Donnerstag, Mai 2, 2024
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„Türkei ist kein Flüchtlingsheim“: Ankara warnt vor Flüchtlingsflut – Berlin hofft

Der türkische Vizepräsident Oktay hat die Warnung vor einer neuen Flüchtlingswelle aus Syrien bekräftigt. Er hat die EU kritisiert und auf ausstehende Unterstützungsleistungen hingewiesen. Stößt die Türkei an ihre Grenzen? AfD und die Linkspartei sprechen von Erpressung. Die Bundesregierung setzt weiterhin auf das „EU-Türkei-Abkommen“.

Die Warnung vor einer Grenzöffnung nach Europa für syrische Flüchtlinge sei „weder eine Drohung noch ein Bluff. Dies ist Realität“, erklärte der türkische Vizepräsident Fuat Oktay am Freitag der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Es sei falsch zu glauben, die Türkei werde eine neue Flüchtlingswelle hinnehmen, betonte Oktay. „Die Türkei ist weder anderer Länder Wächter noch ihr Flüchtlingsheim. Sie ist kein Land, das die Rechnung für Krisen zahlen wird, die andere Länder verursacht haben“, sagte der Vizepräsident.

Vor dem Hintergrund der Angriffe auf die Stadt Idlib in Nordsyrien warnte Oktay vor einer möglichen neuen Migrationsflut. „Wenn die Auseinandersetzungen andauern, gibt es mehr als 500.000 Zivilisten, die bereits unterwegs sind, und diese Zahl kann eine Million erreichen. Sie bewegen sich in Richtung Türkei. Wir haben bereits 3,65 Millionen Syrer. Wir haben nicht die Kapazität eine weitere Million aufzunehmen.“ Oktay übte scharfe Kritik an der Europäischen Union. Er warf den europäischen Staaten vor, von den versprochenen sechs Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung nur 2,06 Milliarden erhalten zu haben.

Linspartei: „Schrecklicher Deal“

„Da wird gerade ein richtig übles Spielchen auf dem Rücken der Menschen ausgetragen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Tobias Pflüger, gegenüber Sputnik. Es sei gleichzeitig so, dass die türkische Regierung sechs Milliarden Euro von der EU kassiert habe, dafür, dass sie die Flüchtlinge zurückhalte. „Doch das, was sie gemacht haben, hat mit echten Hilfen für die Flüchtlinge relativ wenig zu tun. Im Gegenteil: Man hat damit quasi neue Infrastruktur geschaffen.“

„Im Grunde genommen ein ganz schrecklicher Deal, der damals zwischen der EU und der Türkei lief. Und damit hat sich die EU in die Hände der Türkei begeben. Nun kann man das Ergebnis sehen, was von dort aus diktiert wird.“ Pflüger befürchtet, dass nun neue Verhandlungen für ein neues EU-Türkei-Abkommen angesetzt werden. Man könne das Ergebnis des neuen „EU-Türkei-Deals“ auf Lesbos sehen, „wo Geflüchtete unter völlig menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Das ist Teil von diesem Deal und das ist einfach unerträglich“, empört sich der Linken-Politiker.

Auch die Linke-Abgeordnete Heike Hänsel fordert nach den „Drohungen des türkischen Präsidenten“, den Deal mit der Türkei zu beenden und eine „neue Flüchtlingspolitik“ aufzubauen.

Allein von Freitag bis Samstagmittag seien nach griechischen Polizeiangaben 424 Migranten zu den Inseln übergesetzt. Auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos harren wohl bereits mehr als 24.000 Menschen aus. Die Registrierlager seien allerdings nur für 6.000 Menschen ausgelegt. Zum Vergleich: Im August sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 8103 Menschen aus der Türkei zu den griechischen Ägäis-Inseln übergesetzt. Im August 2018 waren es noch knapp 3200. Der im März 2016 geschlossene Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei sieht vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann.

Bundesregierung hält am Flüchtlingsdeal fest

So setzt die Bundesregierung weiterhin ihre Hoffnung auf das bestehende Abkommen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch betonte: „Niemand wird sagen, dass die Situation in den Unterkünften auf den griechischen Inseln für Migranten und für Flüchtlinge einfach ist. Es ist vollkommen klar, dass, wo immer in Europa Flüchtlinge oder Migranten untergebracht sind, ihre Würde bewahrt werden muss.“ Nichtsdestotrotz gelte Seibert zufolge, dass die Vereinbarungen, die die EU und die Türkei geschlossen haben, Rückführungen von Migranten von griechischen Inseln in die Türkei vorsehen. „Sie sollen in die Türkei zurückgeführt werden, damit ihnen dort Schutz gewährt wird, im Übrigen ein Schutz, den die Türkei millionenfach Flüchtlingen gegeben hat“, sagte der Regierungssprecher. Das sei etwas, was man absolut anerkennen müsse und wobei Europa mit zweimal drei Milliarden Euro auch finanziell helfe.

Lässt Europa die Türkei im Stich?

„Von im Stichlassen kann gar keine Rede sein“, moniert der Außenpolitiker der AfD-Bundestagsfraktion, Armin Paulus Hampel, im Sputnik-Interview. Die Türkei habe es selbst in der Hand, Flüchtlingsströme aus seinen Nachbarländern einzudämmen oder zu steuern, so der der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion. „Es ist ja nicht so, dass die Türkei offene Grenzen hat wie Deutschland und jeder reinkommen kann, wer will. Die kontrollieren das schon genau. Und dann ist es eine politische Absicht, wenn sie die Küsten nicht kontrollieren und die Flüchtlinge dann die kurze Strecke nach Griechenland übers Meer setzen. Hier sehe ich eher einen türkischen Erpressungsversuch, mehr Geld von der EU zu bekommen. Und dem sollten wir ein klares Nein entgegensetzen.“

Hampel fordert ein UN-Mandat für sogenannte Schutzzonen in Syrien – „wie es die Russen schon gemacht haben“. Dort sollen Flüchtlinge durch die internationale Gemeinschaft unter Schutz gestellt werden.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte gerade am Freitag darauf hingewiesen, dass die Türkei gezwungen sein könnte, „ihre Tore zu öffnen“, wenn sie nicht mehr Unterstützung aus Europa bei der Versorgung der Flüchtlinge und der Schaffung einer „Sicherheitszone“ in Nordsyrien erhalte.

„Antisyrische Ressentiments“

Die Türkei ziele darauf ab, in Nord-Syrien eine weitere Sicherheitszone aufzubauen, erklärt der Journalist von der „Daily Sabah Deutsch“, Burak Altun, im Sputnik-Interview. „Dafür verlangt die Türkei auch Unterstützung. Diese Pufferzone würde langfristig auch zu einer Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat führen. Das würde natürlich jedem nutzen. Dafür verlangt die Türkei Unterstützung aus dem Westen. Sie verlangt keine zusätzlichen Truppen, sondern einfach nur logistische und finanzielle Hilfe.“ Zwar habe die EU die Idee positiv aufgenommen – auch Deutschland, doch es komme keine „wirkliche handfeste Hilfe – weder logistisch noch finanziell“, bemängelt der Türkei-Kenner.

Für die Unterbringung der syrischen Flüchtlinge habe die Türkei bereits über 40 Milliarden Dollar aus der eigenen Tasche bezahlt, bemerkt Altun. „Von den versprochenen EU-Geldern von insgesamt sechs Milliarden Euro sind nur knapp drei Milliarden überwiesen worden. Die Türkei steckt momentan in einer leichten Krise, was die Wirtschaft angeht. Die Inflation steigt, was sich natürlich an der Stimmung innerhalb der Bevölkerung bemerkbar macht. Da kommen antisyrische Ressentiments zu Tage. Bei einer weiteren Flüchtlingsflut aus Idlib, wo man mit 500.000 bis einer Million zusätzlichen Syrern rechnen kann, ist eine logisch Folge, dass die Türkei sagt: Wir können eine weitere Flüchtlingsflut nicht mehr tragen und wir werden diese nach Europa leiten. Was soll denn die Türkei angesichts dieser Lage tun?“, fragt der Türkei-Experte.

Laut der Deutschen Presse-Agentur (DPA) hob die EU jüngst hervor, dass sie bislang 5,6 der zugesagten 6 Milliarden Euro zur Verbesserung der Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge in der Türkei zugewiesen habe. Der Rest werde bald folgen, sagte eine Sprecherin. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland Syrien 2011 rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und damit mehr als jedes andere Land der Welt.

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