Samstag, April 27, 2024
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Wenn der Nachbar nicht grün genug ist: Österreicher gegen Tschechiens Atomkraft-Pläne

Trotz aller Kritik aus Deutschland und Österreich setzt Tschechien weiter auf Kernenergie. Nun wollen die Niederösterreicher einen neuen Reaktorblock im AKW Dukovany durch die EU verhindern. Sollte es in Deutschland plötzlich dunkel werden, reden wir laut dem Energieexperten Dr. Harald Schwarz wohl auch neu über Kohlekraftwerke und Kernkraftwerke.

Unser Ziel seien 100 Prozent erneuerbare Energie, heißt es seit einigen Jahren aus Wien. Dem bleibt man auch treu: Vor 40 Jahren hatten man beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen, 2004 wurde der letzte Kernreaktor in Seibersdorf stillgelegt. In Tschechien plant man dagegen, den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung bis 2040 auf mehr als die Hälfte zu steigern. Teil des Plans ist auch der Bau eines neuen Reaktorblocks mit einer Leistung von bis zu 2500 Megawatt im AKW Dukovany nahe der niederösterreichischen Grenze. Der soll einen von den vier alten Blocks mit einer Gesamtleistung von 2040 Megawatt ersetzen. Sollte alles gut laufen, wird der Block 2035 aktiviert.

Nun liegt seit Ende August auch das positive grenzüberschreitende UVP-Gutachten vom tschechischen Umweltministerium vor. Der neue Block werde sich auf die Gesundheit der Bevölkerung keineswegs negativ auswirken, heißt es. Beim UVP-Verfahren habe man sich mit allen Nachbarländern, darunter auch mit Deutschland, konsultiert, so in Prag. Was nun bleibt, ist das Investitionsmodell und ein Bauauftrag.

NiederösterreicherInnen gegen Atom

Doch der niederösterreichische Nachbar gibt sich mit dem Gutachten nicht zufrieden. Der Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf und Ex-Ministerin Elisabeth Köstinger (beide ÖVP) wollen prüfen, ob eine beihilferechtliche Klage bei der EU möglich wäre. Noch 2016, als die Baupläne ans Licht gebracht wurden, hatten sie 64.000 Gegenstimmen der NiederösterreicherInnen gesammelt. „Es kann nicht sein, dass manche Länder unter dem Deckmantel des Klimaschutzes nun ihre Atomkraftwerke ausbauen“, so die Botschaft. Atomkraft sei gefährlich, teuer und keine Klimaschutzmaßnahme, meint das Büro von Pernkopf. Ein gewisser Teil der Bevölkerung dürfte sich ängstigen, wie mit dem atomaren Müll und mit möglichen Störfällen umzugehen sein soll. Dazu gebe es eben Sicherheitsbedenken. Länder, die auf Atomkraft setzen würden, sollten keine Regional- und Umweltfördermittel erhalten. Für die Laufzeitverlängerung der bestehenden Reaktoren fordern die Politiker ein neues, grenzüberschreitendes Umweltprüfungsverfahren. Das zuständige Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) hat am vergangenen Freitag dem AKW Dukovany ebenso den Kampf erklärt. In Deutschland haben sich unlängst auch die Grünen-Politiker gegen den Block mobil gemacht.

„Das wäre auch in Tschechien leicht möglich“?

Derzeit betreiben nur noch 14 von 28 EU-Ländern Kernkraftwerke. Durch den gemeinsamen Widerstand war im Juni schon der vorläufige Stopp für den Ausbau des Kraftwerks Mochovce in der Slowakei gelungen. „Wir bieten unseren östlichen Nachbarn Know-How beim Ausbau der Erneuerbaren Energie an“, so Pernkopf und Köstinger weiter. „Niederösterreich deckt 100 Prozent des Strombedarfs aus Erneuerbarer Energie, aus Wasser, Wind, Biomasse und Sonnenkraft. Das wäre auch in Tschechien leicht möglich.“ Der Klimaplan forderte schon jetzt 36 Prozent weniger CO2-Emissionen, das Doppelte von Strom aus Windkraft und das Zehnfache von Sonnenstrom.

Prag zeigt sich wohl wenig überzeugt. Auf dem europäischen Atomforum im April beharrte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš, die Zukunft der tschechischen Energie sei in Atomkraftwerken mit geringer Leistung. Tschechien habe keine vergleichbaren Bedingungen für erneuerbare Energiequellen wie in anderen Staaten, keinen Zugang zum Meer für den Bau von Windparks, keine großen Flächen für Photovoltaikkraftwerke und keinen Platz für andere Wasserkraftwerke. Die Kernenergie liefere dagegen emissionsfreien Strom, der wetterunabhängig sei. „Für uns ist das Atom eine absolut klare Wahl“, so Babiš.

Tschechien nimmt ebenfalls an dem bevorstehenden Ausbau des einzigen ungarischen AKW Paks teil, das mehr als 50 Prozent der gesamten Stromenergie Tschechiens produziert. Der Industrieminister Tomáš Hüner geht schon davon aus, dass die Energiepreise 2035 durch den EU-Markt und nicht in seinem Land beschlossen würden. „Die Frage ist, ob es in Europa und bei unseren Nachbarn genügend Strom geben wird.“ Deutschland stehe ja im Strukturwandel, Polen solle künftig auf seinen zu 85 Prozent Kohle-Strom ebenfalls verzichten. Auch in Österreich sei es knapp im Winter.

Wenn es in Deutschland mal plötzlich dunkel wird…

Im letzten Jahrzehnt ist der Stromimport nach Österreich kontinuierlich angestiegen und liegt mittlerweile bei 16,5 Prozent. Wenn Österreich aus den Nachbarländern viel Strom importiere, unterstütze das indirekt den Bau von Atomkraftwerken in diesen Ländern, kommentierte der Geschäftsführer der IG Windkraft, Stefan Moidl, 2017 gegenüber der DPA. Auch Deutschland entwickelt sich allmählich zum Stromimporteur. Einer Studie der Deutschen Energie-Agentur zufolge wird das Land 2050 im Jahressaldo etwa 134 Terawattstunden – rund 22 Prozent des inländischen Stromverbrauchs – aus dem Ausland importieren müssen, wenn nicht zusätzliche Kraftwerke im Inland gebaut würden.

Wegen des Fukushima-Unfalls 2011 wird Deutschland 2022 eigentlich aus der Kernenergie ausgestiegen sein. „Sollte man heute schon ein Drittel der Kohlekraftwerke abschalten, wird Deutschland nicht mehr genug Kraftwerkskapazitäten haben, um sich selber sicher mit Strom zu versorgen“, mahnt der Energieexperte Prof. Dr. Harald Schwarz von der BTU Cottbus-Senftenberg. „Wird Deutschland in eine Situation mit ungesicherter Stromversorgung geraten?“, lautet eine seiner letzten Studien zum Thema. „Deutschland wird ab 2022 in Zeiten hoher Stromnachfrage auf die Lieferfähigkeit des europäischen Strommarkts angewiesen sein“, sagt der Experte weiter gegenüber Sputnik. Wenn der nicht lieferfähig sei, dann werde es in Deutschland in einiger Zeit dunkel. Sollte das passiert, dann „reden wir vielleicht mal neu über Kohlekraftwerke und Kernkraftwerke“. Es lässt sich noch die Frage stellen, ob die Realität, also Importentwicklung für Strom, nicht den „grünen“ Wünschen widerspricht. 

Nehmen wir an, dass Deutschland jetzt aus dem Strom aussteige und diesen aus dem Ausland beziehe, so Schwarz. Die Verkäufer würden allerdings polnische und französische Kernkraftwerke sein. „Das Argument, dass es regenerative Energiequellen aus dem Ausland sein werden, ist Schwachsinn. Weht kein Wind in Deutschland, ist den Untersuchungen zufolge auch in Polen keiner. Die ganzen Engpässe werden über konventionelle Kraftwerke ausgeglichen.“

Eine Alternative wären allerdings Gaskraftwerke. „Ein Gaskraftwerk hat tatsächlicher weniger CO2-Emissionen bei Verstromung, aber erhebliche durch Transport und Förderung“, bemängelt Schwarz. Wenn Deutschland jetzt mehr Gas über die Nord Streams 1 und 2 importiere, dann stehe in der deutschen Ökobilanz die CO2-Emission für Gaskraftwerke und in der russischen Ökobilanz für Förderung und Transport. „Man wäscht sich die Ökobilanz grün, indem man entweder Strom im Ausland kauft oder Energieträger her transportiert.“ Am Ende ändere sich nicht viel an der Ökobilanz, sagt der Experte abschließend.

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