Donnerstag, Mai 2, 2024
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„Wissenschaft ist ein klassisches Kollektivgut“

„Campus Kupferbau Flensburg“/N. Simonsen/CC BY-SA 3.0

Mit dem Leitbild der ‘unternehmerischen Hochschule’ kann Torsten Bultmann vom Bund demokratischer Wissenschaflterinnen und Wissenschaftler nicht viel anfangen: Wissenschaft und Betriebswirtschaft seien unvereinbar. Berechtigte Kritik oder realitätsferne Romantik? Ein Gespräch.

Johnny Van Hove: Herr Bultmann, Sie beobachten die Hochschulpolitik seit über 20 Jahren. Fühlen Sie sich noch ein bisschen wohl, wenn Sie die jetzigen Universitäten

betreten?

Torsten Bultmann: Ich bin immer dann an Hochschulen – und das sehr häufig – wenn ich Einladungen folge: in der Regel von Kritiker_innen der herrschenden

Hochschulpolitik. Das sind etwa studentische Gruppen, Studierendenvertretungen, ad-hoc-Initiativgruppen, zuweilen auch Zusammenschlüsse von ProfessorInnen, die mit der aktuellen Entwicklung nicht einverstanden sind. Diese Kritik wird nie verstummen. Das betrifft dann auch die Existenzberechtigung meines Verbandes. Womit die Frage, ob ich mich wohl fühle, eigentlich schon beantwortet ist.

Erkenntnis versus Effizienz

JVH: Ich kann auf jeden Fall erahnen, was Sie sagen wollen. Ist Ihr Unbehagen dadurch bedingt, dass die Hochschulen immer stärker privatwirtschaftlich geführten Unternehmen ähneln? Ist ein wenig ökonomische Vernunft so falsch?

TB: Wissenschaftliche Erkenntnisprozesse und Innovationen auf der einen und betriebswirtschaftliche ‘Effizienz’ auf der anderen Seite sind miteinander unvereinbare Ansätze. Privatwirtschaftliche Unternehmen wollen – genauer: müssen – Profit erzielen. Die Mittel dazu: Geheimhaltung von Patenten und Verfahren, Übervorteilung von Konkurrenten, Verdrängung solcher Konkurrenten vom Markt. Wissenschaft hingegen ist ein klassisches ‘Kollektivgut': sie entwickelt sich – sicher idealtypisch – nur im Medium der Öffentlichkeit, der freien Kritik, der grundsätzlichen Gleichberechtigung aller am Prozess Beteiligten. Es zählt die Qualität des Arguments, nicht Status und Amt der Argumentierenden.

JVH: Die Verteidiger der unternehmerischen Unis werfen den Kritiker_innen vor, die vergangenen Zeiten zu romantisieren. Die Hochzeit des akademischen Elfenbeinturms sei ebenfalls stark hierarchisch gewesen und produzierte wenig gesellschaftlich relevantes Wissen, besonders weil die Anreize fehlten. Wie viel Wahrheit steckt in dieser Aussage?

TB: Selbst wenn sie stimmen würde, wäre das noch kein Beweis dafür, dass die ‘unternehmerische Hochschule’ besser wäre als ihre historisch bekannten Vorläufermodelle.

JVH: Das stimmt. Aber greift das Argument der Gegner_innen nicht teilweise: ist die ‘unternehmerische Hochschule’ tatsächlich nicht ein wenig effizienter und innovativer? Das ist zumindest der gängige Diskurs.

TB: Selbstverständlich war das Wissenschaftssystem auch immer geprägt von außer-wissenschaftlichen Machtverhältnissen und patriarchalischen Hierarchien. Also kein Anlass für Romantik, eher für Kritik, wie sie dann von den 68ern auch massiv vorgetragen wurde.

Dass die ‘unternehmerische’ Hochschule dieses Innovationspotential verbessert, hat sie bisher nicht bewiesen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Der Bamberger Wissenschaftssoziologe Richard Münch etwa vermutet, dass die dominante Wettbewerbsorientierung das wissenschaftliche Innovationspotential der Hochschulen bezogen auf die gesamte Gesellschaft noch weit über das heutige Maß hinaus einschränkt.

JVH: Die Weiterführung dieses Arguments wäre, dass Wissenschaft auch sehr gut außerhalb der Hochschulen betrieben werden kann. Gibt es historische Beispiele dafür?

TB: Der junge Karl Marx etwa strebte zeitweise eine Professur an – und hat nie eine bekommen. Dennoch haben seine späteren Forschungen eine wissenschaftliche Revolution bewirkt und auch Einfluss auf die Universitäten genommen. Walther Benjamin hat seine Schrift »Der Ursprung des deutschen Trauerspiel« – Standardlektüre während meines Germanistikstudiums – vergeblich als Habilitationsschrift einzureichen versucht. Das heißt: Ansätze einer freien und kritischen Wissenschaft, waren als Momente der gesellschaftlichen Praxis – innerhalb und außerhalb der Hochschulen – immer vorhanden und konnten sich gegen bornierte Strukturen immer auch wieder zeitweise durchsetzen und so neue verallgemeinerungsfähige wissenschaftliche Erkenntnisse, die dann auch Einfluss an den Hochschulen bekamen, fördern. Sonst hätte sich eben nichts entwickelt.

Verlierer und Gewinner

JVH: Zurück zum 21. Jahrhundert. Bildungsministerin Johanna Wanka, die selbst lange Rektorin einer Hochschule war, möchte 1 Milliarde in nachhaltige Jobs für den wissenschaftlichen Nachwuchs stecken. Das sind doch erfreuliche Nachrichten?

TB: Na ja! Wer abgedroschenen Politsprech mag, müsste jetzt sagen: „Ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch viel zu wenig…“ Die Meldung belegt immerhin, dass der politische Druck, endlich etwas gegen die Prekarisierung des wissenschaftlichen Mittelbaus zu unternehmen, in den obersten politischen Etagen angekommen ist. Ansonsten wird der fehlende jährliche Investitionsbedarf an den Hochschulen – nach unterschiedlichen Berechnungen – irgendwo zwischen 5 und 10 Mrd. Euro geschätzt.

JVH: Diese fehlenden Milliarden suggerieren: die Liste der ‘Verlierer’ der bestehenden Hochschulpolitik muss viel länger als die der Gewinner sein. Warum ist es trotzdem so schwierig, gemeinsame Interessen zu formulieren bzw. gemeinsame Politik zu machen?

TB: Weil sich immer wieder eine hinreichende Anzahl großer und einflussreicher Universitäten an den Wettbewerben beteiligt, also über die hingehaltenen Stöckchen springt. Allein deswegen, weil sie nur darin eine Chance sehen, ihre Unterfinanzierung bei den Grundausstattungsmitteln ein wenig zu kompensieren.

JVH: Auf Kosten der Mehrheit der Hochschulen, die Verlierer, die von vorneherein keine Chance haben, weil ihnen das Geld fehlt, konkurenzfähig zu sein?

TB: Die Beobachtung, dass die Mehrheit der Hochschulen, insbesondere die kleinen und mittleren Universitäten, die Verlierer des Wettbewerbsmodells sind, stimmt. ‘Theoretisch’ könnten diese innerhalb der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ein politisches Gegengewicht bilden und Widerstand leisten. Dafür ist die HRK allerdings viel zu unpolitisch.

JVH: Ist die ökonomische Verwertung von Wissen, sowie die privatwirtschaftliche Umstrukturieung der Hochschulen, nicht lediglich ein Abbild dessen, was überall sonst auch durchgesetzt wird? Kann Bildung diesen Zwängen überhaupt entkommen?

TB: Die emanzipatorische Bildungsforschung war sich immer in einem Punkt einig: dass es nie gelingen wird, Bildungsprozesse vollständig herrschaftsförmig unter Kontrolle zu bringen. Das hängt schlicht damit zusammen, dass Bildung auch individuelles Denkvermögen und Erkenntnistätigkeit, Phantasie und Kritik, freisetzt. Fähigkeiten also, die sich grundsätzlich gegen auferlegte gesellschaftliche Beschränkungen richten und auf eine Erweiterung subjektiver Handlungsfähigkeit und der Verfügung über die eigenen Lebensumstände zielen können.

JVH: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Verteiler: Neopresse

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