Samstag, April 27, 2024
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US-Sanktionen stärken ungewollt Russlands Wirtschaft: US-Ökonom Michael Hudson Exklusiv

In Berlin-Steglitz sprachen am vergangenen Wochenende renommierte Wirtschaftswissenschaftler auf einer internationalen Finanz-Konferenz. Darunter der Marxist, Trotzki-Patensohn und Wall-Street-Kenner Michael Hudson aus New York. Im Sputnik-Interview vor Ort erklärte der US-Ökonom, wie die Sanktionen der USA ungewollt Russlands Wirtschaft helfen.

Am vergangenen Wochenende zog es viele renommierte Finanz-Experten und Wirtschaftswissenschaftler aus aller Welt nach Berlin-Steglitz. Sie hielten dort im Hotel „Steglitz International“ Vorträge auf der internationalen Finanz-Konferenz „Der Euro wird 20 Jahre alt: Makroökonomische Herausforderungen“. Die Hans-Böckler-Stiftung organisierte unter anderem die Konferenz. Dort saß der New Yorker Ökonom Michael Hudson in einer Podiumsdiskussion gemeinsam neben anderen Wirtschafts-Professoren. Darunter der Ökonom Fabio Henrique Bittes Terra von einer Universität in Brasilien, der Makroökonom Bruna Ingrao von der „Sapienza Universität“ in Rom oder derv Wirtschaftswissenschaftler John McCombie von der berühmten Universität in Cambridge. Die Experten sprachen über aktuelle Herausforderungen für die Weltwirtschaft.

Der kritische Hudson lenkte den Fokus dabei auf soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte in der US-Wirtschaft. Sein Vortragsthema lautete „Rent-Seeking“ und Vermögenspreis-Inflation: Wie die Wirtschaft in den USA immer weiter polarisiert wird. Kein Wunder, dass Hudson zu der Konferenz eingeladen wurde. Denn der US-Finanzwissenschaftler sagte bereits 2006 die spätere Finanzkrise, die Lehman-Brothers-Pleite und die US-„Subprime“-Krise im Immobilienmarkt voraus, die sich ab 2008 zur internationalen Währungs- und Staatsbonds-Krise ausweiten sollte.

Auf der internationalen Finanz-Konferenz in Steglitz gewährte der US-Finanzexperte Sputnik ein Interview vor Ort. Darin erklärte Hudson den Unterschied der US-Schulden-Krise zur europäischen Finanz-Krise – und warum US-Präsident Donald Trump mit seinen Sanktionen gegen Russland am Ende sogar unfreiwillig der russischen Wirtschaft hilft.

Herr Professor Hudson, wir sind hier in Berlin-Steglitz, wo Sie Gastredner einer internationalen Finanz-Konferenz sind. Was ist Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen der US-Schuldenkrise und der europäischen Finanzkrise?

Die europäische Politik der Austerität (Sparpolitik, Anm. d. Red.) basiert größtenteils auf der Steuergesetzgebung in Europa. Das ist der Umstand, dass die Regierungen in Europa nicht in der Lage sind, Gelder in die Wirtschaft zu pumpen. Sie haben zwar mehrere Milliarden Euro aus dem Nichts erschaffen, um diese in der Finanzkrise 2008 in die Aktien- und Staatsbonds-Märkte zu pumpen. Aber sie sind limitiert, wenn es darum geht, der Realwirtschaft zu helfen. Der Grund hierfür ist: Zentralbanken haben „normale“ kommerzielle Banken als Kunden. Und diese wiederum haben große Immobilien-Anbieter, Aktienunternehmen und so weiter als Kunden. Es gibt in Europa keine monetäre oder fiskalische Autorität oder Behörde, die versucht, die Wirtschaft als Ganzes zu fördern.

Ich betone: Die Erschaffung der Euro-Zone war von Anfang an ganz klar gegen die europäische Arbeiterklasse gerichtet. Regierungen wie die in Deutschland wurden natürlich im Vorfeld mit anderen Beweggründen abgespeist. Es herrscht tatsächlich immer noch der Klassenkampf. Und die Zentralbanken – wie die Europäische Zentralbank – sind in Wahrheit eine Faust, eine Waffe, in diesem Klassenkampf des Groß-Kapitals gegen die Arbeitnehmer.

Nun: Das europäische Finanz-Problem ist ein anderes als das Finanz-Problem der USA. In den Vereinigten Staaten haben wir eine Schulden-Inflation. Große Konzerne, viele Individuen, Städte und Bundesstaaten sind dort sehr hoch verschuldet und müssen daher sehr viel Geld aufbringen, um Schulden, Zinsen oder ähnliche Verpflichtungen – auch im Versicherungsbereich – zu bedienen. Die US-Zentralbank Federal Reserve (FED) hatte in den letzten Jahren 4,6 Billionen Dollar aus dem Nichts erschaffen, um diese in den Aktien-, Immobilien und Staatsbonds-Markt der USA zu pumpen. Die Folge war ein dramatischer Anstieg der US-amerikanischen Haus- und Immobilien-Preise.

Das bedeutet für die US-Bevölkerung: Die Menschen müssen immer mehr und mehr zahlen, um sich Häuser und Grundstücke leisten zu können. Ex-Präsident Obama enteignete sozusagen in den letzten zehn Jahren zehn Millionen US-amerikanische Familien, die so ihre Häuser verloren.

Eine weitere Folge: Große Kapitalorganisatoren wie „Blackstone“ und andere Wall-Street-Unternehmen haben diese Immobilien dann günstig eingekauft, um die Mieten und Abgaben dafür zu erhöhen, um so ihre Einnahmen zu steigern. Das Ergebnis daraus ist jetzt, dass die US-Amerikaner immer mehr für „Real Estate“, Grundstücke, Mieten, Versicherungen und Finanz-Produkte zahlen müssen. Deutschland beginnt grade erst, eine „Rentseeking“-Krise dieser Art zu entwickeln. Die Deutschen sind nicht so stark verschuldet wie die Amerikaner. Der Klassenkampf in den USA ist eher finanzmarkt-technischer Art, siehe Wall-Street. Hier in Europa hat die Krise eher fiskalische Ursachen.    

Auf der Finanz-Konferenz hier in Steglitz hatten Sie eine Zahl genannt: Wie viele Millionen US-Amerikaner sind nicht in der Lage, 400 Dollar aus der eigenen Haushaltskasse in einer spontanen Notlage aufzubringen?

Ich hatte dazu Zahlen aus dem „survey of consumer finances“ der Federal Reserve zitiert, der quartalsmäßig erscheint. Laut dieser Umfrage ist die Hälfte aller US-Amerikaner aktuell nicht in der Lage, in Notzeiten schnell mal 400 Dollar zu organisieren. (Das sind etwa 160 Millionen Menschen in den USA, Anm. d. Red.) Eine weitere wichtige Zahl: Für 95 Prozent der US-Amerikaner ist das persönliche Brutto-Inlandsprodukt seit 2008 gesunken. Das ist übrigens ein „Erbe“ der Obama-Regierung, die ganz klar von der Wall Street unterstützt wurde.

Obama hatte zu Amtszeiten immer wieder öffentlich gesagt, dass es sein Haupt-Job wäre, seine Groß-Spender von der Wall Street zu unterstützen, die zuvor wiederum seine Wahlkampagnen mit großzügigen Geldspenden unterstützt hatten. Es gibt einen sehr klaren und sehr bestimmten Klassenkampf in der US-Wirtschaft. Die großen US-Finanz-Akteure wollen die Arbeiter so stark in Schulden verstrickt sehen, dass diese sogar Angst davor haben, Streiks oder gar Massenstreiks zu organisieren.

Das System ist so konstruiert: Sollte es ein Arbeiter in den USA wagen, zu streiken, dann könnte es sein, dass er beispielsweise die Zahlung für seine nächste Krankenversicherungs-Rate verpasst. Das gefährdet dann sofort seinen Arbeitsplatz. Europäer können sich nur schwer vorstellen, was für ein Dschungel mittlerweile die US-Finanzwirtschaft geworden ist. Die Frage ist jetzt natürlich: Sind die heutigen USA die Zukunft für das Europa von Morgen?               

Sie hatten auf der Konferenz den Fachbegriff „financialized economy“ verwendet. Wie würden Sie diese „Finanz- und Kapitalmarkt getriebene Wirtschaft“ beschreiben?

Das ist eine Wirtschaft, in der die gesamte Ökonomie nur deshalb betrieben wird, um den Finanz- und Kapitalsektor zu fördern. Jeder ökonomische Überschuss und Gewinn wird verwendet, um den Schuldendienst – und damit große Finanzakteure wie Banken, Immobilien oder Versicherungen – zu bedienen. Überschüsse werden nicht dazu verwendet, um höhere Löhne zu schaffen oder Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmerschaft zu verbessern. Auch kluge Investitionen werden nicht immer getätigt. Es geht ausschließlich darum, die Renten und Einkommen der Banker, Landbesitzer und Monopolisten zu sichern. Alle anderen sollen verlieren in der „financialized economy“.

Wie bewerten Sie die aktuelle Geld-Politik der US-Zentralbank Federal Reserve: Die Niedrigzinsen und die expansive Dollar-Politik?

Die Aufgabe der Federal Reserve ist es, die wohlhabendsten zehn Prozent der Gesellschaft zu schützen, die etwa 80 Prozent der Kapitalmärkte besitzen. Sie dürfen laut der FED keinen Penny verlieren. Die Fed lässt es sozusagen zu, dass die Wirtschaft als Ganzes verliert. Sie muss sicherstellen, dass ihre Interessenten – die Banker und Monopolisten, die Besitzer der Groß-Banken etc. – niemals Geld verlieren. Im Notfall gibt es einen „Bail-Out“ für diese.

Man denkt so in der FED: Wenn diese großen Finanz-Akteure nur einen Penny verlieren, spricht man von einer großen Finanzkrise. Aber wenn Löhne kollektiv sinken, dann spricht man von Anpassung und Reform. Das ist ein absolutes Ungleichgewicht.

Vielen Dank für diesen Einblick. Wie ist Ihre Sicht auf US-Präsident Trumps Wirtschafts- und Zoll-Politik? Ich nenne nur mal die Zölle gegen China oder die Sanktionen gegen Russland.

Trump hat verstanden, dass Russland sich immer mehr handelsliberaler Methoden bedient. Also Freihandel, Öffnung der Märkte und so weiter vorantreibt. Trump hilft Russland indirekt bei der Entwicklung der eigenen Wirtschaft durch die Sanktionen. Vor allem in den Bereichen Landwirtschaft, Automobil-Technik und weitere. Das hilft Russland zum Beispiel bei der wachsenden Fähigkeit, sich immer weiter eigenständig mit selbst produzierten Nahrungsmitteln zu ernähren. Die USA unter Trump haben sozusagen eine „Mauer“ um Russland errichtet. Diese zwingt das Land nun dazu, frühere Importe wie Käse aus Litauen durch eigene russische Produkte zu ersetzen. Auch wenn immer noch viele deutsche Landwirte für die Russische Föderation produzieren und exportieren.

Trump hilft Russland also eigentlich durch die Sanktionen. Ich denke, Russland wird deshalb damit beginnen, immer mehr industrielle Konsumgüter für den eigenen Markt und für externe Märkte – auch im Westen – zu produzieren.

Die andere Folge der Trump-Politik ist, dass Russland und China aufgrund der Sanktionen immer mehr zueinander getrieben werden. Auch zum Iran. Trump vereinigt die Welt sozusagen gegen die USA. Kein Anti-Imperialist hat jemals das geschafft, was nun Trump unfreiwillig schafft. Die Ironie dabei ist: Trump will das eigentlich gar nicht, er will genau das Gegenteil erzielen. Aber weil er so ignorant ist, passiert das nun eben.

Zur Person: Der US-Ökonom und Kapitalismus-Kritiker Michael Hudson (Jahrgang 1939) lebt, forscht und wirkt im Finanzzentrum New York. Er arbeitete viele Jahre im Finanzwesen für Banken an der Wall Street, darunter die „Chase Manhatten Bank“. Dabei konnte er praktisches Wissen erlangen – stets mit kritischem, marxistischem Blick. Er zählt zur internationalen Spitze der linken Kapitalismus-Kritiker und Finanz-Analytiker und war einst der Patensohn des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, der ab 1928 ins ausländische Exil gegangen war. In jener Zeit erreichte Trotzki ein Buchangebot des Verlags „Simon & Schuster“ aus New York. So kam Hudson bereits in jungen Jahren mit der Wirtschafts-Analyse und Kapitalismus-Kritik von Karl Marx in Berührung, die sein Patenonkel Trotzki ihm politisch vorlebte. Die marxistische Theorie prägte Hudson. Bis heute weist er auf wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeiten in der US-Finanzwelt und der Weltwirtschaft hin.

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