Samstag, Mai 4, 2024
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Vertreibung aus dem Paradies? Papst „beurlaubt“ den Präfekten seines Haushaltes

Im Vatikan scheint sich eine weitere pikante Personalie anzubahnen. Einem Bericht der in Würzburg erscheinenden Wochenzeitung „Tagespost“ zufolge hat Papst Franziskus den Präfekten des Päpstlichen Hauses beurlaubt. Offiziell, damit er sich um den emeritierten Papst Benedikt XVI. kümmern kann. Inoffiziell soll es Krach wegen des Zölibats geben.

Die „Tagespost“ trägt das Motto „Klarer Kurs, katholischer Journalismus“. Sie gilt als gut informiert, wenn es um Interna in der Katholischen Kirche Deutschlands, aber auch um solche aus ihrer Machtzentrale in Rom geht. Herausgeber ist Günter Putz, Domdekan in Würzburg und Abteilungsleiter im Bischöflichen Ordinariat des Bistums. Als solcher verfügt er über Kontakte und Informationskanäle in die Römisch-Katholische Amtskirche, die als gut zu bezeichnen sicherlich nicht übertrieben ist. Die „Tagespost“ berichtete nun, dass Erzbischof Georg Gänswein (63) von seinem Amt als Präfekt des „Päpstlichen Hauses“ beurlaubt worden ist, damit er sich mit voller Kraft der Unterstützung des immer gebrechlicher wirkenden emeritierten Papstes Benedikt XVI. widmen könne.

Als das Päpstliche Haus ist das unmittelbare, vor allem auch private Umfeld des Papstes gemeint, seine intimsten Vertrauten und Ratgeber, die auch als „Päpstliche Familie“ bezeichnet werden. Der Präfekt dieser Organisationseinheit ist in der Römischen Kurie nicht irgendwer und hat wegen seines exklusiven Zugangs zum Papst mitunter größeren Einfluss auf dessen Entscheidungen als Kurienkardinäle. Das trifft auf Georg Gänswein, der „nur“ den Rang eines Erzbischofs hat, sogar in besonderer Weise zu, denn er ist zugleich auch der Privatsekretär des emeritierten Papstes, Benedikt XVI. Eine Konstellation, die ein gewisses Maß an Vertrauen erfordert, um als Diener zweier Herren nicht als Jemand zu gelten, der ein doppeltes Spiel spielt.

Zölibat – Achillesferse der Katholischen Kirche

Dieses Maß an Vertrauen scheint wohl nun auf Seiten von Papst Franziskus verbraucht, denn nach einem Moment das Abwartens bestätigte das Presseamt des Heiligen Stuhls am Mittwoch die Meldung der „Tagespost“, allerdings nicht die Mutmaßungen über die Gründe für die Beurlaubung Gänsweins. Dieser Grund soll, wenn die Informationen der „Tagespost“ zutreffen, typisch römisch-katholisch sein – es geht um Moral, im weitesten Sinne um die Sexualmoral dieser Kirche, die bekanntlich eine der Achillesfersen dieser Weltreligion ist, weil sie als weltfremd und verlogen gilt und bei nahezu allen Skandalen des Vatikans der letzten Jahre eine Rolle spielte, allen voran die riesige Zahl von Fällen sexuellen Missbrauchs durch katholische Amtsträger. Als eine der Ursachen fällt immer wieder ein Begriff: Zölibat, das Keuschheitsgelübde der Priester.

Obwohl kein sogenanntes Dogma ist, gilt es bis heute als unantastbar, weil sich viele theologische Grundlagen im Selbstverständnis der Papst-Kirche mit dem Zölibat verbinden. Für nicht wenige und vor allem nicht wenige sehr einflussreiche Kirchenfürsten und Theologen weltweit ist bereits eine Lockerung des Zölibats etwas, das die Kirche ihres Fundamentes beraubt, so als hätte man von Einstein verlangt, zu behaupten, er habe sich seine Relativitätstheorie nur ausgedacht und nicht durch mathematische und physikalische Logik entwickelt.

Dieser Hintergrund ist vielleicht eine Erklärung dafür, welchen Effekt und Nachhall es hatte, als bekannt wurde, dass Franziskus möglicherweise darüber nachdenkt oder nachdenken lässt, den Zölibat zu lockern, um seiner Weltkirche wieder den Anschluss an die Moderne zu ermöglichen. Auslöser für diese Spekulationen war das Abschlussdokument der sogenannten Amazonas-Synode im Oktober 2019 in Rom, eine Zusammenkunft südamerikanischer Bischöfe. In diesem Papier wurde gefordert, den Zölibat regional weniger streng anzuwenden, für die einen ein Novum, für andere ein Tabubruch. Und vor diesem Hintergrund sollten auch die Proteste bewertet werden, die prompt aus allen Teilen der Katholischen Kirche, vor allem aber direkt aus deren Machtzentrum zu vernehmen waren.

Offener Affront eines Alt-Papstes gegenüber einem regierenden Papst?

Mitte Januar 2020 detonierte diesbezüglich die bislang lauteste Bombe, als die französische Tageszeitung „Le Figaro“ am 12. Januar 2020 Auszüge aus einem Buch mit dem Titel „Des profondeurs de nos coeurs“ (Deutsch: Aus den Tiefen unserer Herzen) ankündigte. Als Autoren wurden genannt: der emeritierte Papst Benedikt XVI. und einer der ranghöchsten Kurienkardinäle, der in Guinea geborene Robert Sarah, Kardinalpräfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. In dem Buch findet sich ein Text von Benedikt, der, anders als bislang nach seinem Rückzug vom Amt üblich, nicht mit seinem bürgerlichen Namen Josef Ratzinger unterzeichnet war, sondern mit seinem Papstnamen.

Das gab dem Aufsatz seine Brisanz innerhalb der Katholischen Kirche. Denn in dem Text sprach sich Ratzinger gegen eine wie auch immer geartete Lockerung des Zölibats aus. Der Eindruck entstand, dass Ratzinger über den Umweg dieses Buches seinem Nachfolger Belehrungen in katholischer Theologie erteilte und dass er die fundamentale Haltung seines Ko-Autoren, Kardinal Sarah unterstützte, ein offener Affront gegen den amtierenden Papst. Der Vatikan reagierte prompt einen Tag später, am 13. Januar 2020, mit einer in Minusgraden zu messenden Kühle und einem Satz: „Die Position des Heiligen Vaters zum Zölibat ist bekannt.“ Die Pressemitteilung erinnerte daran, dass sich Franziskus unmissverständlich öffentlich gehen die Idee eines „optionalen Zölibats“ ausgesprochen hatte.

Doch vielleicht verursachte genau das den nun vollzogenen Entzug des Vertrauens von Papst Franziskus gegenüber seinem Haus-Präfekten Gänswein. Denn möglicherweise fühlte sich Franziskus von seinem Vorgänger zu etwas gedrängt, was er so deutlich vielleicht gerade nicht mehr öffentlich verkünden lassen wollte, aber musste, um seine päpstliche Autorität zu verteidigen. Und das ausgerechnet auch noch im Zusammenspiel mit einem Kurienkardinal, den er bereits mehrfach nur mit der Autorität seines Titels und kirchlichen Lehramtes zur Ordnung rufen konnte, weil sich Sarah immer wieder offen in einer Art und Weise positionierte, die jeden Versuch zaghaftester Reformen des Papstes sabotierte.

Robert Sarah wurde 1979 mit 34 Jahren der damals jüngste Erzbischof der Katholischen Kirche. Ernannt von Papst Johannes Paul II. Das war kein Unfall oder Zufall. Johannes Paul II. hatte ein untrügliches Gespür für Menschen, die in theologischen Fragen ähnlich konservativ dachten, durchsetzungsfähig und von missionarischem Eifer beseelt waren wie er. Er hatte früh erkannt, dass die Zukunft seiner Kirche vor allem in Afrika liegt, wollte die Katholische Kirche ihre globale Bedeutung nicht verlieren, wegen Säkularisation, sinkenden Geburtenraten und Massenaustritten in den westlichen Staaten. Dafür war Sarah perfekt geeignet und entwickelte sich schnell und effektiv in der Katholischen Kirche Afrikas zu einer einflussreichen konservativen Stimme, die gegen alles Moderne wetterte, Geburtenkontrolle, Abtreibung, Haltung zur Homosexualität, Rolle der Frauen usw. Und Sarah missionierte später als Sekretär der Kongregation für die Evangelisierung der Völker sehr erfolgreich im Namen seiner Kirche in Afrika.

„Missverständnis“ oder schwere Kommunikationsfehler?

Zurück zur Buchveröffentlichung und der ersten Reaktion des Vatikans. Erzbischof Georg Gänswein schaffte es zwar noch, einen Tag nach dem Papst, am 14. Januar 2020, über das Vatikanische Presseamt verkünden zu lassen, dass Benedikt XVI. nicht Ko-Autor des Buches von Kardinal Sarah ist, dass weder sein Bild noch seine Unterschrift verwendet werden dürfen, dass von einer Veröffentlichung des Textes des emeritierten Papstes nie die Rede gewesen ist und vor allem, dass er nicht an der Einführung und Schlussfolgerung des Buches beteiligt gewesen sei und es sich ganz grundsätzlich um ein „Missverständnis“ gehandelt habe. Er, Gänswein, habe ihn, Sarah telefonisch informiert. Auch andere internationale Zeitungen bestätigten aus anderen Quellen, dass Benedikt XVI. keine Autorisierung für die Veröffentlichung seines Textes erteilt habe. Aber Kardinal Sarah kam Gänswein zuvor. Und er hatte keine Skrupel, öffentlich Interna auszuplaudern. Und dass dies in aller Öffentlichkeit stattfand und möglicherweise tatsächlich auf einen schweren Kommunikations- und/oder Beratungsfehlers des Privatsekretärs von Benedikt zurückzuführen war, könnte Franziskus dazu bewogen haben, Stühle zu rücken.

Über sein Twitter-Konto verbreitete Kardinal Sarah schon am 13. Januar 2020, kurz vor Mitternacht, einen Beitrag, in dem er erklärte, dass er die offiziellen Verlautbarungen von Gänswein, als so wörtlich „Lüge“ („…mensonge…“) betrachte und als „Diffamierungen“ , die „außerordentlich schwerwiegend“ seien („…diffamations sont d’une gravité exceptionnelle…“). Offenbar hatte Sarah schon Wind von der Pressemitteilung Gänsweins bekommen. Als Beleg für seine Verteidigung publizierte Sarah drei persönliche Schreiben von Benedikt, eigentlich ein Sakrileg im Vatikan.

​Allerdings finden sich in diesen drei Briefen keine Bestätigungen oder Belege für eine Zusammenarbeit des Alt-Papstes mit dem Kardinal bezüglich eines Buchprojektes. Benedikt übermittelt Sarah in einem kurzen Brief vom 12. Oktober 2019 seine „Gedanken über das Priestertum“, wie er es in einem Brief vom 20. September 2019 angekündigt hatte und wiederholt dann das gleiche wie in seinem Schreiben vom September: „Ich überlasse es Ihnen, ob Sie irgendeinen Nutzen aus meinen bescheidenen Gedanken ziehen.“ („Lascio a Lei se trova qualche utilità nei miei poveri pensieri.”). Der Wortlaut des dritten Briefes vom 25. November 2019 ist da schon verfänglicher: „Der Text kann meinerseits in der von Ihnen angegebenen Form veröffentlicht werden.“, schreibt Benedikt an Sarah, („Da parte mia il testo può essere pubblicato nella forma da Lei prevista.“) Aber auch das ist weder die Bestätigung eines Buchprojektes, noch die Bestätigung einer Beteiligung des emeritierten Pontifex an einer solchen Unternehmung.

Doch das Tischtuch zwischen Franziskus und seinem Haus-Präfekten scheint zu diesem Zeitpunkt schon zerschnitten gewesen zu sein. Erzbischof Gänswein nahm am 15. Januar noch an der Generalaudienz des Papstes teil, eine seiner zeremoniellen Pflichten. Danach war er aus der Öffentlichkeit verschwunden. Bis nun die Meldung über seine „Beurlaubung“ pünktlich zur Generalaudienz des Papstes am 5. Februar 2020 bekannt wurde und die Öffentlichkeit feststellte, dass an der Seite von Franziskus der „Regent“ der Präfektur, Leonardo Sapienza, schritt.

Warum der Papst nicht Kardinal Sarah disziplinarisch zur Verantwortung zog erscheint etwas rätselhaft, zumal Sarah auf seinem Twitter-Konto unverdrossen beinahe täglich den Eindruck erweckt, als sei Benedikt XVI. Mitherausgeber seines Buches, obwohl dies zu unterlassen hat.

Benedikt XVI. – Vom meinungsfreudigen Zölibat-Kritiker zum unerbittlichen Hardliner

Ironie der Geschichte. Ausgerechnet der pensionierte Papst Benedikt, der so leidenschaftlich für die Beibehaltung des Zölibates streitet, galt mal als bemerkenswerter Kritiker dieser umstrittenen Rechtsvorschrift für Priester. Beinahe auf den Tag genau vor 50 Jahren, am 9. Februar 1970 übergaben der seinerzeitige Universitätsprofessor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Uni Regensburg, Josef Ratzinger, zusammen mit acht Theologenkollegen ein Memorandum, das sie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erstellt hatten, für die sie als Konsultoren in eine Kommission für Fragen der Glauben- und Sittenlehre berufen worden waren.

Der Titel des Papieres „Memorandum zur Zölibatsdiskussion“. Darin finden sich eine ganze Reihe bemerkenswerter Sätze, die für die Römisch-Katholische Kirche beinahe schon ketzerisch anmuteten, nicht nur in Bezug auf den Zölibat, aber vor allem im Hinblick auf die immer mehr verhärteten Positionen und Entscheidungen von Ratzinger als Erzbischof von München und Freising, als Chef der Glaubenskongregation und dann als Papst, die am Ende im kompletten Widerspruch zu dem standen, was er in diesem Memorandum einmal mitunterzeichnet hatte. Beispielsweise bezogen auf die Unumstößlichkeit des Zölibats:

„Die Fragerichtung der hier gemeinten Überprüfung geht folglich nur dahin, ob die bisherige Weise, in der die priesterliche Existenz realisiert wird, in der lateinischen Kirche die einzige Lebensform sein könne und bleiben müsse.“

In Bezug auf die Rechtsstellung der Bischöfe gegenüber dem Papstamt heißt beispielsweise:

„Sie sind keine Beamte des Papstes oder lediglich Exekutoren des päpstlichen Willens, sondern als Kollegium (mit dem Nachfolger Petri) selbst Träger höchster Entscheidungsgewalt in der Kirche.“

Und die Kritik an Papst und anderen hohen Würdenträgern der Amtskirche ließ an Deutlichkeit nichts vermissen:

„Es wäre viel besser gewesen, die verantwortlichen Amtsträger der Kirche hätten schon vor ein paar Jahren ernsthaft und genau die entstandene Situation geprüft. Dann wären die notwendigen Überlegungen wahrscheinlich in einer Atmosphäre vorlaufen, die der Sache günstiger gewesen und nicht mit so viel Emotionen geladen worden wäre. Dies ändert aber nichts daran, daß die erwähnte Überprüfung heute noch dringender geworden ist.“

Es darf als sicher gelten, dass Kardinal Sarah sich entsetzt bekreuzigt hätte, wenn ihm Ratzinger heute einen solchen Text angeboten hätte. Ob es den Kopf von Erzbischof Gänswein gerettet hätte, darf allerdings auch bezweifelt werden. Seine Glanzzeit als „George Clooney“ des Vatikan war spätestens mit dem Rückzug seines Protegés vom Amt des Papstes abgelaufen. Diese Position nimmt nun wohl der neuberufene, zweite Privatsekretär von Papst Franziskus ein, der 40-jährige Priester Gonzalo Aemilius aus Uruguay. Dessen Berufung am 26. Januar 2020 wurde von der Tageszeitung „Welt“ aus dem Hause Springer allen Ernstes mit der Schlagzeile angepriesen: „Papst holt Gonzalo Aemilius: Der neue Schöne im Vatikan“. Ob solche Prioritätensetzungen die Zölibatsdebatte in der Katholischen Kirche befördern, entzieht sich der Kenntnis des Autor.

Quelle!:

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