Freitag, April 19, 2024
StartPolitikEUFür mehr Unabhängigkeit: Befreit sich EU von Fesseln des US-Finanzsystems?

Für mehr Unabhängigkeit: Befreit sich EU von Fesseln des US-Finanzsystems?

20 europäische Banken, darunter die meisten französischen und die Deutsche Bank, haben mit der Entwicklung eines einheitlichen Zahlungssystems begonnen, das die amerikanischen Karten Visa und Mastercard ersetzen soll.

Wer der EU helfen wird, ihre Finanzunabhängigkeit zu erlangen, und warum der entsprechende Bedarf gerade jetzt entstanden ist, lesen Sie in diesem Artikel.

Scheidung

Formell ist die EU finanz- und wirtschaftspolitisch unabhängig, doch in der Realität wird Vieles in Brüssel von Washington diktiert. So sieht es auch bei anderen Staaten aus, die Außenhandelsverträge in US-Dollar abwickeln. Zum ersten Mal bekamen die Europäer damit Mitte 2018 Schwierigkeiten, als Washington aus dem Atomdeal mit dem Iran ausstieg, wobei mit Sanktionen gegen alle, die iranisches Öl kaufen, gedroht wurde. Die EU stand vor der Wahl, entweder von den US-Sanktionen getroffen zu werden oder auf den Import von 500.000 Barrel Öl pro Tag zu verzichten.

Die Situation wurde dadurch erschwert, dass der Rohstoff über das US-kontrollierte SWIFT-System bezahlt wird. Washington könnte bei jedem Anlass den Zugang blockieren und damit das Geschäft zum Erliegen bringen.

Als klar wurde, dass Washington Brüssel weiterhin mit dem SWIFT-Ausschluss drohen und erpressen wird – bei jedem Anlass, ob im Zuge eines Handelskrieges oder für den Kauf russischen Flüssiggases, kündigten europäische Finanzfachleute die Schaffung des eigenen Zahlungssystems INSTEX an.

Damit folgte Europa dem Beispiel Russlands und Chinas, die bereit über eigene Zahlungssysteme verfügen. Die Zahlungsplattformen von Moskau und Peking sollen zusammengelegt werden; später soll auch das derzeit im Aufbau begriffene indische Zahlungssystem angeschlossen werden.

Dies vereinbarten Russland, China und Indien auf dem BRICS-Gipfel, der in der vergangenen Woche in Brasilien stattfand. Dieses vereinigte System soll nach einem Schleusen-Prinzip funktionieren, bei dem die Mitteilungen über Zahlungen gemäß dem Finanzsystem jedes Landes umcodiert werden. Neben der Unabhängigkeit von der aggressiven US-Finanzpolitik wird diese Herangehensweise die Abkehr vom Dollar im Handel fördern, denn dadurch werden größere Möglichkeiten für die Bezahlung von Waren in den Nationalwährungen geschaffen.

PEPSI statt Visa

Als sich Europa dank Russland und China darin vergewisserte, dass die Schaffung eines eigenen Zahlungssystems, das nicht von den USA kontrolliert wird, möglich ist, starteten die 20 größten europäische Banken ein Projekt unter dem Arbeitsnamen PEPSI (Pan-European Payment System Initiative), das Visa und Mastercard in Europa ersetzen soll.

PEPSI würde nicht nur den europäischen Unternehmen einen sicheren Handel mit dem Iran und anderen für die USA unliebsamen Ländern sichern. Die US-Zahlungssysteme würden auch keine Informationen mehr darüber haben, wie viel und für was die EU-Bürger ihr Geld ausgeben. Das würde die Möglichkeiten für die Expansion von US-Firmen auf dem europäischen Markt verringern.

Vom neuen Zahlungssystem profitiert auch Russland – es wird einfacher sein, mit der Europäischen Zentralbank (EZB) die gegenseitige Integration der Zahlungssysteme zu vereinbaren. Nicht ausgeschlossen ist, dass die russischen MIR-Bankkarten auch in der EU akzeptiert werden.

Ein weiteres mögliches Instrument zur Befreiung des europäischen Finanzmarktes von der US-Kontrolle ist digitales Geld. Anfang November schlug der Bundesverband deutscher Banken, zu dem unter anderem Deutsche Bank, Credit Suisse und Commerzbank gehören, vor, ein digitales Pendant zum Euro zu schaffen und es in das paneuropäische Zahlungssystem zu integrieren. Dabei verheimlichen die Deutschen nicht, gegen wen diese Initiative gerichtet ist.

„Das ist der einzige Weg, dem Konkurrenzdruck seitens der USA standzuhalten“, hieß es beim Verband. Dabei wurde die neue Währung Libra, die Facebook zu starten versucht, „ein potentieller Grund für wirtschaftliche und politische Konflikte“ genannt.

Ende August sagte der Chef der Bank of England, Mark Carney, dass die Abhängigkeit der Welt vom US-Dollar als Reservewährung zu riskant sei. Er schlug vor, den Dollar durch eine neue digitale Währung zu ersetzen, die auf einem globalen Warenkorb basieren würde.

„In einer multipolaren Welt brauchen wir eine multipolare Währung“, sagt Carney. Er hob hervor, dass viele Länder derzeit allzu abhängig von den Schwankungen der US-Währung seien. Zudem sei das globale Finanzsystem schlecht ausbalanciert, weil einige Länder zu negativen Zinssätzen übergingen, und andere, darunter die USA, den Leitzins über Null halten.

Ihm zufolge könnte das Gleichgewicht des Systems nur durch eine neue Währung wiederhergestellt werden, am besten eine digitale Währung.

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