Samstag, April 27, 2024
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Politologe zum Koalitionsvertrag: „Zusammenstoß zwischen Programm und Wirklichkeit“ – Interview

Der Anspruch von SPD, Grünen und FDP, Deutschland umzugestalten, ist enorm. Ganze 42 Mal kommt im Entwurf des Koalitionsvertrages der Begriff Transformation vor. Käme die neue Regierung ihrem Anspruch nach, wäre das nahezu eine Revolution für die Gesellschaft, glaubt der Parteienforscher Werner Patzelt. Doch er bezweifelt, dass es dazu kommt.Der Koalitionsvertrag steht, und damit ist der Weg für die neue Ampel-Regierung geebnet. SPD, Grüne und FDP wollen „Mehr Fortschritt wagen“ und wollen ein „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ sein, wie der Titel des 177 Seiten dicken Werks verrät. Der Staat soll modernisiert, das fossile Zeitalter überwunden, der Wohlstand erhalten und noch dazu der soziale Zusammenhalt gefördert werden. Ganze 42 Mal kommt der Begriff Transformation und 41 Mal das Wort Reform in dem Koalitionspapier der drei Parteien vor.

Kommt die Revolution?

„Diese Regierung tritt klar mit der Absicht an, in Deutschland vieles zu verändern“, sagt Parteienforscher Werner J. Patzelt im SNA-Interview. „Kommt alles so, wie es da drinnen steht, weil sich die Wirklichkeit nicht dagegen wehrt und es tatsächlich ginge, wäre es nachgerade eine Revolution für unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem“, fährt der Politologe fort. Dieser klare Gestaltungswille sei einerseits löblich. „Denn Regierungen, die im Grunde nur verwalten und auf Sicht fahren, hatten wir schon lange genug und nicht immer zu unserem Besten“, bemerkt Patzelt mit Blick auf die Regierungszeit unter Kanzlerin Angela Merkel. Politische Beobachter hatten immer wieder beklagt, dass Merkel sich zwar als „Krisenkanzlerin“ bewährt hätte, wichtige Reformen aber auf der Strecke geblieben seien.„Ob nun dieser Transformationsanspruch die Wirklichkeit, so wie sie nun einmal funktioniert, in Rechnung stellt, daran habe ich meine Zweifel.“Werner J. PatzeltParteienforscher, Professor Emeritus für Politische Systeme und Systemvergleich TU DresdenPatzelt erwartet, dass das Regieren der Parteien „mit Stöhnen, Ächzen und Krachen“ beginnt. Viele der Vorhaben im Koalitionspapier seien tatsächlich wichtig und notwendig. Dazu zähle, Patzelt zufolge, die Aussicht, zu einer „schlüssigen Migrationspolitik“ zu kommen, die Digitalisierung voranzutreiben oder die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Gleichzeitig passe einiges nicht zusammen: „Wie kann man von fossilen Energieträgern wegkommen, wenn man nicht die Atomkraft weiter nutzt? Wie will man zu einer schlüssigen Migrationspolitik in ganz Europa kommen, wenn man im Grunde daran festhält, dass jeder kommen darf, der will und dass die nach Deutschland kommen, dann irgendwie zwangsweise quer über Europa verteilt werden?“, fragt der Politikexperte.

Kollision der Koalition

Der Koalitionsvertrag sei voll mit Wünschen und Absichtserklärungen, von denen ein großer Teil nicht mit der Beschaffenheit der Wirklichkeit zusammenpasse. So hätten es die Koalitionäre vermieden, sich über die konkrete Finanzierung ihrer „reichlichen Ausgabewünsche“ auszulassen. Hier sei ein Zusammenstoß zwischen politischen Gestaltungsabsichten und Wirklichkeit programmiert, glaubt der emeritierte Professor für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Diesen „Zusammenstoß“ mitzuerleben, werde für Analytiker sehr interessant sein und für die Parteimitglieder der Ampel „sehr schmerzlich“.

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