Freitag, Mai 3, 2024
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Altersarmut in Deutschland: Kommt bald die Rente mit 69 Jahren?

Millionen Menschen in Deutschland leben in Altersarmut oder sind davon bedroht. Während die SPD auf die Grundrente baut, wird in Deutschland auch über eine Anhebung des Rentenalters auf 69 diskutiert. „Wer das fordert, hat nicht alle Tassen im Schrank“ sagt der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Matthias W. Birkwald.

Der Rentenexperte Birkwald kritisiert ein höheres Renteneintrittsalter als unsozial und unprofitabel. Der Linkepolitiker ist sich sicher, die SPD-Grundrente sei aber nur ein erster Schritt in die richtige Richtung: Das Problem der Altersarmut werde immer größer, vor allem in Ostdeutschland. Für die Finanzierung einer solidarischen Mindestrente und einem sogar niedrigeren Rentenalter hat Birkwald eindeutige Konzepte, die er Sputnik im Interview vorstellte.

Herr Birkwald, vielen Menschen in Deutschland droht Altersarmut. Die SPD will deshalb eine Grundrente einführen. Große Kritik gibt es daran von Union, FDP und Krankenkassen. Kann die Linke dem Konzept von Arbeitsminister Heil etwas abgewinnen?

Das Konzept von Arbeitsminister Heil hat einen ausgesprochen schlechten Namen. Aber das Konzept ist gut. Es handelt sich nämlich nicht um eine Grundrente, denn es ist im Kern nichts anderes als eine reformierte Rente nach Mindestentgeltpunkten, die es für Menschen aus dem Niedriglohnsektor für Zeiten bis 1991 bereits gibt. 3,6 Millionen Menschen profitieren von dieser Regelung und es kommen sogar jedes Jahr im Durchschnitt 156.000 dazu.

Es ist völlig richtig dafür zu sorgen, dass Menschen die 35 Jahre lang Beiträge eingezahlt haben oder auch andere gepflegt haben, wegen ihrer zu kleinen Rente nicht zum Sozialamt gehen müssen. Wir sagen: Es geht hier nur um das heutige Existenzminimum. Das sind 796 Euro im Durchschnitt netto und für die darf es auch keine Bedürftigkeitsprüfung geben. Deswegen unterstützt die Linke das Konzept von Arbeitsminister Heil.     

Viele Krankenkassen lehnen die Grundrente kategorisch ab. Die Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer warnt „in die alte Welt der Verschiebebahnhöfe“ zwischen den Sozialversicherungen zurückzufallen. Was entgegnen Sie dem?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Rentnerinnen und Rentner können kein Krankengeld beziehen. Und es gibt bereits eine Regelung, dass andere Versicherte, die kein Krankengeld beziehen, 14 Prozent Beitragssatz zahlen und nicht 14,6 Prozent. Warum man dies Rentnerinnen und Rentnern vorenthalten will, ist mir nicht einsichtig. Es wäre nur gerecht, so zu verfahren. Und wenn das dann zur Finanzierung der Grundrente beitrüge, finde ich das auch völlig in Ordnung.

Im Übrigen reicht die Grundrente von Minister Heil nicht. Wir brauchen eine armutsfeste Rente im Alter für alle Menschen. Deswegen fordert die Linke ja eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente von 1050 Euro netto. Und dass das geht, sieht man an unseren Nachbarländern. Ich war gerade in den Niederlanden. Dort bekommen alleinstehende Menschen im Alter, wenn sie 50 Jahre in den Niederlanden gelebt haben, eine Grundrente von 1146 Euro netto. Das ist eine Grundrente, die den Namen auch verdient. Und in Österreich ist es ähnlich: Wer 15 Jahre eingezahlt hat, der hat als Alleinstehender einen Anspruch auf 1088 Euro Mindestrente,  bei 30 Jahren sind es sogar 1223 Euro Mindestrente. Das sind Richtungen, in die wir gehen müssen. Deswegen ist die Grundrente von Minister Heil nur ein erster Schritt, aber den müssen wir unbedingt gehen und da sollten auch die Krankenkassen mitmachen.  

Nun gibt es in Deutschland – und nicht nur da – eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung. Es gibt also immer mehr Rentenempfänger und immer weniger Steuerzahler, die das System finanzieren. Was ist der Lösungsansatz Ihrer Partei, wie soll das alles finanziert werden?

Na die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zahlen ein Drittel der Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung, zwei Drittel werden ja von den Beitragszahlenden aufgebracht. Und unser Lösungsvorschlag hat mehrere Punkte, zwei will ich herausgreifen:

Wir müssen das Rentenniveau dringend wieder auf 53 Prozent anheben. Das würde auch etwas höhere Beiträge bedeuten, aber ich will das mal mit einer Summe deutlich machen, die zeigt, was der Einzelne zahlen müsste: Wer heute 3242 Euro durchschnittlich brutto verdient, müsste 39 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, damit es wieder 53 Prozent Rentenniveau gäbe. Das wäre eine Rentenerhöhung von 10 Prozent und damit würden wesentlich weniger Menschen in die Altersarmut und auch in die Grundsicherung rutschen. Und im Übrigen würden dann auch die Renten der Mittelschicht ansteigen. Das ist dringend notwendig, denn heute liegt die durchschnittliche Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung von über 21 Millionen Rentnerinnen und Rentnern bei nur 1000 Euro.

Den zweiten Punkt hatte ich eben schon benannt: Wir werden auch dadurch, dass immer mehr Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien, die jetzt und in Zukunft in die Rente kommen, unbedingt eine solidarische Mindestrente brauchen. Die stelle ich mir nicht als Grundrente vor, sondern wir sagen: Wenn beispielsweise jemand einen gesetzlichen Anspruch von 800 Euro erworben hat und er hat vielleicht noch 50 Euro Riesterrente, dann sind das 850 Euro. Und selbst wenn er noch 100 Euro Betriebsrente hat, dann sind das 950 Euro. Die Armutsgrenzen liegen aber zwischen 1000 und 1100 Euro. Dann sagen wir, dass wer 950 Euro selber in seinem Leben aus drei verschiedenen Systemen an Rente erwirtschaftet hat, soll er aus Steuermitteln noch ungefähr 100 Euro dazu bekommen. Dieses System gibt es in Österreich. Das bedeutet, es wird aus Steuermitteln das draufgelegt, was ein Mensch braucht, um nicht in Armut leben zu müssen. Und das ist finanzierbar, in Deutschland rechne ich mit einem hohen einstelligen oder einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag, wenn wir das umsetzen würden. 

Einen ganz anderen Vorschlag gab es nun von Prof. Axel Börsch-Supan vom Max-Plack-Institut. Er sagt, das Renteneintrittsalter müsse auf 68 oder 69 Jahre angehoben werden, nur so sei das ganze System finanzierbar. Sollten wir tatsächlich länger arbeiten, zum Wohl der Allgemeinheit?

Wer die Anhebung auf 68 oder 69 Jahre fordert, der hat nicht alle Tassen im Schrank. Verzeihung, aber das ist ein ganz schlechter Vorschlag. Dieser Vorschlag kommt von jemandem, der als Lobbyist für Arbeitgeberinteressen bekannt ist. Ich will Ihnen mehrere Gegenargumente nennen:

Das erste Gegenargument ist, dass in einer aktuellen DIW-Studie erneut deutlich geworden ist, dass die Lebenserwartung von Menschen sehr unterschiedlich ist. Ausgerechnet diejenigen, die in ihrem Leben die körperlich harten Jobs machen, haben häufig die niedrigen Einkommen. Und Männer mit den niedrigsten Einkommen im Alter von über 65 müssen 10,8 Jahre eher sterben, als die reichsten Altersgenossen. Bei den Frauen sind es 8,4 Jahre. Das heißt, wir haben hier gar kein Äquivalentsprinzip. Denn diejenigen, die am wenigsten verdienen und häufig die härteste Arbeit leisten, haben kürzere Rentenbezugsdauern, weil sie eher sterben. Das bedeutet, eine Anhebung auf 68 oder 69 wäre eine deutliche Rentenkürzung, die vor allem diejenigen im unteren Einkommensbereich beträfe. Deswegen ist das voll und ganz abzulehnen.

Schon die Rente mit 67 hat zu einer sozialen Schieflage geführt. Das kritisiert die Linke nach wie vor auf das Schärfste. Es würde derzeit nur 8,10 Euro für einen Durchschnittsverdienenden und seinen Chef im Monat kosten, die Rentenregelaltersgrenze wieder auf 65 zu setzen. Ich habe bei den Beschäftigten noch niemanden gefunden, der die 8,20 Euro bei einem Durchschnittsverdienst, oder 16,20 Euro bei einem Ingenieursverdienst, oder die 4,05 Euro im Niedriglohnsektor und bei einem Teilzeitjob nicht bezahlen würde, um dafür zwei Jahre kürzer zu arbeiten.

Herr Börsch-Supan ist im Übrigen nicht unbedingt ein Experte, der sich gut auskennt. Er hat in der Zeitschrift „Kapital“ im Jahr 2017 faktenwidrig behauptet, die Hälfte der deutschen Haushalte hätte einen Riestervertrag. Das ist nun sowas von falsch. Denn es gab im Jahr 2017 rund 10,9 Millionen geförderte Personen bei Riester und ein Großteil davon hat noch nicht einmal alle Zulagen erhalten. Das heißt, damit kann man den Löchern in der gesetzlichen Rente gar nicht hinterhersparen. Nur 5,8 Millionen, also 17 Prozent der 37 Millionen potentiellen Riester-Sparerinnen und Riester-Sparer haben tatsächlich einen Riester-Vertrag. Wer also schon solche falschen Zahlen in die Welt setzt, da muss man sehr vorsichtig sein, was dieser Herr ansonsten so äußert. 

Wie drängend ist in Deutschland das Problem der Altersarmut? Und welchen Anteil hatte die GroKo bisher daran?

Das Problem der Altersarmut wächst und wächst. Schon heute leben nach EU-Kriterien 1,2 Millionen Männer und 1,6 Millionen Frauen in Deutschland in Altersarmut. Das sind insgesamt 2,8 Millionen Menschen. Da kann man nicht sagen, Altersarmut ist erst ein Problem von morgen oder übermorgen, wie das beispielsweise Gesundheitsminister Jens Spahn gerne tut.

Die große Koalition von heute ist dafür nicht in erster Linie verantwortlich zu machen. Dafür sind in erster Linie SPD, CDU und Grüne zu Beginn des Jahrtausends verantwortlich zu machen – mit ihrer gnadenlosen Senkung des Rentenniveaus, der Teilprivatisierung der Rente und der Entlastung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. In dieser Legislaturperiode hat es nun zaghafte Versuche der Verbesserung gegeben. Ich erinnere daran, dass die Zurechnungszeit bei der Erwerbsminderungsrente angehoben worden ist. Das war übrigens ein Vorschlag der Fraktion Die Linke. Und auch die Tatsache, dass das Rentenniveau nicht weiter sinkt, sondern für sieben Jahre eingefroren wurde, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent rauf. Also auf das Niveau, das wir hatten, bevor Schröder und Riester und Fischer es in den Keller geschickt haben. Wenigstens wird jetzt ein Absinken verhindert. Hier sind Gewerkschaften, Sozialverbände und Linke diejenigen, die das erreicht haben. Und der Vorschlag der Grundrente von Minister Heil ohne Bedürftigkeitsprüfung ist ganz wichtig: Für 800 Euro braucht man keine Bedürftigkeitsprüfung. Bei 1050 Euro bräuchte es auch keine, aber dafür eine Einkommens- und Vermögensprüfung. Auch das ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Das Gleiche gilt für die Angleichung bei dem Rentenwert Ost. Da ist allerdings hart zu kritisieren, dass im Osten die Umrechnung bis zum Jahr 2025 abgeschafft werden wird. Und das wird im Osten für niedrigere Renten als heute sorgen. Insofern liegt hier ein Stück der Verantwortung bei der großen Koalition, wenn die Altersarmut im Osten ansteigen wird.

Zusammenfassend: Ich rechne damit, dass in den nächsten zehn bis 15 Jahren bis zu einem Drittel der Menschen im Alter in Armut leben werden, wenn wir jetzt nicht gegensteuern: Mit einem höheren Rentenniveau, mit mehr Solidarausgleich im Rentensystem und mit einer solidarischen Mindestrente in Höhe von derzeit 1050 Euro netto.    

Quelle!:

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