Donnerstag, Mai 2, 2024
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Wien, Dresden, Paris: Was junge Männer in islamistischen Terror treibt

Im islamistischen Terror in Wien, Frankreich und Dresden erkennt Islamismus-Expertin und Lehrerin Birgit Ebel „bekannte Muster: Junge radikalisierte Männer, häufig auch dahinterstehende Netzwerke.“ Das erläutert sie im Sputnik-Interview. Aktuell ist bekannt, dass der Attentäter von Wien Kontakte in die Schweiz und die Türkei gehabt haben soll.

Kujtim F. war 20 Jahre alt, soll IS*-Sympathisant gewesen sein und am Montagabend vier Menschen in Wien, der Hauptstadt Österreichs, ermordet haben. Kurze Zeit nach der Tat erschossen ihn Polizisten. Ein ebenfalls 20-jähriger Syrer steht nach der Messerattacke auf Touristen in Dresden unter Tatverdacht. Die brutale Ermordung des Lehrers Samuel Paty durch Enthauptung in einem Vorort von Paris erschüttert seit Mitte Oktober ganz Frankreich. Der Täter Abdulach A. war gerade einmal 18 Jahre alt zum Tatzeitpunkt.

„Wieder einmal war der Täter ein junger Mann“, sagte mit Blick auf den islamistischen Terror in Wien Anfang der Woche die Islamismus-Expertin und Lehrerin Birgit Ebel im Sputnik-Interview.

Die Pädagogin aus Nordrhein-Westfalen (NRW) ist Gründerin der Präventions- und Aufklärungs-Initiative „extrem dagegen!“, die sich gegen Islamismus und Extremismus einsetzt, nicht nur an Schulen.

In Österreich „war es ein Nordmazedonier gewesen. Ein bestimmtes Muster konnte man in letzter Zeit immer wieder erkennen: Es sind junge Männer, die in der Regel nicht erst kürzlich eingereist sind, sondern meist schon länger in dem jeweiligen Land leben. Diese sind derart rachsüchtig und radikal, dass sie zu solchen Terror-Akten bereit und in der Lage sind. Meist junge Männer, die in der Regel in ihrem direkten Umfeld aufgehetzt werden durch islamistische Prediger – oft in sogenannten Hinterhof-Moscheen.“

Diese religiösen Einrichtungen operieren meist unter dem Radar der öffentlichen und behördlichen Aufmerksamkeit.

Bekanntes Muster: Attentäter von Wien war Behörden bekannt

Laut Medienberichten war der Wiener Terrorist F. polizeilichen und strafrechtlichen Behörden „bekannt“, saß in Österreich zuvor schon im Gefängnis. Dort hat er laut Regierungs- und Medienberichten sogar an einem sogenannten „Deradikalisierungsprogramm“ teilgenommen. Dies sind Kurse für islamistisch geprägte Straftäter, in denen diese sozusagen demokratisch und ideologiekritisch umgeschult werden sollen.

Pädagogin und Islamismus-Expertin Ebel schätzte diesen Hintergrund im Gespräch so ein:

„Deradikalisierung ist eine ganz anspruchsvolle Aufgabe. Sie ist ungeheuer schwer. Doch, wie die letzten Vorfälle gezeigt haben: Dieser Prozess gelingt vielfach nicht.“ Dies sei an einigen islamistischen Straftaten der letzten Jahre – nicht nur aktuell – erkennbar.

„Auch in vielen anderen Fällen ist so gut wie nicht bekannt, dass die Täter in Programmen der Deradikalisierung waren. Das bedeutet doch, dass diese Programme nicht effektiv sind oder unterlaufen werden.“ Im Prinzip müsse der Staat „viel früher ansetzen. Eine Radikalisierung ist ein Prozess: Die Sozialisation des Täters hin zum Gewalttäter ist vielfach schon abgeschlossen, wenn er in solche Programme kommt.“

Islamistischer Terrorismus bedeuten ihr zufolge oft „Todes-Missionen durch junge Männer. Sie scheuen keine Konfrontation, wollen nach der Tat nicht untertauchen – sondern nehmen ihren eigenen Tod in Kauf. Absolut schrecklich. Meiner Erfahrung nach steckt häufig immer jemand dahinter, der diese Männer radikalisiert.“

Wiener Attentäter: Kontakte zur Türkei, auch nach Deutschland und die Schweiz

Bei einem mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag war es am Montagabend an sechs Orten in Wien zu wahllosen Schießereien gekommen. Die Attacken forderten vier Todesopfer und mehr als ein Dutzend Verletzte. Der mutmaßliche Attentäter F. war laut Innenminister Karl Nehammer Sympathisant der Terrormiliz „Islamischer Staat” (auch IS; Daesh)*. Zusätzlich zur Wohnung des mutmaßlichen Täters habe es allein in Wien 18 Durchsuchungen gegeben. Die Ermittlungen würden andauern.

Internationale Medien berichten seit Tagen auch von Verhaftungen sowie Haus- und Wohnungsdurchsuchungen im Ausland. So soll der Täter demnach auch Kontakte zu deutschen Islamisten in Deutschland und der Türkei sowie in der Schweiz gehabt haben.

„Der Attentäter, ein in Österreich geborener junger Mann mit Wurzeln in Nordmazedonien, hatte Verbindungen in die Schweiz, genauer in die radikale Winterthurer Salafisten-Szene“, berichtete die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) vor wenigen Stunden. In dem Alpenland ist ohnehin seit den Ereignissen in Wien eine rege gesellschaftliche und mediale Diskussion um mögliche Terror-Angriffe auf Schweizer Territorium und Sicherheitsmaßnahmen entbrannt.

„Gefahr durch tschetschenische Islamisten-Clans“

Zurück nach Austria: In der österreichischen Hauptstadt existieren laut Terrorismus-Experten islamistisch geprägte Netzwerke tschetschenischer Herkunft, insbesondere seit den Balkankriegen in den 1990er Jahren. Diese Analyse vertritt auch Ebel. „Eines meiner Aufgabenfelder ist die Radikalisierung insbesondere durch Clans, die aus islamistischen Tschetschenen bestehen.“ In ihrer Heimatregion Ostwestfalen-Lippe (OWL), wo die Pädagogin arbeitet, sei dieses Problem seit Jahren bekannt. Sputniknews berichtete in den vergangenen Jahren häufig darüber.

„Viele von denen sind Anfang der 2000er Jahre aus Russland geflüchtet, dann nach Deutschland oder nach Österreich gekommen – und haben sich da etabliert.“ Es sei ein gruppenspezifisches Merkmal für Tschetschenen, dass sie „abgeschottet in ihrer Gemeinden leben“. Dies sei ein Nährboden für radikale Ideologien. „Sie praktizieren auch bei uns die Scharia (sehr strenge Auslegung islamischer Regeln, Anm. d. Red.) und gehen häufig in arabisch-geprägte Moscheen, die als besonders reaktionär und Scharia-nah gelten“, so Ebel.

Sie verweist dabei auch auf einen Artikel in der Zeitschrift „Emma“, den kurz nach der Tat in Frankreich die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer geschrieben hat. „Der 18-jährige A. (…) folgte Paty und schlug wenig später zu. Er enthauptete den Lehrer mit zwei Schlachtermessern. Auf der Flucht attackierte er die Polizisten und wurde erschossen. Dem vorausgegangen war eine neuntägige Hetze im Netz.“ Der junge Täter wuchs „in einer tschetschenischen Community von etwa 60 Großfamilien auf, aus deren Mitte 2018 schon ein Mann in der Nähe der Pariser Oper jemanden umgebracht und mehrere Menschen verletzt hat, aus ‚islamistischen Motiven‘, wie es heißt.“

Tschetschenen „waren für uns bisher im toten Winkel“, so argumentiere momentan der französische Geheimdienst.

Tatmotiv Mohammed-Karikaturen: Der enthauptete Lehrer bei Paris

„Diese unglaubliche, barbarische aber ganz bewusste blutige Gewalttat – gegenüber diesem französischen Geschichtslehrer, der freundlich gewesen sein soll – auf Grundlage von Hetze von Gerüchten: Das halte ich auch jederzeit in Deutschland und anderen europäischen Ländern für möglich“, warnte die Lehrerin aus NRW.

Solche Terror-Anschläge wie zuletzt in Wien, Paris und Dresden, könnten ihr zufolge im Vorfeld „sehr leicht“ geplant und organisiert werden: vor allem durch technische Vernetzung, beispielsweise in den sozialen Medien.

Islamistische Terror-Akte dienen im Westen zur Abschreckung und sollen vermeintliche Stärke symbolisieren. In muslimisch geprägten Ländern und im Nahen Osten sollen sie Ebel zufolge „die unterdrückte Bevölkerung auf Linie bringen, in vorauseilendem Gehorsam“. Als Reaktion auf die jüngsten terroristischen Taten hat die französische Regierung vor zwei Tagen die „Grauen Wölfe“ staatlich verboten, wie europäische und Medien in Frankreich aktuell berichten. Diese islamistisch geprägte Bewegung, in der sich laut Ebel „türkische Rechtsextremisten und Nationalisten“ sammeln, gilt als Kampforganisation der rechtsextremen türkischen Partei MHP, die der Regierungs-Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan nahestehen soll.

Die „Grauen Wölfe“ haben laut Ebel „in jeder mittelgroßen Stadt“ in vielen Regionen Deutschlands mit hohen Migrationsanteil – sowie in anderen europäischen Ländern – Netzwerke, Standorte und „Kulturbüros“. „Logischerweise haben wir deshalb so geprägte und von Radikalisierung gefährdete Jugendliche im Unterricht sitzen. Das ist eine Herausforderung, mit der wir umgehen müssen. Doch ich gehe das an: Ich habe nicht nur deutsche und türkische Schüler, sondern auch kurdische, jesidische, alevitische Schülerinnen und Schüler. Dann diskutiere ich mit ihnen.“

In ihrem Unterricht behandle sie häufig „solche Themen (Meinungsfreiheit, so auch am Beispiel von Mohammed-Karikaturen in französischen Satire-Zeitschriften, Anm. d. Red.). In der Oberstufe bearbeite ich solche Themen regelmäßig, da ich Lehrerin für Deutsch und Geschichte bin. Ich verwende dazu meist eine individuelle Frage-Methode und biete Informationen an, ohne die Schülerinnen und Schüler dabei zu beeinflussen.“ In Gedankenspielen würden dann „Perspektiven-Wechsel“ vorgenommen, so dass sich die Schüler in die unterschiedlich Betroffenen hineinversetzen können.

Problem Radikalisierung: „Schul- und Kultusministerien versagen häufig“

„Ich bin selbst Geschichtslehrerin wie Samuel Paty. Ich muss das machen“, betonte sie. „Ich habe gute Erfolge dabei bisher feststellen können.“ Außerdem hatte sie mit Mitstreitern bereits kurz nach dem Mord eine Gedenkveranstaltung für den geköpften französischen Lehrer in Bielefeld organisiert und abgehalten.

Die Gefahr sei, warnt die Lehrerin, dass in Schulklassen mit erhöhtem Anteil muslimischer Schüler die anderen, nicht-religiösen und nicht-muslimischen Jugendlichen, „diese Angstkultur übernehmen.“ Wieso dürfe der Koran oder der Islam als Religion nicht Thema von satirischen und humoristischen Beiträgen sein, kritisierte Ebel.

Dass sich weder zuständige Schulministerien in Deutschland noch die verantwortlichen Schulleitungen tatsächlich aufrichtig um das Problem der Radikalisierung junger Menschen kümmern, kritisiert die Lehrerin seit Jahren. Nicht nur in Interviews mit Sputniknews, sondern auch gegenüber anderen Medien wie „RTL“, dem Magazin „Cicero“ oder regionalen Medien in Nordrhein-Westfalen äußert sich Ebel aktuell. Jüngst erneuerte sie ihre Kritik in einem Interview mit Zeitungen der Funke-Mediengruppe und sagte:

„Die Schulen sind überfordert mit diesem Islamismus-Problem. Das (FDP-geführte, Anm. d. Red.) Schulministerium lässt uns da im Stich.“

Im aktuellen Interview mit der Redaktion machte sie das konkreter:

„Das bezieht sich nicht nur auf meine Region und meine Schule. Deutschlandweit wird das Problem massiv unterschätzt. Das weiß ich von vielen Kolleginnen und Kollegen.“ Kultusministerien hätten häufig noch nicht einmal pädagogische Materialien für Schüler anzubieten, in denen der Islamismus oder das Thema Jihad kritisch behandelt wird. „Die Schulaufsicht, das gesamte Kollegium, die Ministerien, sie alle müssen diesen Ansatz unterstützen“, forderte sie abschließend.

„Doch davon sind wir meilenweit entfernt: Es wird ausgeblendet, verharmlost und vertuscht. Ein unhaltbarer Vorgang.“

Enthauptung sei außerdem eine – so zynisch es klingen mag – gängige Tötungsmethode von IS*-Kämpfern und Islamisten, vor allem im Nahen Osten. Dort werden immer wieder Jesidinnen und Jesiden – Anhänger einer alten Religionsgruppe – brutal geköpft. Dazu auch versklavt und gefoltert. Gegen solche Gräueltaten wehrt sich die Lehrerin und Islamismus-Kritikerin seit Jahren in ihrer vernetzten Arbeit und versucht, aufzuklären.

Quelle!:

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