Freitag, Mai 3, 2024
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Wahlrecht mit 16 – cui prodest?

Bei nahezu allen Schlüsselpunkten des von den Ampel-Unterhändlern vorgelegten Sondierungspapiers geht es um Geld: Mindestlohn, Stromkosten, Steuern, Rente… Zwei Punkte betreffen die Klima-Thematik: Kohleausstieg und Tempolimit. Nur ein Punkt hat weder mit Geld noch mit Klima etwas zu tun: geplante Senkung des Wahlalters. Wieso eigentlich?Bei den meisten Kommentaren zum Positionspapier der SPD, der Grünen und der FDP, in dem die Schwerpunkte ihrer voraussichtlichen gemeinsamen Regierungspolitik festgelegt wurden, ging es darum, dass der kleinste der designierten Koalitionspartner, die Liberalen, überraschenderweise ziemlich alle programmatischen Ziele durchgesetzt haben: kein Tempolimit, keine Steueranhebung, Wahrung der Schuldenbremse… Viel weniger Beachtung fand bei den Medien ein Punkt, über den die Partner anscheinend am wenigsten gestritten haben, nämlich eine Senkung des Wahlalters für Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre.„Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken“, heißt es im Dokument.Die Befürworter verweisen darauf, dass das Wählen auf kommunaler Ebene mit 16 in elf Bundesländern schon jetzt möglich ist. Für Landtagswahlen ist dies bereits in Bremen, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein erlaubt.

Die Grünen wären die stärkste Partei, wenn…

Sicherlich haben die Fridays-for-Future-Proteste, die mit dem Klimaschutz als dem immer stärker dominierenden Polit-Trend einhergehen, die Diskussion über das Wahlalter angeheizt. Nicht verwunderlich deshalb, dass die Grünen einheitlich hinter der Forderung nach der Senkung des Wahlalters stehen.

„Die erstmalige Wahlbeteiligung ist ganz entscheidend dafür, ob jemand in Zukunft ein Gewohnheitswähler werden wird“, meint der Wahlforscher Arndt Leininger von der Technischen Universität Chemnitz. Und da die 16- und die 17-jährigen meist noch bei ihren Eltern leben, werde es dann wahrscheinlicher, dass „die Eltern am Wahltag einen einfach mit ins Wahllokal nehmen“, argumentiert der Experte – ohne wahrscheinlich zu merken, dass diese Art von Argumentation einen inneren Widerspruch offenbart: Wenn der Jugendliche von seinen Eltern „mitgenommen“ wird, agiert er quasi nicht gerade völlig selbstständig, was bei einer freien Stimmabgabe doch eine Voraussetzung wäre. Davon ganz zu schweigen, dass dieser Jugendliche in diesem Alter im Regelfall auch von seinen Eltern lebt.

Was allerdings stimmt: Die Wahlbeteiligung der jungen Generation könnte auf diese Weise sehr wohl erhöht werden. Die Zusammensetzung des Bundestags hätte völlig anders ausgesehen, hätten am 21. September nur die Jugendlichen unter 25 Jahren stimmen dürfen: Die Grünen wären dann die stärkste Partei gewesen, gefolgt von den Gelben. Bei den Erstwählern (18 bis 21 Jahre) lag die FDP bei der jüngsten Bundestagswahl sogar vor den Grünen. Das Problem: Die Wahlbeteiligung in der Altersgruppe 60+ war dreimal so hoch.

„Es entscheiden vor allem Ältere darüber, was in unserem Land passiert“, stellt Jessica Rosenthal, Bundesvorsitzende der Jusos, fest, ebenfalls eine Befürworterin der Wahlalterssenkung. „Ich verstehe die Junge Union überhaupt nicht, die sich für die Ziele ihrer Generation nicht einsetzt. Der Druck ist maximal hoch, und wir werden uns dafür einsetzen, dass sich auch die Union in dieser Frage bewegt.“Mag sein, dass sich die Mitglieder der Jungen Union, die sich bisher nicht für die Herabsetzung des Wahlalters haben gewinnen lassen, von dem leiten lassen, was bisher als gesunder Menschenverstand gegolten hat, sowie von der Überzeugung, dass ihre Mamas und Papas nur das Beste für sie wünschen.Von diesem „altmodischen“ Menschenverstand lässt sich auch CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach (69) leiten: „Die Absicht, das Wahlalter abzusenken, halte ich für falsch“, sagt er. „Weil Rechte und Pflichten untrennbar zusammengehören.“Die jungen Leute unter 18 dürfen keinen Handy-Vertrag schließen und keinen Führerschein bekommen. Bei Kriminaldelikten werden sie milder behandelt als die Volljährigen. Wieso denn dürfen sie gleichberechtigt wählen, geschweige denn gewählt werden?

„Das Wahlalter auf keinen Fall absenken!“

So bald wird es wahrscheinlich auch nicht geschehen. Laut Artikel 38 des Grundgesetzes liegt das Wahlalter bei 18 Jahren. Für eine Grundgesetzänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich, für die der Ampel im neuen Bundestag mindestens 70 Stimmen fehlen würden. Die Union würde sich einer solchen Novelle bestimmt in den Weg stellen.Dafür ließe sich aber das Europawahlrecht mit einer einfachen Mehrheit ändern – und die Abgeordneten der SPD, der Grünen und der FDP würden das bis zur nächsten Europawahl 2024 sicherlich versuchen. Sollte ihnen das gelingen, würden sie damit ein zusätzliches Argument haben, um eine Senkung des Wahlalters später auch in der Bundesrepublik durchzusetzen.

„Das Wahlalter sollte auf keinen Fall abgesenkt werden!“ betonte zugleich die Zeitung „B.Z.“. Grund dafür lieferte dem Blatt der neuerliche Skandal um die neue Chefin der Grünen Jugend, die 20-jährige Sarah-Lee Heinrich, und ihre Tweets aus der Pubertät, in denen sie sich rassistisch und schwulenfeindlich geäußert hatte. Zwar entschuldigte sich die junge Politikerin für diese Äußerungen, räumte aber zugleich ein, ihre mit 15 geschriebenen Tweets sollten ihr heute nicht angelastet werden.Nicht weniger schlimm fand das Blatt, dass die erwachsenen grünen Politiker Heinrichs Äußerungen von damals „ganz lässig als Jugendsünde abgetan“ hätten.

„Die gleichen Grünen überhöhen Jugendliche und Kinder zu Weltrettern und besseren Menschen“, hieß es in der Zeitung. „Darum fordern sie, das Wahlalter von 18 mindestens auf 16 herabzusetzen. Die Grüne Jugend möchte sogar die Abschaffung des Wahlalters überhaupt durchsetzen.“Wie paradox das auch klingen mag – es werden nicht die Jugendlichen, sondern eben die Älteren entscheiden, ob das Wahlalter gesenkt wird oder nicht. Und bei dieser Entscheidung werden sie sich ausschließlich von ihren parteipolitischen Interessen leiten.

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