Samstag, April 20, 2024
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Warum niemand aus seiner Wohnung geklagt werden dürfte: Wohnen als Menschenrecht

Schieflagen in Gesellschaft und Wirtschaft können zu Obdachlosigkeit führen. Darauf weisen immer wieder Sozial-Experten und Mieterverbände hin. Kein Vermieter sollte seine Mieter aus der Wohnung herausklagen dürfen – ohne menschenwürdige Ersatzwohnungen anzubieten. So eine oft gehörte Forderung. Wie sich Mieter schützen können, erklärt Sputnik.

Das Recht auf eine eigene Wohnung sei ein Menschenrecht, betonen immer wieder Sozial-Experten, Mieterverbände und Vorkämpfer für das Recht von Mietern. Diese Aussage ist am besten verständlich vor dem Hintergrund von Mietern, denen droht, dass sie vom Vermieter aus der Wohnung geklagt werden. Dies kann aus vielen Gründen geschehen – „Eigenbedarf“, Störung des Hausfriedens oder fehlende Mietzahlungen. Meist aber eben auf Druck des Wohnungseigentümers, also des Vermieters.

„Wenn der Vermieter die Wohnung selbst braucht, müssen Mieter weichen“, berichtete „Stiftung Warentest“ in einem Online-Beitrag im Mai. „Nur in besonderen Härtefällen dürfen sie bleiben. Eine lange Mietdauer von mehreren Jahrzehnten oder ein hohes Alter von 80 Jahren stellen allein noch keine Härte dar, hat der Bundesgerichtshof entschieden.“

„Mietverträge dürfen normalerweise nicht gekündigt werden …“

Das Spannungsverhältnis dabei: „Privateigentum ist Grundrecht. Doch auch das Recht des Mieters auf seine Wohnung steht unter dem Schutz des Grundgesetzes (und des Bürgerlichen Gesetzbuches BGB, Anm. d. Red.). Was das für Mieter und Vermieter heißt: Mietverträge dürfen normalerweise nicht gekündigt werden, solange der Mieter seine Pflichten erfüllt und insbesondere seine Miete pünktlich bezahlt.“

Es gebe allerdings Ausnahmen. Die wichtigste: „Der Vermieter braucht die Wohnung selbst und meldet Eigenbedarf an. Je höher die Mieten steigen, umso häufiger brauchen Vermieter ihre oder eine ihrer Wohnungen selbst. Sie dürfen Mietern kündigen, wenn sie eine Wohnung für sich, ihre Familie oder nahe Verwandte brauchen.“

Folgenden Rat gibt „Stiftung Warentest“ Mietern an die Hand bei einem solch drohenden Szenario:

„Liegt Eigenbedarf vor, müssen Sie nach Ablauf der Kündigungsfrist ausziehen. Nur wenn der Auszug für Sie, Ihre Familie oder andere Mitglieder des Haushalts eine besondere Härte darstellt, dürfen Sie der Kündigung widersprechen. Chancen zu bleiben, haben vor allem alte oder kranke Mieter, die schon lange in der Wohnung leben.“

„Geschäft“ mit der Obdachlosigkeit?

Der Weg vom Wohnungsverlust hin zur eigenen Obdachlosigkeit sei dann nur ein kurzer, betonen Sozial-Experten. Doch: Auch bei Unterkünften für Obdachlose, die die Kommunen bereithalten, scheinen laut manchem Beobachter finanzielle Interessen im Spiel zu sein.

Ebenso verdeutlichen folgende Presseberichte, dass Obdachlosigkeit zum „Geschäft“ für manche werden kann. Auf Kosten menschlicher Schicksale.

So schilderte die Münchner „Abendzeitung“ vor einigen Jahren den Fall einer gar 90-jährigen Frau, die aus ihrer Wohnung in der bayerischen Metropole von ihrem Vermieter herausgeklagt worden war. Der brauche die Wohnung im Moment selbst, so die Begründung. Angeblicher Eigenbedarf. „Aus einer Wohnung, in der die Rentnerin 54 Jahre lang gelebt hat. Sie sagt, das habe sie ‚fertig gemacht‘.“

Die Stiftung macht jedoch auch darauf aufmerksam, dass Vermieter per Gesetz keinen Eigenbedarf vortäuschen dürfen. Sonst „müssen sie Schadenersatz zahlen und können wegen Betrug angeklagt und bestraft werden.“

München: Gehbehinderte Frau von Vermieter aus Wohnung geklagt

Beim Herausklagen von Mieterinnen und Mietern scheint es dabei für die klagenden Vermieter keine Altersgrenze nach oben zu geben. Kein Wunder, geht es doch um viel Geld im hart umkämpften Wohn-, Miet- und Immobilien-Geschäft.

Ein weiterer skandalöser Fall: Medien berichteten im vergangenen Sommer, dass eine gehbehinderte Mieterin, ebenso in München, aus ihrer Wohnung herausgeklagt worden ist. Sie war zu dem Zeitpunkt fast 80 Jahre alt. Demnach gebe es dort ein neues Urteil, welches besagt: Auch sozial schlechter gestellte Mieter sind in der Landeshauptstadt Bayerns nicht vor Räumungen wegen Eigenbedarf geschützt.

Noch eine weitere skandalträchtige Entscheidung: Wie die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) Anfang April berichtete, wurde in Nordrhein-Westfalen eine „Hartz-IV-Familie aus ihrer Wohnung geworfen: Mieterverein entsetzt“.

Berlin: Wohnungseigentümerin wollte Senioren herausklagen

Das Land Berlin hatte schon im März 2019 beschlossen, Menschen höheren Alters „vor Eigenbedarfskündigungen zu schützen“. Das berichtete damals die Berliner Zeitung „B.Z.“. „Das Berliner Landgericht hat die Rechte von betagten Mietern gestärkt. (…) Mieter können nun unter Berufung auf ihr Alter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.“ Die Zeitung schilderte einen konkreten Fall.

„Eine Wohnungseigentümerin wollte zwei Senioren wegen Eigenbedarfs kündigen. Die 87 und 84 Jahre alten Mieter widersprachen mit Verweis auf ihr Alter, ihren Gesundheitszustand und ihre beschränkten finanziellen Mittel. (…) Das Gericht stimmte ihnen weitgehend zu.“

Andere Beobachter und soziale Organisationen sehen darin zwar einen Erfolg. Aber strukturell sei das immer noch zu wenig, um die Zahl der Obdachlosen zu verringern. Eine häufig gehörte Forderung: Wenn jemand seine Wohnung verliert, dort herausgeklagt wird oder diese wegen Eigenbedarfs des Vermieters verlassen muss, sollte dem Betroffenen im Gegenzug eine Ersatzwohnung oder zumindest eine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden.

Obdachlose: „Besonders gefährdet durch Behördenwillkür“

Diese Ersatz-Unterkunft sollte dann allerdings auch der Vermieter selbst bezahlen, der den Mieter oder die Mieterin zuvor rausgeklagt hat. Das fordern manche Sozial-Experten, die sinngemäß sagen:  

Wenn jemand aus irgendeinem Grunde seine Wohnung verlassen muss – ob verschuldet oder unverschuldet – dürfe er oder sie danach nicht auf der Straße landen. Das dürfte es einfach nicht geben. Denn Wohnen sei ein elementares Menschenrecht.

Viele Menschen ohne Wohnung und Obdach würden darüber hinaus immer wieder Gefahr laufen, von Behörden keine Hilfe oder zumindest keine situationsgerechte Unterstützung zu erhalten. Sie könnten dann Opfer durch Behördenwillkür werden.

Im Juni zeigte der TV-Sender „ZDF“ einen Spielfilm. Dieser stellte ein an der Lebenswirklichkeit angelehntes, fiktives Beispiel eindrücklich dar:

Eine junge Frau und Mutter, die unverschuldet in die Obdachlosigkeit geraten ist, kommt zu einer Behörde oder zum Sozialamt und sagt: „Ich bin ab heute obdachlos und habe für mich und meinen Sohn keine Wohnung oder Unterkunft.“ Aber die Dame im Amt antwortet ihr daraufhin: „Haben Sie denn überhaupt für heute einen Termin vereinbart?“. Schier unvorstellbar, dass solch ein skandalöser Vorgang in unserer Gesellschaft häufig vorkommt, so der Tenor des Films.

Unfassbar erscheinen auch Gerichtsurteile, die sinngemäß besagen: In ein obdachloses Leben abzurutschen, wäre heutzutage „ein normales Lebensrisiko“.

„Normales Risiko“ obdachlos zu werden?

„Wenn die Zwangsräumung der Wohnung droht, sollten säumige Mieter sofort handeln und mit dem Vermieter eine Einigung suchen“, schrieb die Zeitung „Die Welt“ bereits im Jahr 2016. „Nützt dies nichts, kann noch das Amtsgericht helfen.“ Neben dem Rechtsweg und Gang zum Gericht gebe es darüber hinaus Mieterverbände als Ansprechpartner, an die sich Betroffene wenden können.

„Zu den zentralen Dingen, die sofort zu tun sind, gehört für den Deutschen Mieterbund (DMB) ein Gespräch mit dem Eigentümer. Dieser sollte um eine gütliche Einigung gebeten werden. Der Mieter könnte ihm zum Beispiel anbieten, Mietschulden abzustottern. Akzeptiert der Hausbesitzer den Vorschlag, wäre das Unheil gebannt – sofern der Mieter seine Zusage einhält.“

Andere Experten und Beobachter mahnen, dass vor allem in der aktuellen Corona-Krise jene Menschen keine Chance auf eine ordentliche gesundheitliche Versorgung hätten, die ohnehin arm und nicht versichert sind. Darunter eben vor allem obdachlose und wohnungslose Menschen. Für sie bleiben oft nur Notversorgungen durch private Initiativen und soziale Träger als letzte Optionen übrig.

Quelle!:

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