Samstag, April 27, 2024
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Vor EU-Wahl: Rechtsruck, Erdogan und die Islamisierung Europas

Viele Beobachter befürchten einen großen Erfolg der rechten Parteien bei der Europa-Wahl Ende Mai. „Nur wer auch islamistische Parteien bekämpft, kann rechtsradikale Parteien bekämpfen“, meint Memet Kilic. Der türkischstämmige Jurist und Grünen-Politiker aus Heidelberg erklärt im Sputnik-Interview Strategien gegen Rechts und Islamisierung.

In Deutschland leben laut Angaben des statistischen Bundesamtes etwa drei Millionen Menschen türkischer Herkunft. Der Großteil davon ist zur Europawahl am 26. Mai wahlberechtigt. Dort wird auch eine Partei antreten, der Kritiker eine starke Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen Regierungspartei AKP nachsagen: die BIG-Partei. Memet Kilic, Rechtsanwalt und Grünen-Politiker aus Heidelberg, beobachtet diese Partei und dahinterstehende islamistische Kräfte bereits seit Jahren kritisch. Sie seien auch eine Gefahr für die deutsche Demokratie und für die bevorstehende EU-weite Wahl.

„Ich bin dafür, dass man die BIG-Partei nicht überbewertet und dieser Partei nicht unnötig Publizität, also Öffentlichkeit, verschafft“, kommentierte Jurist und Grünen-Politiker Kilic im Sputnik-Interview. „Bisher ist diese Partei auch nicht so erfolgreich. Selbst konservative Türken in Deutschland wählen mehrheitlich andere Parteien. Weil auch Erdogan selbst die Linie vorgegeben hat: ‚Organisiert euch in deutschen großen Parteien.‘ Um dort Lobby-Arbeit zu gestalten.“ Die BIG-Partei dagegen sei „eine sondierte Partei. Die stehen potenziell bereit, enttäuschte Wählerinnen und Wähler abzufangen. Das ist deren Hoffnung.“ Dies werde jedoch aller Voraussicht nach nicht gelingen.

Die Grünen und eine „verwirrte CDU“

Der Heidelberger Politiker freut sich über den sehr guten Wahlkampf seiner eigenen Partei: „Die Vorgehensweise meiner Partei Bündnis 90/ Die Grünen ist konsequent und konsistent. Wir bleiben auf Kurs und unserem breiten, großen Weg treu.“ Seine Partei kämpfe weiterhin für das „grüne Markenzeichen“ Klima- und Umweltschutz.

„Wir verknüpfen das erfolgreich mit Europa-Themen, mit Verkehrs-Themen, mit sozialen Themen. Diesmal machen wir einen ziemlich geräuschlosen und erfolgreichen Wahlkampf. Nicht nur für Europa auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene. Wir haben am gleichen Tag Kommunalwahlen beispielsweise hier in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern.“

Mit Blick auf die politische Konkurrenz sagte er, es gebe aus seiner Sicht einige „Irritationen insbesondere bei der CDU“.

Was Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angehe, fragte er: „Kanzlerschaft Ja oder Nein? Die parteiinterne Diskussion dort um Frau Kramp-Karrenbauer ist groß. Deshalb erscheinen die Konservativen etwas hilflos gegenüber der AfD.“ Die Union habe keine wirkliche Antwort auf die Herausforderung namens AfD bei dieser Europa-Wahl, so sein Fazit.

Die Warnung vor dem Rechtsruck in Europa…

Jedoch glaube Kilic nicht, dass rechte Parteien bei der Europa-Wahl „massenhaft ins EU-Parlament einziehen“ werden. Aber er warnte:

„Wir beobachten schon lange einen gewissen Rechtsruck in Europa. In Ungarn, in Polen, in Frankreich mit Frau Le Pen. In Österreich wiederum haben sich alle gefreut, dass es ein grüner Bundespräsident knapp geschafft hat. Wenn man all diese Dinge zusammenzählt, ist es schwierig. Europa – diese gute Idee aus meiner Sicht – wackelt gerade. Ich befürchte, dass die rechtsradikalen Parteien, also EU-skeptische Parteien, stärker im Parlament vertreten sein werden.“

…hängt auch mit Gefahr durch Islamisten zusammen…

Doch er nannte auch einen Zusammenhang, der häufig übersehen werde:

„Wir haben in Europa zunehmend ein Islamismus-Problem. Der politische Islam macht sich breit, und das beängstigt die Leute und bereitet vielen Menschen Sorgen. Wenn die anderen etablierten Parteien das nur als unnötige Hysterie betrachten, dann verstehen sie die Sorgen der Menschen nicht. Das verursacht zusätzlich Unsicherheit und einen gewissen Rechtsruck.“

Der Anwalt und Grünen-Politiker hatte bereits 2014 in einer Twitter-Meldung öffentlich mitgeteilt: „Wer Islamisten nicht bekämpft, kann auch rechte Strömungen wie Pegida nicht bekämpfen. Daraufhin habe ich viel Gegenwind von AKP-Leuten, also von Erdogan-Befürwortern bekommen.“ Selbst ein früherer, türkisch-stämmiger EU-Politiker, der mittlerweile Berater von Erdogan ist, habe ihn damals massiv kritisiert und verklagt. Kilic befürchte, dass dieser Trend sich fortsetzt.

„Gegen Rechtsradikalismus in Deutschland zu argumentieren und zu kämpfen, ist man gewohnt. Aber gegen Islamisten wagt das so gut wie keiner. Die Moslem-Brüder reagieren sofort mit der Islamophobie-Keule. Deshalb haben viele Angst und bleiben im Geübten: Dann schimpfen sie über die Rechtsradikalen, und die Islamisten fühlen sich pudelwohl in Deutschland.“ Dies sei die falsche Strategie: „Wir müssen sowohl Islamisten als auch Rechtsextreme und verfassungsfeindliche Kräfte gemeinsam bekämpfen.“

…und schlägt Wellen bis in die Türkei

Mit Blick auf sein Heimatland kritisiert Kilic die Einmischung der AKP in die jüngsten Kommunalwahlen in Ankara und Istanbul. Auch die wirtschaftliche Krise in der Türkei und der Absturz der Währung Lira deutet er als bedenkliche Zeichen.

„Diese Entwicklungen erfüllen mich mit großer Sorge. Herr Erdogan hat, wie Sie wissen, zwischen dem Islamischen Staat IS*, der Nato und Russland ständig getanzt und kurzfristig immer wieder die Seiten gewechselt. Das hat er als große Diplomatie verkauft. Aber das war es nicht. Seine Tanzfläche ist ziemlich eng geworden. Die türkische Wirtschaft geht den Bach herunter.“ Die ökonomische Talfahrt sei auch durch die Politik von Erdogans AKP verursacht: „Ohne gesellschaftliche Freiheiten gibt es keine ausländischen Investitionen. Ohne Sicherheit gibt es keine wirtschaftliche Entwicklung.“ Die Folge sei nun eine akute türkische Währungs- und Wirtschaftskrise.

Aktuell betreiben laut ihm türkische Sozialforscher und Wissenschaftler eine Feldstudie am Bosporus. Deren Schlussfolgerung: „Islamisten können mit demokratischen Verhältnissen an die Macht kommen. Aber durch Wahlen gehen sie meist nicht wieder weg. Sie betrachten die Wahlen nur als mathematische Formeln. Sie haben keinen Sinn für Freiheiten und Grundwerte. Deshalb wird Erdogan noch aggressiver. Ich hatte 2016 einen politischen Essay für Deutschlandfunk Kultur geschrieben. Der Text trägt den Titel: ‚Erdogan steuert auf Bürgerkrieg zu.‘ Das befürchte ich tatsächlich immer noch.“

Er stehe in Kontakt mit vielen Menschen in der Türkei. „Viele waren nach den vorletzten Kommunalwahlen sehr deprimiert. Denn: Obwohl der Oppositions-Kandidat gewonnen hatte, haben die Islamisten durch Stimmenklau seine Amtsführung verhindert. Jetzt herrscht aber in der Türkei teilweise Optimismus, weil Ankara unstrittig von der Opposition gewonnen wurde. Aber auch in Istanbul hat die Oppositions-Partei eigentlich gewonnen. Selbst wenn die AKP das nicht akzeptiert, ist es eine Niederlage für Erdogan, wenn auch eine knappe. Daher hat jetzt die Opposition in der Türkei große Hoffnung. Es herrscht eine Euphorie.“ Die offene türkische Gesellschaft erhoffe sich nun einen politischen Aufbruch.

Quelle!:

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