Montag, Mai 6, 2024
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Ob gegen „Nazis“ oder „Faschisten“: Verbaler Kampf gegen AfD in Berlin wohl als ineffektiv erkannt

In einer Wahlanalyse der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung wird eingestanden, dass verbale Angriffe auf die AfD, sowohl politische als auch mediale, der Partei offenbar nicht schaden. Welche Alternativen bleiben den Besorgten?

Mit 23 Prozent der Stimmen ist in Thüringen wohl anschaulicher als im Fall mit Brandenburg eine Partei gewählt worden, deren Chef Björn Höcke mit seiner mehrmaligen Teilnahme an Neonaziveranstaltungen sowie einer rechtsextremen Rhetorik bei Überlebenden des NS-Massenmords für Entsetzen sorgt. Der Anführer des völkisch-nationalistischen Flügels hätte schon 2017 aus der Partei durch deren Vorstand ausgeschlossen werden können. Als Vorstandsmitglied Frauke Petry damals wegging, meinte sie, die Partei sei nun „fest in Höckes Hand“ – und wurde vom Vorsitzenden Alexander Gauland als „dumm“ abgestempelt. Heute sagt Gauland plötzlich, Höcke sei „die Mitte der Partei“ – ein Höcke, der das Holocaust Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und sich bei Russland für 1762, 1813, 1989 und lieber nicht für 1945 bedankt. Seit kurzem darf man ihn eben einen „Faschisten“ nennen. Nach den Wahlen in Thüringen tun das viele womöglich aus Protest. 

Was in anderen Parteien nicht gesagt werden darf?

Doch allmählich müssen die Analytiker eingestehen, dass die Strategie wohl nicht die richtige sei. Generell gebe es in allen empirischen Studien zur AfD keine Hinweise, dass es der AfD schadet, wenn sie als populistisch, extremistisch, radikal oder mit Begriffen wie Nazi oder Faschist bezeichnet werde, heißt es in der Wahlanalyse der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Thüringen. Die Stiftung mit Sitz in Berlin gilt als CDU-nah und wird überwiegend vom Bund finanziert. Vielmehr seien „Wagenburgeffekte“ sichtbar, glaubt man in der Stiftung weiter. Schaut man bei der AfD in den sozialen Netzwerken vorbei, wird Höcke im Vergleich zur grünen Bundestagsabgeordneten Renate Künast tatsächlich eher als Opfer einer angeblich verkehrten Meinungsfreiheit dargestellt – ein Gegeneffekt. 

„Je stärker eine auch fundamentale Auseinandersetzung mit der AfD, politisch wie medial, geführt wird, desto stärker scheinen im für die AfD mobilisierbaren Potential Solidarisierungen einzusetzen“, so die Botschaft der Stiftung. Zwischen der Wahrnehmung der Partei in der eigenen Anhängerschaft und bei allen Wählern würden Welten liegen, denn die AfD werde in Thüringen in ihrer Anhängerschaft als demokratische Partei wahrgenommen. „Auch 98 Prozent der AfD-Anhänger sagen, die Partei würde aussprechen, was in anderen Parteien nicht gesagt werden dürfe“. Wie weit eine andere Meinung zu diversen politischen Schlüsselthemen von demokratischen Tabus wie Rassismus liegt, bleibt allerdings offen.   

„Genau damit stärkt er die rechten Parteien“

„Die Wahl rechter Parteien ist wirklich kein Phänomen der ehemaligen DDR, das haben wir europaweit und vor allem bei denen, die Abstiegserfahrungen haben oder massive Abstiegsängste, die in der Regel auch begründet sind“, sagte die scheidende Chefin der Linksfraktion Sahra Wagenknecht am Sonntag bei Anne Will im NDR. Wagenknecht ist sich sicher: Natürlich gebe es Rassisten, die AfD wählen würden. Aber eine Debatte, „die jetzt AfD-Wähler beschimpft und sie jetzt als Rassisten hinstellt“, sei als Instrument falsch. Die Menschen, vor allem die in den strukturschwachen Regionen, würden sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Die Argumentation, „die Groko mache eine tolle Politik, nur die Leute verstehen es nicht“, führe dazu, dass die Wähler ihnen dann „jetzt irgendwie eine Ohrfeige“ geben müssten. Schaut man sich die berufliche Struktur der AfD-Wähler in Brandenburg an, lässt sich erkennen, dass vor allem Arbeiter sich auf die politischen Konzepte der AfD einlassen.

Im Frühjahr war die Politikerin innerhalb der eigenen Partei wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik in die Kritik geraten und hatte sich gegen „Lügen“ und „Diffamierungen“ in der Migrationsdebatte verwahrt. Wer jeden, der eine differenzierte Sicht auf Migration einfordere, in die Nazi-Ecke stelle, begreife nicht, dass er genau damit die rechten Parteien stärke, sagte Wagenknecht dazu. Rede man ihnen immer wieder ein, sie seien mit ihrer Meinung „rassistisch“, „dann würden sie sich damit identifizieren und aus Wut tatsächlich die AfD wählen.“

In einem RBB-Interview sprach sie sich im September dagegen aus, mit AfD-Kadern zusammenzuarbeiten. Das Problem AfD löse man aber nicht durch Ausgrenzung, selbst wenn es da „echte Neonazis“ gebe, sondern durch die Beseitigung der Ursachen dafür, dass Menschen von der Politik so enttäuscht seien, dass sie schließlich aus Protest AfD wählten. „Die Wähler der AfD sollte man schon versuchen zu gewinnen.“

„Die Volksparteien bieten keine kohärente Zukunftsvision, aber…“

Laut dem Parteienforscher Dr. Steffen Kailitz gehören die Kräfte an der AfD-Spitze nach den beiden ersten „Häutungsphasen“ mehr weder der Mäßigung noch der Mitte an. Jedoch habe die offensichtliche Radikalisierung der Partei nicht zu einem nennenswerten Verlust von Wählerstimmen geführt – in Thüringen ganz im Gegenteil. Auch die deutsche Publizistin Marina Weisband, als Kind jüdischer Eltern aus der Ukraine in Deutschland geboren, ist eine, die darüber besorgt ist. Den Anstieg der Partei erklärt sie in einem Interview mit dem Medienmanager Gabor Steingart eben mit einem Mangel an Zukunftsvisionen auf der anderen Seite des Spektrums. Ob Deutschland heute wirklich eine Vision zu bieten habe, wie die Welt aussehen könne? Die AfD malt laut Weisband ein verklärtes Bild der Fünfzigerjahre, das es so nie gegeben habe, aber wenigstens sei es eine Art von Vision. Sie könne den Unmut von AfD-Wählern teilen, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. „Ich habe wirklich überhaupt nichts dagegen, zu sagen: Wir müssen neue Wege finden, Menschen demokratisch zu beteiligen. Ich habe nichts dagegen, zu sagen: Die Volksparteien bieten keine kohärente Zukunftsvision. Aber das unterscheidet genau einen Demokraten von einem Faschisten. Ich will dabei nicht, dass eine Menschengruppe mehr wert ist als alle anderen“, so die 32-Jährige. Jedes Reden über das Rassistische oder Rechtsextreme sei aber eher Werbung dafür.

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