Donnerstag, März 28, 2024
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Triage-Entscheidungen über Leben und Tod – werden Behinderte und Alte „aussortiert“?

Die Politische Interessenvertretung der Selbstvertretungs-Organisationen behinderter Menschen in Deutschland hat in einer Pressemitteilung am Dienstag bezüglich der Frage, wem bei Ressourcenknappheit in Zeiten der Corona-Krise intensivmedizinisch geholfen werden soll, Triage-Kriterien kritisiert und vom Bundestag gefordert, sich zu positionieren.

Die LIGA Selbstvertretung stützt sich dabei unter anderem auf die Einschätzung des Forums behinderter Juristinnen und Juristen.

In seiner „Stellungnahme zu den Empfehlungen der Fachverbände für den Fall einer Triage“ macht das Forum behinderter Juristinnen und Juristen klar: Eine Abwägung zwischen Leben und Tod, beispielsweise aufgrund der Lebenszeiterwartung nach überstandener Krankheit (Italien) oder aufgrund der Erfolgsaussichten der Behandlung (Schweiz), wäre nicht vereinbar mit den elementarsten Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung. Das ergebe sich schon aus der im Grundgesetz verankerten Achtung und dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1, Abs. 1 GG) und dem Recht auf Leben (Art. 2, Abs. 2 GG). Zudem habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz klargestellt, dass eine staatliche Auswahlentscheidung nicht in verfassungsgemäßer Weise getroffen werden kann.

Das sei auch dem Ethikrat bewusst, dieser ziehe daraus aber ganz eigene Schlüsse, heißt es in der Stellungnahme weiter. Laut Ethikrat folge aus dem Verbot der staatlichen Bewertung nicht, dass „entsprechende Entscheidungen nicht akzeptiert werden können“. Im Folgenden weise der Ethikrat den Fachverbänden die Aufgabe zu, Entscheidungen der Triage über verfassungsrechtliche Grenzen hinaus zu regeln.

Warum die Bewertungskriterien  der Triage problematisch sind, erklären die Verfasser der Stellungnahme im Folgenden.

Die Vorauswahl durch Prüfung der Wahrscheinlichkeit des Erfolgs einer Behandlung berücksichtige die Gebrechlichkeit eines Patienten. Die einzelnen Gebrechen erlaubten aber keineswegs einen Rückschluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit. „So haben neuromuskuläre Patienten mit schwerer infektiöser Exazerbation unter optimaler Behandlung auf der Intensivstation eine Letalität in Höhe von lediglich zwei Prozent. Andererseits können andere Faktoren, die eine Überlebenswahrscheinlichkeit reduzieren, fehlen und zu Fehlannahmen führen.“ Eine solche Triage lasse eine Entscheidung im Einzelfall nicht zu und verhindere so bereits auf der ersten Prüfungsstufe die Möglichkeit, den betroffenen Menschen als Individuum mit eigener Würde zu behandeln.

Auch die Lebenserwartung sowie der Faktor, ob ein Mensch beispielsweise auf einen Rollstuhl angewiesen sei – ob aus Gründen des Alters oder wegen einer körperlichen Behinderung –  würden in dem Papier der Fachgesellschaften automatisch zu einem Negativscore bei der Abwägung führen. Schon das alleine sei ein Angriff auf die Menschenwürde. Zudem verstoße diese Triage gegen das Diskriminierungsverbot wegen Behinderung.

Problematisch sei auch die Re-Evaluierung. Diese besagt, dass Patienten, die bereits intensivmedizinisch versorgt werden, mit neu hinzukommenden Patienten nach oben stehenden Kriterien verglichen werden müssen. Sollte der neue Patient bessere Überlebenschancen haben, würde ihm der Vorzug gegeben und dem bereits in Behandlung befindlichen Patienten die intensivmedizinische Behandlung entzogen werden. Dies würde nicht nur an rechtliche Grenzen stoßen, sondern dürfte strafrechtlich ein „Tötungsdelikt durch Aktives Tun“ im Sinne des Strafgesetzbuches darstellen, so die Autoren.

Die Juristen kommen zu dem Schluss, dass auch in einer Situation des Mangels an Intensivbetten und Beatmungsgeräten die Patienten gleichberechtigt behandelt werden müssen. Zugrunde liegen sollte das Prioritätsprinzip (wer war zuerst da?), das Dringlichkeitsprinzip (wer braucht die Behandlung am notwendigsten?) und das Zufallsprinzip.  

In ihrer Mitteilung fasst die LIGA Selbstvertretung, der dreizehn bundesweit tätige Selbstvertretungsorganisationen angehören, die von behinderten Menschen selbst verwaltet, geführt und gelenkt werden, folgende Forderungen zusammen:

  • Die Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften dürfen nicht angewendet werden;
  • Der Deutsche Ethikrat muss seine Ad-hoc-Empfehlung überarbeiten;
  • Behinderung darf kein Kriterium bei Priorisierungsentscheidungen sein;
  • Um Schuldzuweisungen zu verhindern, sollte nicht von „Risikogruppen“, sondern von „besonders gefährdeten Personen“ ohne pauschale Gruppenbildung aufgrund von Alter oder Diagnosen etc. gesprochen werden;

Bei der Erarbeitung seiner menschenrechtlich fundierten Positionierung muss der Deutsche Bundestag die betroffenen Menschen über die sie vertretenden Verbände beteiligen.

„Hier geht es um die fundamentalen Grundlagen unseres Zusammenlebens. Deshalb muss der Deutsche Bundestag eine eindeutig menschenrechtlich fundierte Position beziehen,“ so LIGA-Sprecherin Dr. Sigrid Arnade. 

Die Zeit dränge und Schweigen sei keine Option.

Quelle!:

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