Freitag, April 26, 2024
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Über 300 IS-Kämpfer zurück in Deutschland, bestenfalls 60 verurteilt – Warum?

Etwa ein Drittel der mal in Richtung Syrien und Irak gereisten deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland sind laut dem Bundesinnenministerium (BMI) wieder im Land. Wie wird mit ihnen umgegangen? Wann wird eine strafrechtliche Verfolgung durchgesetzt, was erwartet die Islamisten sonst? Sputnik wollte das wissen und hakte beim BMI nach. 

Im Februar versuchten Al-Kaida nahestehende Milizen in Idlib, den Vormarsch der syrischen Regierungstruppen zu stoppen: nach Medienberichten mit 60 deutschen Islamisten in den eigenen Reihen. Auch dem als niedergeschlagen erklärten „Islamischen Staat“*, der ab und zu von sich hören lässt, gehören bzw. gehörten Bundesbürger an. Insgesamt seien in der Vergangenheit über 1.060 deutsche Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak gereist, heißt es aus dem Bundesinnenministerium (BMI). Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befinde sich momentan wieder in Deutschland, bestätigte ein BMI-Sprecher kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, zu über 100 davon würden den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vorliegen, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert hätten. Sind sie schon in Haft?

So bestätigte auch der BMI-Sprecher Björn Grünewälder gegenüber Sputnik, die Zahl der bisher verurteilten islamistischen Rückkehrer aus Syrien und dem Irak bewege sich „im mittleren zweistelligen Bereich“. In einfacher Sprache heißt es: zwischen 40 und 60 Urteile. Ansonsten stehen diese „über 100“ bekannten Kämpfer „unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen.“ Was ist aber mit dem Rest von etwa über 300 Rückkehrern? 

„Zu einzelnen Sachverhalten von bereits zurückgekehrten Personen kann das BMI leider keine Auskünfte erteilen. Neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gilt es hier, die Integrität eventueller Ermittlungsverfahren zu wahren“, antwortet Grünewälder.

Auch eine Statistik dazu scheint es nicht zu geben. Auf die Frage, inwiefern die Ein- und Ausreisen der IS-Kämpfer kontrolliert werden, antwortete Grünewälder: „Deutsche Staatsangehörige können stets nach Deutschland einreisen.“ Liegen Haftbefehle vor,  werden sie bei der Einreise vollstreckt – „falls möglich“. Die Ausreise deutscher Staatsangehöriger könne dabei auf Grundlage von § 10 PassG untersagt werden – also wenn jemand keinen gültigen Paß hat. 

Grundsätzlich habe die Bundesregierung im Hinblick auf die Rückkehr von Personen nach Deutschland aus dem sogenannten Jihad-Gebiet „einen ganzheitlichen Ansatz“ verfolgt, weist Grünewälder weiter hin. Die Rede ist von einer Kombination „aus einem sicherheitsbehördlichen Ansatz“ – etwa wie die strafrechtliche Verfolgung – und „Elemente der Deradikalisierung und der Reintegration“. Im Fall der Rückkehr von Minderjährigen beinhalte dies auch die jeweils zuständigen Jugendämter, die auch bei der Frage beteiligt seien, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliege. 

Deradikalisierungs- und Betreuungsangebote

In der Deradikalisierungsfrage arbeiten die Behörden laut Grünewälder mit zivilgesellschaftlichen Strukturen zusammen. Zu diesem Zweck seien in einigen Bundesländern sogenannte RückkehrkoordinatorInnen im Einsatz. In einem Interview erzählte der Leiter der Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Florian Endres, weiter, dass eine entsprechende Risikobewertung, also wie gefährlich eine betroffene Person potenziell sein kann, im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum stattfinde. Noch öfter sei der Fall, dass Personen, die sich im Ausland aufhalten würden – Endres verzichtet lieber auf den Begriff „radikalisierte IS-Kämpfer“ – über ihre Angehörigen in Deutschland mit den Beratungsstellen des BAMF Kontakt aufnehmen würden. Habe man Kontakt zu der Familie, sei es leichter, den Rückkehrenden direkt „Deradikalisierungs- und Betreuungsangebote“ zu machen. Am größten sei der Bedarf nach solchen Angeboten in  Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern, Niedersachsen, Berlin und Hamburg – wo die meisten Menschen ausgereist sind.

Bisher hatte das Auswärtige Amt lediglich die Rückholung von Kindern der deutschen IS-KämpferInnen aus den kurdischen Gefangenenlagern organisiert. Als mehrere IS-Anhänger im November 2019 von der Türkei nach Deutschland abgeschoben wurden, versprach Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den BundesbürgerInnen, dass jeder Einzelfall von den deutschen Behörden sorgfältig geprüft wird. Man war laut dem CDU-Innenpolitiker Armin Schuster „ausreichend auf die Rückkehr mutmaßlicher IS-Anhänger vorbereitet“ und wollte „jeden Gefährder in Haft sehen und nicht auf freiem Fuß“. Allerdings warnte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, dass es passieren könnte, dass Deutschland die IS-Rückkehrer nicht in Haft bringen könne, „weil man nichts in der Hand gegen sie hat“. Ob es bei etlichen Rückkehrern der Fall ist?

*Terrororganisation, in Deutschland und Russland verboten. Im März 2019 verlor der IS seine letzte Bastion im Osten Syriens. Zellen der Dschihadisten sind aber in beiden Ländern – in Syrien und im Irak – weiter aktiv. In den vergangenen Wochen häuften sich Meldungen über Angriffe. Es wird deswegen vor einem Wiederaufstieg der Terrormiliz gewarnt.

Quelle!:

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