit findet heute auf dem Acker und 30 Prozent im Büro statt. Es gibt immer mehr Bürokratie. Wir haben immer mehr Auflagen und werden immer mehr kontrolliert und das ist gerade das, was uns Probleme bereitet“, so Voß.

Außerdem fühlen sich die Bauern aus seiner Sicht schlichtweg finanziell im Stich gelassen: „Wir sind bereit, viel zu machen für die Tiere und auch viel für die Natur, aber es geht darum, zu wissen, welchen Preis wir dafür geben können. Wir müssen unterstützt werden, dann sind wir natürlich auch bereit, mehr zu machen.“ Vor allem die kleineren Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern kämpften sowieso schon „ums Überleben“. „Und die großen Betriebe werden immer größer und die Politik wird kleiner und dünner“, so Voß.

Wer hat hier Mist gebaut? Nitratwerte und Verursacher

Grundsätzliche Kritik lässt Petra Böttcher anklingen, Geschäftsführerin des Kreisbauernverbands Nordwest-Mecklenburg. Es geht um die Einstufung von Bodenflächen als „rote Gebiete“, wenn der Nitratspiegel im Grundwasser zu hoch ist. Ab 50 Milligramm pro Liter Grundwasser müssen die Landwirte bei der Düngung Einsparungen von bis zu 20 Prozent vornehmen. Aber problematisch sind aus Böttchers Sicht nicht die Messungen, sondern das Messstellennetz und die Interpretation der Daten.

„Wir haben die Messstellen kontrolliert und festgestellt, dass der Einfluss gar nicht von der Landwirtschaft herrührt, sondern dass er durch defekte Klärkammersysteme verursacht wird oder durch einen Stall, der ganz in der Nähe der Messstelle liegt“, erklärt sie. Deswegen findet sie: „Wir können das alles akzeptieren, wenn es wirklich so ist, dass das Nitrat landwirtschaftlichen Ursprungs ist – explizit durch Ackerbau verursacht, nicht durch Tierhaltung oder menschliche Fäkalien.“

Doch es gelte immer, nicht nur Messungen vorzunehmen, sondern auch die Verursacher der hohen Werte transparent nachzuweisen. So gebe es auch erhöhte Werte auf dem Gelände früherer Dungproduktionsstätten, die längst nicht mehr im Betrieb sind. An den hohen Werten ist die gegenwärtige Landwirtschaft nicht schuld, aber: „Da wird es noch Jahrzehnte hohe Messwerte geben“, betont Böttcher.

Messstellennetz Deutschlands als Sündenbock?

Ein Kritikpunkt, der auf der Demo auch immer wieder von Teilnehmern genannt wurde: Das Messstellennetz an sich. Denn Landeswirtschaftsministerin Julia Klöckner betont immer wieder, dass die Reduzierung der Düngemittel einfach auf eine Klage zurückzuführen sei, die Deutschland sich durch die hohen Nitratwerte zugezogen habe. Landwirt Cramm sagt, dass Deutschland selbst durch eine Selektion der Messstellen für die Klage gesorgt habe:

„Deutschland wurde verklagt, weil von unserem Messstellennetz ausschließlich Messpunkte, die erhöhte Werte angezeigt haben, angegeben wurden. Deutschland hat das schlechteste Messnetz in ganz Europa gemeldet. Wir haben nach diesem System das schlechteste Grundwasser nach Malta in der ganzen EU. Aber bei uns wurden nur Brunnen gemeldet, die ein Problem hatten. 95 Prozent wurden nicht gemeldet. Fair und transparent wäre es, alle Messstellen zu melden“, findet der Bauer.

Bauern nicht weiter Existenzgrundlage entziehen – FDP

Auch aus der Politik erhält der Protest Rückenwind, namentlich vom agrarpolitischen Sprecher der FDP, Gero Hocker, der gegenüber Sputnik mitteilt: „Heimische Landwirte produzieren bereits heute nach den höchsten Umwelt- und Tierwohlstandards. Trotzdem erhalten sie wenig Wertschätzung und können die erforderlichen Preise nicht erzielen. Wenn die Branche dann noch auf wissenschaftsferner Grundlage mit weiteren Auflagen überzogen wird, die ihr die Existenzgrundlage entziehen, gehen Landwirte zu Recht erneut auf die Straße“, findet Hocker und zieht den Schluss: „Statt Tieren und Umwelt einen Bärendienst zu erweisen, muss Frau Klöckner endlich für europaweite Standards eintreten, sei es bei Tierhaltung oder Pflanzenschutz.“

Ähnlich sieht es auch der Deutsche Bauernverband, der mitteilt: „Landwirtschaft in Deutschland braucht Unterstützung und eine Zukunftsperspektive ohne Überregulierung und Verbotspolitik. Notwendig ist eine grundlegende Überarbeitung des Aktionsprogramms Insektenschutz. Es ist nicht die Frage, ob wir Insektenschutz machen, sondern nur, wie: Kooperativer Naturschutz muss der Weg sein“, heißt es in der Mitteilung. „Das heißt, Landwirte, Politik und Gesellschaft müssen gemeinsam Lösungen finden, wie sich Natur- und Artenschutz weiter verbessern lassen, unter Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe. Wir wollen den Dialog und wir benötigen konkrete, praxistaugliche Ergebnisse.“

Öko-Bauern sehen „Schwarzer-Peter-Spiel“ von allen Seiten

Der Vorsitzende des Bio-Dachverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, teilt mit: „Die Diskussion zu den Bauernprotesten gleicht zunehmend einem Schwarzer-Peter-Spiel: Die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten von den Bauern einen besseren Umgang mit den Tieren und mehr Rücksicht auf die Umwelt – wollen aber am liebsten billig einkaufen. Die Bäuerinnen und Bauern verlangen von der Politik Klarheit darüber, wo die Reise hingehen soll – tun sich aber schwer, Veränderungsbedarf zu benennen. Und die Politik fordert die Kunden auf, mehr Geld für ihre Ernährung auszugeben – scheut sich aber vor der erforderlichen Rahmensetzung.“ Handlungsbedarf besteht aus seiner Sicht also von allen Seiten.

Angesichts einer fortschreitenden Klima- und Artenkrise sieht Löwenstein dringenden Handlungsbedarf: „Die Politik muss jetzt anerkennen, dass ein Umbau von Landwirtschaft und Ernährung unabdingbar ist und dass er Kosten verursacht, die nicht einseitig den Bäuerinnen und Bauern aufgebürdet werden können. Vor allem muss die Europäische Agrarpolitik mit dem Ziel umgestaltet werden, nicht pauschal Flächenbesitz zu belohnen, sondern ausschließlich Leistungen für die gefährdeten Allgemeingüter – also Leistungen, die durch den Markt nicht honoriert werden. Die Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, dass eine Produktion rentabler ist, die Klima, Tiere und Umwelt schützt. Bei Schädigung von Allgemeingütern muss das Verursacherprinzip gelten“, findet zu Löwenstein.

Quelle!:

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