Sonntag, April 28, 2024
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Wie rettet man eine Nation vor dem Drogenkollaps?

Die US-Gesellschaft steht womöglich vor einer der größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Es ist eine beispiellose Drogenwelle, die das Land erfasst und lange Zeit von der Politik ignoriert wurde.

Wir zeigen auf, wie gravierend das totgeschwiegene Problem wirklich ist und warum eine Eindämmung der Drogenepidemie dennoch nicht in Sicht ist.

Kevin Saunders, Bürgermeister-Anwärter aus dem kalifornischen Marina, hat laut US-Medien vorgeschlagen, halluzinogene Pilze in dem Bundesstaat zu dekriminalisieren und öffentlich zugänglich zu machen. Alle über 21-jährigen Bewohner von Kalifornien sollen ihm zufolge das Recht bekommen, bestimmte halluzinogene Pilze zu besitzen, zu züchten und zu verbreiten. Wie die Zeitung „The Guardian“ berichtet, hat er sich dazu entschieden, weil ab 2018 auch Marihuana legalisiert werde.

Die Argumentation des amerikanischen Lokalpolitikers ist jedoch skurril.

Die Halluzinogene sollen dabei helfen, „die politische Spaltung zu überwinden und das Gemeinschaftsgefühl unter den Menschen wiederherzustellen“. Er selbst habe es dank dieser Pilze im Jahr 2003 geschafft, von seiner Heroin-Abhängigkeit wegzukommen.

Eine Droge soll also eine andere ersetzen und die Nation vor dem Untergang retten?

Man mag versuchen, den Vorstoß von Saunders als Träumerei eines alternativen Lokalpolitikers abzutun, wenn es dennoch nicht ein Strukturproblem der amerikanischen Gesellschaft aufzeigen würde – nämlich dass die amerikanische Gesellschaft vor einer voranschreitenden Zersetzung durch Drogenflut steht und keinen echten Fahrplan für deren Lösung sieht.

Denn die Vereinigten Staaten erleben zurzeit eine der schlimmsten Drogenepidemien in der Geschichte des Landes. Ganze Regionen im mittleren Westen der USA werden durch massenhaften Konsum von Opioiden leergefegt. Die Mittelschicht in diesen Regionen – das Grundgestein der amerikanischen Gesellschaft – verkommt.

Vor allem Heroin und künstliche Substanzen wie Oxycodon und Fentanyl überschwemmen den Markt. Eine Dosis Heroin soll in manchen Städten bereits für zehn Dollar zu kaufen sein. Insgesamt hat sich der Konsum der Opioiden in den letzten 25 Jahren verdreifacht. Die Zahlen der von der Epidemie Betroffenen und Toten erinnern eher an Verlustberichte aus einem Krieg als von einer Gesellschaft im Frieden. Allein im letzten Jahr starben fast 60.000 Amerikaner an diesen Drogen.

Zum Vergleich: Während der beiden Kriege im Irak und Afghanistan zusammen und über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren starben insgesamt rund 6800 US-Soldaten. Die Drogen töten damit in einem Jahr bald zehn Mal mehr Amerikaner in den Vereinigten Staaten selbst als innerhalb von zehn Jahren in zwei Kriegen in anderen Teilen der Welt.

Mehr noch, die Totenzahlen durch Heroin haben vor Kurzem lauf offizieller Statistik die Opferzahlen durch Schusswaffen überholt – und das in einem Land wie den USA, wo das Recht zum Tragen und Einsetzen der Waffe zu den „Grundwerten“ der Gesellschaft gehört. Dabei sollen mittlerweile Millionen Amerikaner heroinsüchtig sein – eine genaue, 100-prozentig glaubhafte Statistik hierfür gibt es allerdings nicht.

Diese katastrophale Lage resultiert aus einer Kombination von mehreren Faktoren. Zum einen sind die Preise für Drogen immens gesunken, ihre Verfügbarkeit dagegen deutlich erhöht. Zum anderen führt das verzerrte Gesundheitssystem in den USA dazu, dass nicht selten Menschen durch eher alltägliche Verletzungen regelrecht in die Sucht getrieben werden.

In vielen Fällen werden schon bei leichteren Verletzungen starke schmerzlindernde Medikamente verschrieben. Eine gewöhnliche Sportverletzung kann daher dazu führen, dass der Patient dauerhaft zur Einnahme von starken schmerzlindernden Mitteln gedrängt wird.

Dadurch entwickeln sich die ersten Suchterscheinungen. Der Patient muss zunehmend mehr und stärkere Medikamente einnehmen, damit diese noch ihre schmerzlindernde Wirkungen entfalten. Durch die Sonderheiten des US-Krankensystems können diese lange Zeit ohne größere Umstände verschrieben werden.

Ist der Patient irgendwann doch an einem Punkt angelangt, an dem der verschreibende Arzt sich weigert, ihm weitere Rezepte auszustellen, oder an dem er sich die teuren schmerzlindernden Medikamente nicht mehr leisten kann, steigen die Betroffenen oft auf das viel billigere und leicht zugängliche Heroin um. So wird aus einem Durchschnittsamerikaner ein Heroinabhängiger.

Notstand ausgerufen

Lange Zeit wurde dieser katastrophale Zustand von der amerikanischen Politik ignoriert oder totgeschwiegen, obwohl das Problem bereits seit Jahren zu betrachten war.

Erst im August dieses Jahres reagierte schließlich die Trump-Administration und entschied sich, angesichts der zahlreichen Opioid-Abhängigen und Toten im Land offiziell den „nationalen Notstand“ auszurufen.

„Die Opioid-Krise ist ein Notstand, und ich erkläre offiziell, dass dies eine Notsituation ist“, sagte Trump.

Gleichzeitig musste der Staatschef zugeben, dass die USA eine Drogenkriese „in diesem Ausmaß noch nicht gesehen“ haben.

„Wir werden eine Menge Geld und Zeit aufwenden, um die Opioid-Krise in den Griff zu kriegen“, betonte er.

Dennoch scheint den amerikanischen Behörden eine konkrete Strategie zur Eindämmung der Epidemie zu fehlen.

Eine schlagartige Reform des Gesundheitssystems, um die Verschreibung starker suchtgefährlicher Präparate zu erschweren, ist kaum möglich: Zum einen übt die Pharmalobby einen entscheidenden Einfluss aus und wird solche Einschränkungen zu verhindern versuchen. Schließlich bringt ihr der leichte und unkontrollierte Verkauf von schmerzlindernden Präparaten Millionen.

Zum anderen erlebt Trump innenpolitisch bei immer mehr Themen eine Pattsituation, da er von politischen Konkurrenten blockiert wird.

Ein Ende der Epidemie ist daher nicht in Sicht und könnte zur größten Herausforderung der amerikanischen Gesellschaft ihrer Geschichte werden. Nicht Waffengewalt, außenpolitische Feinde oder innenpolitische Diversanten scheinen jetzt zur größten Gefahr für Amerika geworden zu sein – sondern das Totschweigen der Probleme durch die eigene politische Führung sowie der Untergang der amerikanischen Mittelschicht.

Quelle!

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