Sonntag, April 28, 2024
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Am Weltfriedenstag in Berlin: „Sag mir, wo die Blumen sind“ auf polnisch und deutsch

Mit einer Kundgebung hat die Friedensbewegung in Berlin des Beginns des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren gedacht. Mit Reden, Liedern und Informationsständen haben verschiedene Gruppen an den deutschen Überfall auf Polen erinnert und vor heutigen Kriegsgefahren gewarnt. Neben Visionen und klaren Worten hat es aber auch manche Unklarheit gegeben.

„Sag mir wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben? Sag mir wo die Blumen sind, was ist geschehn?“ – dieses berühmte Antikriegslied von Pete Seeger erklang am 1. September, dem Weltfriedenstag, vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf polnisch und deutsch. Damit erinnerte Gabriela Bertin an den Beginn des Zweiten Weltkriegs, als das faschistische Deutschland Polen überfiel. Sie gehört zur Gruppe „Dziewuchy“ polnischer Frauen in Berlin, die sich für Frauenrechte und gegen Feindbilder einsetzen.

Die junge Frau trat im Rahmen einer mehrstündigen Kundgebung mit Reden und Musik auf. Damit erinnerte die Friedenskoordination (Friko) Berlin gemeinsam mit anderen Gruppen im Zentrum der deutschen Hauptstadt an den 1. September 1939. Dabei wurde direkt neben der US-Botschaft nicht nur der Millionen Opfer des Zweiten Weltkriegs – allein rund 27 Millionen in der Sowjetunion – gedacht, sondern auch der Opfer der zahlreichen Kriege danach, zumeist geführt von den USA und ihren Verbündeten.

Eine reale Vision aus Japan

Eine Reihe von Rednern warnten vor der heutigen Konfrontationspolitik gegenüber Russland und dem Iran sowie deren Folgen. Trotz strahlender Sonne und brütender Hitze kamen zahlreiche Menschen ans Brandenburger Tor. Zahlreiche Stände von Initiativen und Friedensgruppen boten Informationen zu den Themen Krieg und Frieden.

Pastor Konrad Knolle vom Dietrich-Bonhoeffer-Verein trug eine „Vision“ vor: „Es ist unser aufrichtiger Wunsch, dass alle Nationen der Welt zueinander in friedlichen Beziehungen stehen, die auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründet sind. Um dieses Ideal zu erreichen, verzichten wir für immer auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nationen. Als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte werden wir keinerlei Gewalt androhen und ausüben. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir von jetzt an niemals wieder Land-, See- und Luftstreitkräfte und niemals wieder Waffen benutzen, um Menschen im Krieg zu töten. Deshalb werden wir niemals wieder Organisationen mit militärischen Funktionen brauchen. Wir erkennen die Behauptung nicht an, dass das Töten von Menschen im Krieg kein Verbrechen ist. Das Recht auf Kriegsführung werden wir dem Staat und allen Staaten niemals zuerkennen.“

Diese „tolle Vision“ gebe es aber bereits, so Knolle: In Artikel 9 der japanischen Verfassung. Japan habe sich eine Verfassung gegeben, die von jeder militärischen Aktion und jedem militaristischem Gehabe absehe. „Warum eigentlich nicht wir?“, fragte der Pastor. „Warum nicht wir in der Bundesrepublik damals? Warum nicht wir nach der Wiedervereinigung?“ Er sagte den Friedensbewegten auf der Kundgebung: „Ohne eine klare Vision werden wir kaum durchhalten können.“

Die reale Aufrüstung in Deutschland

Knolle sagte auch, dass es in Japan seit langem Kräfte gebe, die Artikel 9 der Verfassung abschaffen wollen – weil die USA das Land als Bündnispartner in ihrem imperialen Dominanzstreben im pazifischen Raum brauche. Dabei hatten die USA Japan diese Verfassung nach Kriegsende ditktiert.

Wie schwer es eine solche Vision in der heutigen Bundesrepublik hätte, machte Mitorganisatorin und Moderatorin Jutta Kausch von der Berliner „Friko“ deutlich: „Mit Sorge beobachten wir eine von der Bundesregierung militärisch gestützte Außen- und Sicherheitspolitik. Längst sind Kriegseinsätze der Bundeswehr sowie Aufträge zur Militärausbildung fremder Truppen zur alltäglichen Praxis geworden.“

Sie nannte es „erschreckend“, dass die Bundesregierung seit 2016 milliardenschwere Investitionen in Aufrüstung und Waffenmodernisierung sowie neue Waffensysteme wie Kampfdrohnen plant. Zuvor hatte der Ex-Bundestagsabgeordnete Uwe Hiksch, heute bei den „Naturfreunden Deutschland“ aktiv, deutlich die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung als „beschämend“ kritisiert. Dadurch würden zahlreiche Konflikte in der Welt mit angeheizt und befeuert.

Bundesregierung fördert Aufrüstung

Klare Worte fand ebenso Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, der die Zahlen nannte, die die neue deutsche Aufrüstung belegen. Seit Ende des Kalten Krieges werde die Bundeswehr als Militärmacht für den weltweiten Einsatz umgebaut. Das geschehe verstärkt 2014 und werde seitdem mit dem Ukraine-Konflikt und den Folgen begründet.

Henken stellte klar, dass nicht die USA auf dem Nato-Gipfel in Wales 2014 die anderen Mitglieder dazu drängte, ihre Militärausgaben zu erhöhen: „Es war die Bundesregierung, die im Nato-Rat mehrere Vorschläge machte, um die Mitglieder zu höheren Militärausgaben zu animieren“, zitierte aus einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Zwar sei das Zwei-Prozent-Ziel „so weich wie möglich“ formuliert worden, wie es in dem Bericht heißt. Aber der damalige Bundesaußenminister, der die anderen in der Nato dazu überredete, war Frank-Walter Steinmeier von der SPD, der heutige Bundespräsident.

Friedensforscher Henken machte deutlich, dass zwei Prozent des bundesdeutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) für das Militär im Jahr 2024 85 Milliarden Euro bedeuten würden. Damit wäre die Bundeswehr nicht nur stärkste Militärmacht in der Europäischen Union (EU). Selbst wenn es nur eine Steigerung von 1,5 Prozent gebe, wie die Bundesregierung behaupte, gehe das in die gleiche Richtung. Das würde zudem bedeuten, dass die Bundesrepublik mehr für Militär ausgeben würde als Russland.

„Unergründliche Gefahr“

„Wir wollen das verhindern“, beschrieb Henken das Ziel der Friedensbewegung. Er erinnerte daran, dass den aktuellen Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstitutes Sipri zufolge die Nato im vergangenen Jahr 970 Milliarden Dollar Ausgaben für Militär meldete – Russland dagegen nur 61 Milliarden. Das Land habe seine Rüstungsausgaben laut Sipri seit 2016 um rund 22 Prozent gesenkt, wogegen die der Nato um 6,5 Prozent gestiegen seien.

„Wie in dieser Situation eine Gefahr von Russland für uns ausgehen soll, ist unergründlich“, so der Friedensforscher. Er wies zugleich daraufhin, dass die Aufrüstung nicht nur von den Parteien in der Großen Koalition, von Union und SPD, gefördert werde. Auch die FDP und die AfD wollten das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Henken kritisierte ebenso deutlich die milliardenschwere Militarisierung der EU vor allem durch Berlin und Paris.

„Wer das nicht will, muss sich für ein Deutschland einsetzen, das nicht aufrüstet, sondern abrüstet. Wir wollen Entspannung mit Russland. Wir wollen vertrauensbildende Maßnahmen und Verhandlungen. Wir wollen eine Aufhebung der Sanktionen. Wir müssen das gegenüber der Regierung deutlich sichtbar machen.“ Henken verwies dabei auf die Unterschriften-Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“.

Ehrliche Sorge und Unklarheiten

Die unterschiedlichen Sichten in der bundesdeutschen Friedensbewegung wurden am Brandenburger Tor deutlich, als Axel Rosen vor der Gefahr eine neuen nuklearen Aufrüstung warnte. Der Mediziner ist Vorsitzender der deutschen Sektion der Organisation „Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW). Er sagte nicht nur, dass der Krieg auch wieder näher an Deutschland herangerückt sei.

Die Atomkriegsgefahr sei heute größer als zu Zeiten des Kalten Krieges, in dem es zwei Atommächte gegeben habe, meinte Rosen. Das sei auch der heutigen „multipolaren Welt, in der es neun Atomwaffenstaaten gibt“, geschuldet. „Wirklich erschreckend“ finde er dabei, dass in acht der neun Atomwaffenstaaten „eine nationalchauvinistische, eine autoritäre Regierung“ an der Macht sei, von Russland über Nordkorea bis zu den USA – „mit der lobreichen Ausnahme Frankreich“.

In diesen Ländern seien „Leute am Drücker, von denen wir eigentlich überhaupt nicht wollen, dass die über Leben und Tod entscheiden können, geschweige denn über die Existenz der Menschheit und das Weiterbestehen unseres Planeten“. Der Kinderarzt gab damit ein bedauerliches Beispiel, wie sich ehrliche Sorge mit der Wirkung westlicher Desinformation und Manipulation mischt, die Fakten verschweigt und Zusammenhänge ausblendet. Die Frage, warum andere Länder seit den US-Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945 eigene Nuklearwaffen entwickelt haben, stellte Rosen nicht. Ebenso nicht die danach, warum die Länder vom Westen nach 1945 nicht mit Krieg überzogen, die Atomwaffen besitzen.

Bitte um Vergebung auch in Moskau?

„Wann wird man je verstehn?“ – das wollte Pete Seeger am Ende seines Liedes wissen. Es wurde seitdem so oft gesungen, verbunden mit der Hoffnung auf Frieden und der Forderung „Nie wieder Krieg!“ Das Lied und die Forderung erklangen auch am Sonntag vor dem Brandenburger Tor, in der Stadt, von der vor 80 Jahren der zweite große Krieg in Europa ausging. Ob seitdem das Verstehen und auch das Verständnis größer geworden sind, ist leider zu bezweifeln.

Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat inzwischen in Polen um Vergebung für den deutschen Überfall. Das ist gut so – aber wird er das auch im nächsten Jahr in Moskau tun, wenn der 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und des Endes des Zweiten Weltkrieges sowie der Millionen sowjetischer Opfer gedacht wird? „Wann wird das je geschehn?“ bleibt mit dem Lied zu fragen, nachdem es nicht längst geschah.

Quelle!:

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