Montag, April 29, 2024
StartPolitikEuropa„Realitäten anerkennen“ – Linkspartei kämpft im Bundestag gegen Russland-Sanktionen

„Realitäten anerkennen“ – Linkspartei kämpft im Bundestag gegen Russland-Sanktionen

Am Donnerstagabend wurde im Bundestag heftig über das Verhältnis zu Russland diskutiert. Grund war ein Antrag der LINKE zur Abschaffung der Sanktionen. Linke-Politiker Klaus Ernst rief die Abgeordneten dabei auf, politische Realitäten anzuerkennen. Der Vorsitzende im Wirtschaftsausschuss ist sich sicher: Die Sanktionen haben bisher nur geschadet.

Herr Ernst, Ihre Fraktion hat einen Antrag im Bundestag eingebracht, dieser lautet „Entspannung mit Russland, keine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland“. Warum hat sich die Linksfraktion dazu entschieden?

Das ist nicht nur die Linksfraktion, die eigentlich diese Position hat. Sondern inzwischen sind es mehrere Parlamentarier, auch aus unterschiedlichen Parteien, die die Position haben, diese Sanktionen müssen überprüft werden und man muss zu einer Änderung dieses Zustandes kommen. Warum? Einfach deshalb, weil wir jetzt merken: Fünf Jahre haben wir diese Sanktionen ohne jegliche Wirkung hinsichtlich der Frage, ob Russland seine Politik geändert hätte.

Und ich meine, das war relativ frühzeitig klar. Weil es natürlich Interessen von Russland gibt, die auf der Krim insbesondere militärischer Art sind, so dass wohl davon auszugehen ist, dass Russland diese Krim-Verhältnisse nicht mehr ändern wird. Und dann muss man irgendwann die Realitäten anerkennen und sagen: so ist es. Und dann muss man sich überlegen: Was nützt Europa, was nützt Deutschland? Und uns nützen stabile Handelsbeziehungen mit Russland da weit mehr als diese die Spannung verschärfenden Sanktionen.

Es gibt ja auch Ministerpräsidenten einiger Ost-Bundesländer, wie Michael Kretschmer von der CDU, oder in Thüringen natürlich Bodo Ramelow von der Linken, die schon lange eine Abschaffung der Sanktionen fordern. Stimmt es, dass vor allem die ostdeutsche Wirtschaft auch langfristig Schaden genommen hat?

Ja natürlich. Es sind vor allen Dingen die wirtschaftlichen Beziehungen, die schon vor der Wende in der Bundesrepublik Deutschland zu der damaligen Sowjetunion bestanden haben. Die haben sich teilweise unter veränderten politischen Verhältnissen fortgesetzt. Und deshalb sind natürlich Unternehmen in den neuen Bundesländern bei uns besonders betroffen, aber nicht nur. Zum Beispiel ist mir bekannt, dass die Firma Knorr Bremse, eine Firma aus Bayern, auch unter diesen Sanktionen leidet und der dortige Geschäftsführer sich auch deutlich gegen diese Sanktionen positioniert hat.

Also, es geht einfach darum: Ist es nicht besser für ein starkes Europa, mit Russland zusammenzuarbeiten? Diese Sanktionen zu überwinden, zu sagen, okay, wir machen jetzt auch als Bundesrepublik den ersten Schritt und nehmen etwas zurück und gehen dann davon aus, dass die russische Seite folgt, und kommen damit zu einem Abbau dieser den Handel deutlich behindernden Verhältnisse? Denn eines ist klar: Sie schaden Deutschland ganz enorm. In Europa ist Deutschland das Land, das die meisten Lasten dieser Sanktionen zu tragen hat. Die Amerikaner übrigens kaum. Und deshalb ist es besonders im deutschen Interesse, diese Diskussion zu forcieren.

Mit Blick auf das deutsch-russische Verhältnis soll nach dem Willen der Linksfraktion auch der Petersburger Dialog politisch aufgewertet werden. Wie stellen sie sich das Format in Zukunft vor?

Ich stelle mir vor, dass wir insgesamt über Dinge, die in Europa von Relevanz sind und die beide Staaten betreffen, mit den Russen wieder in einen Dialog geraten, der davon geprägt ist, dass man überlegt, was beiden Ländern nützt. Das was jetzt passiert, schadet beiden, besonders Deutschland. Weil eines auch klar ist: In Russland findet natürlich eine Substitution der europäischen und insbesondere der deutschen Importe statt. Man orientiert sich mehr nach China. Dies wird auf Dauer sein, wenn wir jetzt nicht irgendwann mit diesem Unfug aufhören.

Außerdem ist es so, dass sich Russland natürlich überlegt, was sie selber herstellen können, was sie selber produzieren können, was sie selber machen können. Auch das ist eher ein langfristiger Trend. Sodass, wenn wir wieder vernünftige Handelsbeziehungen wollen, mit Russland vernünftige politische Verhältnisse auf der einen, aber auch vernünftige wirtschaftliche Verhältnisse auf der anderen Seite herrschen müssen.

Nun gibt es Kritiker, vor allem seitens Union und Grünen, die argumentieren anders. Da heißt es, mit Blick auf Krim und Ukraine könne es gar keine Entspannung mit Moskau geben. Was entgegnen sie denen?

Die sollen sich mal überlegen, was sie da eigentlich sagen. Das heißt, sie wollen dauerhaft Verhältnisse mit Russland, die von Misstrauen, die von Unterbindung des Handels – denn darauf läuft es ja eigentlich hinaus – und die vor allen Dingen von amerikanischen Interessen in Deutschland geprägt sind. Denn es ist vor allen Dingen Amerika, dass das Interesse hat, zum Beispiel auf dem Energiesektor, dass Europa und auch die Bundesrepublik kein russisches Erdgas mehr kauft, sondern amerikanisches, gefracktes LNG-Gas. Und da kann ich nur sagen, diese Haltung entspricht nicht dem, was für vernünftige Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nötig ist.
Die AfD im Bundestag ist auch für eine Abschaffung der Sanktionen. Die Partei hat ebenfalls einen Antrag eingereicht, in dem sie sogar eine Entschädigung deutscher Unternehmen fordert. Wo liegt denn der Unterschied zwischen den Forderungen der AfD und den Forderungen der Linke beim Thema Russland?

Ich sage es ganz platt: Der Antrag der AfD scheint wirklich ein sehr populistischer Antrag zu sein. Unser Antrag geht davon aus, dass wir ganz nüchtern analysiert haben, was diese Sanktionen gebracht haben, nämlich nichts. Dass wir davon ausgehen, zu formulieren, was wir bräuchten, nämlich vernünftige wirtschaftliche und politische Bedingungen zu Russland. Das ist ein Ziel, das aber nicht nur die AfD mit uns teilt, sondern inzwischen auch viele Politiker der Regierungsparteien.

Der Auswärtige Ausschuss hatte bereits in einer Beschlussempfehlung an den Bundestag geraten, den Antrag der Linksfraktion abzulehnen. Ist das ernüchternd? Und was, glauben Sie, muss geschehen, damit ein Umdenken im Bundestag auch bei allen Abgeordneten beginnt?

Die Abgeordneten in allen Parteien, die vernunftbegabt sind und merken, dass diese Sanktionen sich nur gegen uns selber richten, die müssen sich – wie man in Bayern sagt – aufmandeln. Die müssen sich also positionieren und müssen deutlich in ihren Fraktionen Position beziehen und müssen sagen, so kann es nicht weitergehen. Und es muss eine offene Diskussion über diese Fragen zustande kommen.

Das gilt aber auch für die deutsche Industrie. Ich würde mir wünschen, dass sie viel deutlicher als bisher ihre Positionen in dieser Frage vertritt. Im Übrigen, wenn man mit dieser Haltung, wie man an Russland herangeht, an andere Staaten herangeht (…), zum Beispiel an die Türkei, die nun wirklich völkerrechtswidrig eine Invasion in einem anderen Land gestartet hat, dann würde ich sagen, da müssen wir mindestens mit demselben Maß an die Türkei herangehen und eigentlich die Exporte prinzipiell stoppen. Denn da geht es darum, dass Tausende von Menschen bedroht, verfolgt und auch getötet werden. Ich würde allen raten, die hier in Deutschland gegenüber den Russen die Hardliner spielen, darüber nachzudenken, was diese Haltung eigentlich gegenüber anderen Ländern bedeutet.

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