Samstag, April 27, 2024
StartPolitikEU„Werden wie Tiere behandelt“: Corona-Ausbruch bei Flüchtlingen – Sputnik hakt nach

„Werden wie Tiere behandelt“: Corona-Ausbruch bei Flüchtlingen – Sputnik hakt nach

Flüchtlinge sind dem Coronavirus in Unterkünften und Ankunftszentren ausgeliefert. Davor warnen aktuell Hilfsorganisationen. „Unglaublich: Wir teilen uns alle dieselben Räume mit Covid-19-Infizierten“, kritisiert ein Geflüchteter aus Bangladesch im Sputnik-Interview. Wie ist die Situation in Deutschlands Flüchtlingsheimen?

Berlin zählt aktuell fünf Fälle von Covid-19 in den rund 80 Flüchtlingsunterkünften der Hauptstadt. Infiziert sind vier Bewohner und ein Mitarbeiter, teilte das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten mit. Auch in Hamburg „kommen in Zeiten der Corona-Pandemie weiterhin Geflüchtete an“, meldete der „NDR“ vor wenigen Tagen. „Noch bevor sie im Ankunftszentrum in Hamburg-Rahlstedt registriert werden, werden alle Eingereisten auf Corona getestet.“ In Bayern sind bislang zehn von knapp 1900 getesteten Bewohnern infiziert.

Im Ankunftszentrum für Flüchtlinge in München gibt und gab es mehrere Fälle von Covid-19. Dies bestätigten auf Sputnik-Anfrage die Pressestelle der bayerischen Landesregierung sowie die Flüchtlingsorganisation „The VOICE Refugee Forum Germany“, die bundesweit und auch in München aktiv ist.

Zuvor hatte ein politischer Flüchtling aus Bangladesch, Ruhul Amin Khan, eine Beschwerde formuliert. Er ist im Flüchtlingszentrum in München laut eigenen Angaben selbst von „Isolation und schlechter Behandlung“ betroffen.

„Ich brauche Schutz vor Ansteckung“

Sein Vorwurf: Er müsse sich in der Flüchtlingsunterkunft aktuell seinen Lebensraum mit Corona-Patienten teilen.

„Die Situation hier hat sich noch nicht verbessert“, erklärte Ruhul Amin Khan gegenüber Sputnik am Donnerstag. „Bisher gibt es bei uns drei Corona-Fälle“. Die im Ankunftszentrum München durchgeführten Tests bezweifelt er: „Man kann doch nie wissen, wer noch hier infiziert ist.“ Es sei ein Unding, dass er sich mit anderen Corona-Infizierten dieselben Räumlichkeiten teilen müsse. „Wir teilen uns hier alle die gleiche Kantine und die gleiche Kaffeemaschine. Ich brauche Schutz vor einer möglichen Ansteckung.“

Die Bettdecken, „in denen wir schlafen, sind aus einem Material („dust fiber“), das laut einem Textilingenieur wegen gesundheitlicher Risiken nicht von Menschen genutzt werden sollte. Wir schlafen im Staub: Das führt zu Asthma, Husten und anderen Lungenkrankheiten. Wir haben keine Waschmaschine zur Verfügung.“ Erst nach 14 Tagen habe er nach anhaltendem Protest die Möglichkeit erhalten, einmal Wäsche zu waschen.

„Medizinische Maßnahmen reichen niemals aus“

Täglich komme ein Arzt ins Ankunftszentrum, der „bei uns die Körpertemperatur misst. Die Kranken sind in Quarantäne-Räumen untergebracht.“ Seiner Meinung nach würden diese medizinischen Maßnahmen jedoch nicht ausreichen.

„400 bis 500 Flüchtlinge befinden sich in diesem so genannten Notfalllager in München“, berichtete Amin Khan. Seit etwa 30 Tagen lebt er selbst dort. „Seitdem erhalte ich täglich das gleiche Essen: Meist Pasta und Wasser. Diese einseitige Ernährung schwächt mein Immunsystem“, klagt er. Außerdem kritisiert er die sehr „unhygienischen Zustände“ in der Unterkunft: „Niemand kann sich vorstellen, wie dreckig es hier ist.“

Es gehe nicht um ihn: „Alle anderen Menschen hier leiden genauso unter den Zuständen“, betonte Amin Khan. „Einige von ihnen leben hier bereits seit über drei Monaten.“ Darunter ein Flüchtling, bei dem erst kürzlich Covid-19 festgestellt wurde. „Ein Mann (siehe Foto), der unter einer schweren Lungenkrankheit leidet, hustete sehr stark; er erbrach sich über sein Bett, über andere Betten und auf den Boden. Man kann sich also vorstellen, in welchem Risiko wir hier leben. Der an der Lungenkrankheit erkrankte Mann ist mittlerweile aufgrund unseres Widerstands in ein anderes Zimmer verlegt worden.“

Wie aus einer aktuellen Pressemitteilung der Flüchtlingshilfsorganisation „The VOICE Refugee Forum Germany“ hervorgeht, die der Sputnik-Redaktion vorliegt, gibt es „Anschuldigungen und Protest seitens der Flüchtlings-Community im Ankunftszentrum für Flüchtlinge, Maria-Probst-Straße 14 in München, aufgrund der skandalösen Situation dort nach einem Ausbruch des Coronavirus im Flüchtlingslager.“

Die Organisation verlange „ein Ende der unmenschlichen Situation dort. Wir fordern die unmittelbare und angemessene medizinische Behandlung aller vom Coronavirus und allen anderen Krankheiten Betroffenen! Wir verlangen, dass allen, die von der Isolation betroffen sind, alles Notwendige gewährleistet wird, insbesondere Platz und alle notwendigen hygienischen Maßnahmen. Wir fordern das Ende der Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern, wo sie in viel zu engen Räumen zusammengepfercht werden, was der Ausbreitung von Infektionen Tür und Tor öffnet. Wir verlangen dezentrale Unterkünfte für Flüchtlinge. Wir verlangen den Stopp von Abschiebungen.“

„Bundesregierung muss reagieren“

„Wir rufen die bayerische Landesregierung und die deutsche Bundesregierung auf, im Interesse der öffentlichen Gesundheit alle Flüchtlinge unverzüglich aus den Lagern zu entlassen und in denzentralisierten, normalen Wohnungen unterzubringen. Wir rufen zu einer unverzüglichen Intervention für Hilfe auf!“

Diese Forderungen an die Politik haben weiter Bestand, wie Osaren Igbinoba, ein Sprecher von „The VOICE Refugee Forum“, gegenüber Sputnik am Mittwoch erklärte. Außerdem stehe die Hilfsorganisation in täglichem Austausch mit Amin Khan in München.

Nachgehakt bei Bayerns Regierung

Daraufhin hakte die Redaktion bei der zuständigen Stelle im Freistaat Bayern nach, die für das Ankunftszentrum in München verantwortlich ist.

„Im Rahmen unserer Untersuchungen wurde bei drei Bewohnern des Ankunftszentrums eine Infektion mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) festgestellt“, sagte die Pressesprecherin der Regierung von Oberbayern, Verena Gros, gegenüber Sputnik am Donnerstag. „Wobei die ersten beiden positiven Testergebnisse am 6. März 2020 vom Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) der Landeshauptstadt München mitgeteilt wurden. Das dritte positive Ergebnis folgte am 12. März. Unverzüglich nach Bekanntwerden der positiven Testergebnisse wurden in Abstimmung mit bzw. auf Anordnung des RGU jeweils die betroffenen Personen und deren unmittelbare Kontaktpersonen isoliert.“

Die von diesen Maßnahmen betroffenen Personen „waren bzw. sind in enger Abstimmung mit dem RGU gesondert geschützt untergebracht. Die positiv getesteten Personen wurden zu zweit und die dritte Person allein in jeweils einem Quarantänezimmer untergebracht. Die Kontaktpersonen der Kategorie 1 wurden zu mehreren Personen in einem Zimmer untergebracht. Erkrankungen dieser Personen, die einer Zusammenlegung entgegen gestanden hätten, waren nicht bekannt. Erst nach mehreren Tagen wurden wir über die Lungenvorerkrankung einer dieser Personen informiert. Daraufhin haben wir diese Person umgehend in ein Einzelzimmer verlegt.“

„Wachleute schreien uns an“

Dieser Darstellung widersprach Amin Khan im Interview. „Viele Flüchtlinge, die nicht als krank bestätigt sind, sind in dasselbe Zimmer gepackt worden, allein auf Basis des Verdachts ohne Anzeichen des Virus“, sagte er.

„Die Wachleute schreien sie an und stoßen sie gewaltsam in den Raum zurück, wo sie ohne Essen und ohne Waschmaschine zur Reinigung von Kleidung und Bettwäsche sind. Ihnen wird nicht erlaubt, Essen oder Tee aus der Kantine zu holen. Sie stellen unser Essen auf den Boden, was vollkommen unhygienisch ist. Sie behandeln uns wie Tiere. Sie stellen nicht genug Essen zur Verfügung, dieser Stress führt bei mir zu Herzproblemen, und ich fühle mich schon so schwach, was mein Immunsystem völlig niederdrückt. Es besteht kein klarer Informationsfluss zwischen den Sicherheitsleuten und der Regierung, da unterschiedliche Anordnungen zur selben Zeit erlassen werden. Dies ist nicht nur ein ernsthaftes Problem für die Flüchtlinge, sondern auch für ganz Deutschland.“

Zu keinem Zeitpunkt „wurden die Maßnahmen vom Sicherheitsdienst mit körperlicher Gewalt durchgesetzt“, stellte demgegenüber die Pressestelle der Regierung Oberbayerns klar. „Die Betroffenen wurden über die Notwendigkeit und voraussichtliche Dauer der getroffenen Maßnahmen informiert und aufgeklärt. Die vom RGU nach dem Infektionsschutzgesetz angeordneten Maßnahmen wurden von der Regierung von Oberbayern umgehend und konsequent umgesetzt.“

Aktuell gebe es im Ankunftszentrum der Aufnahmeeinrichtung Oberbayern in München nur „noch einen positiv auf das Coronavirus (SARS-CoV-2) getesteten Bewohner und sieben Personen, die unter häuslicher Quarantäne stehen. Diesen Personen geht es soweit gut. Sie werden regelmäßig ärztlich überwacht und sind symptomfrei. Weiterhin werden Sie mit kalten und warmen Mahlzeiten versorgt, unter anderem mit frischem Obst und Snacks. Weiterhin stehen ihnen unter anderem Kartenspiele, Brettspiele und Bücher zur Verfügung. Weitere Wünsche können die Betroffenen jederzeit äußern. Die Versorgung der Personen in Quarantäne insbesondere mit frischer Wäsche war und ist stets gesichert.“

„Desinfektionsmittel fehlen im Camp“ – Flüchtling kritisiert

Alle übrigen Bewohnerinnen und Bewohner des Ankunftszentrums stünden aktuell nicht unter Quarantäne, „unterliegen aber einer besonderen Gesundheitsbeobachtung“, äußerte im Sputnik-Gespräch Pressesprecherin Gros.

„Wir bekommen keine Desinfektionsmittel“, nannte im Interview der Geflüchtete aus Bangladesch einen weiteren Kritikpunkt. „Wir brauchen eine hygienische und gesunde Ausstattung und die dauerhafte Möglichkeit, Wäsche zu waschen. Vor allem brauchen wir getrennte Zimmer und Toiletten für unsere Sicherheit“, so seine Forderung. „Es ist ein schrecklicher Zustand in diesem Camp“, schilderte er. „Die Situation ist für mich von Panik geprägt. Wir rufen um Hilfe!“

Amin Khan wird in seiner Heimat politisch von der dortigen Regierungspartei verfolgt und ist deshalb nach Deutschland geflüchtet. In Bangladesch erwarte ihn Gefängnis oder „der sichere Tod“, sagte er. Seinen Master-Studiengang habe er an einer Universität begonnen, aber noch nicht abschließen können. Sein Asyl-Verfahren laufe aktuell noch.

„Bitte kein naher Körperkontakt“ – Bayerns Regierung

Dessen Kritikpunkt sei nicht wahr, widerspricht die Pressestelle der Regierung Oberbayerns: „Es stehen – auch in München – für Personal sowie Bewohnerinnen und Bewohner ausreichend Seife und Desinfektionsmittel zur Verfügung. Die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner ist gesichert. Insbesondere haben Personen mit Krankheitssymptomen jederzeit die Möglichkeit, ärztliche Hilfe aufzusuchen.“

Außerdem gebe es „Regelungen, die größere Ansammlungen von Bewohnerinnen und Bewohnern, zum Beispiel bei der Speisenausgabe, verhindern sollen. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind außerdem angehalten, stets die empfohlenen Sicherheitsabstände einzuhalten und auf die empfohlenen persönlichen Hygienemaßnahmen zu achten. Die Regierung von Oberbayern prüft die getroffenen Vorkehrungen fortlaufend und passt sie bei Bedarf an neue Entwicklungen an.“

Das Personal in bayerischen Asylunterkünften sei zudem „über Übertragungswege sowie persönliche Schutzmaßnahmen informiert und entsprechend sensibilisiert. Alle seit dem 30. Januar 2020 neu angekommenen Asylsuchenden werden und wurden in Bayern im Rahmen des Registrierungsprozesses verdachtsunabhängig auf das Coronavirus (SARS-CoV-2) getestet und nur bei negativem Ergebnis weitergeleitet“, geht aus der Antwort der oberbayerischen Regierung hervor.

„Flüchtlinge werden aktuell getestet“ – Krisenstab der Bundesregierung

Der Gemeinsame Krisenstab der Bundesregierung – bestehend aus dem Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) – informiert auf der Website des Innenministeriums über die derzeitige Lage für ganz Deutschland. Eine Hauptforderung seit Tagen lautet: „Die Bürgerinnen und Bürger werden angehalten, die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.“

Diese Maßnahmen gelten laut Innenministerium auch für Flüchtlinge und „Reisende mit Krankheitssymptomen, die auf eine Corona-Infektion hindeuten könnten. In diesen Fällen werden in Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Ob im Fall von Verdachtsfällen medizinische Untersuchungen, Screenings und ggf. auch Quarantänemaßnahmen (…) vorgenommen werden, obliegt der Entscheidung der jeweils zuständigen Gesundheitsbehörden der Länder auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes.“

Zweck dieser Maßnahme sei es, „zu verhindern, dass infizierte Personen in die Erstaufnahmeeinrichtungen gelangen und dadurch eine Gefahr für die Gesundheit der Bewohner und der Mitarbeiter entsteht.“ Dann könne „im Falle einer Infektion zeitnah über die erforderlichen Behandlungs- und Quarantänemaßnahmen entschieden werden.“

Quelle!:

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »