Dienstag, Mai 7, 2024
StartPolitikEuropaEinst bejubelt, heute ausgedient? Wiener Sozialforscher zum Abstieg des Hoffnungsträgers Kurz

Einst bejubelt, heute ausgedient? Wiener Sozialforscher zum Abstieg des Hoffnungsträgers Kurz

Laut dem für APA und ATV erstellten Österreich-Trend von Peter Hajek sind 65 Prozent der Bevölkerung dafür, dass Ex-Kanzler Sebastian Kurz sich als Klubobmann und Parteichef der ÖVP zurückzieht und die Politik ganz verlässt. Daniel Witzeling, Leiter des Humaninstituts Vienna analysiert im SNA-Interview den Wahrnehmungswandel der Öffentlichkeit.„Sebastian Kurz war nach Jörg Haider die letzte große Politerscheinung in den letzten Jahren in der österreichischen Innenpolitik“, sagt Witzeling. Es gebe nur einen signifikanten Unterschied. „Der ÖVP-Chef verfügt weder über den akademischen Hintergrund des promovierten Juristen Haider noch über dessen gewachsene Entwicklung. Kurz hat eine Volkspartei, nämlich die ÖVP, übernommen und nicht so wie der einstige Kärntner Landeshauptmann eine kleine Partei, die damals weit unter zehn Prozent lag zu einer veritablen politischen Kraft über 25 Prozent aufgebaut.“„Jörg Haider repräsentierte eine ganz andere mentale Bandbreite und einen gänzlich unterschiedlichen Erfahrungsschatz“, so Witzeling weiter.„Er kämpfte gegen ein System des Proporzes zwischen Rot und Schwarz in Österreich, während Kurz ein Produkt eben jenes ist. Sein größtes Manko ist, dass er bei den Menschen Hoffnungen nach Veränderungen geweckt hat und dann nicht wirklich geliefert hat. Die Chats und Skandale sind nur das Symptom der Krankheit und der letzte Tropfen auf dem heißen Stein der Frustration der Wähler. Der ,Altkanzler‘ und nunmehrige Klubobmann der Österreichischen Volkspartei hat einer alten Bewegung einen neuen türkisen Anstrich verpasst, jedoch nicht für eine qualitative Veränderung in seiner Partei und ebenso wenig in ganz Österreich gesorgt.“

Schein und Sein

Der Sozialforscher weiter: „Wenn man die Arbeit bilanziert, hat Sebastian Kurz weder seine Partei wirklich reformiert, wie dies im Konzept ,Evolution Volkspartei‘ intendiert war, und – was noch essentieller ist – er hatte bis dato nicht die Chance Österreich zu verändern. Seine Politik gleicht einem Potemkinschen Dorf. Die Überschriften und Ankündigungen waren groß, die Realität dahinter eher bescheiden. Es stimmt, dass die Österreicherinnen und Österreicher sich nach einem neuen Hoffnungsträger gesehnt haben. Diese Rolle konnte er jedoch so wie es jetzt aussieht nicht erfüllen.“

Diese Enttäuschung sei ein Grund für den dramatischen Absturz in den Umfragen und in der Beliebtheit in der Bevölkerung, urteilt der Experte. Aus dem Märchenprinz wurde nun der ,Buhmann‘. Beide Attributionen sind jedoch immer schon übertrieben gewesen. Seine starken Werte in demoskopischen Erhebungen basierten genau so wenig auf seiner individuellen Substanz wie der aktuelle Fall in den Studien. Sebastian Kurz ist ein perfektes Beispiel für das Phänomen der Projektion in der Politik.“

Comeback von Kurz?

Eine Rückkehr von Kurz als Kanzler sei momentan unwahrscheinlich, so Witzeling. „In Österreich findet ein brutaler Machtkampf zwischen verschiedenen Interessensgruppen statt. Die Sozialdemokraten würden gerne wieder an die Macht kommen, und die ÖVP will ihre Machtposition nicht hergeben. So gesehen hat sich an dem jahrzehntelangen Proporz, an dem Österreich leidet, nichts geändert. Der Prozess begann mit dem Untergang von Heinz-Christian Strache, der über ein Video stolperte. Analysiert man das gesamte Politschauspiel genau, kann man sehen, dass Kurz nur ein Statist oder besser definiert ein ,Übergangsobjekt‘ für die Menschen darstellt. Die große Frage ist, was wird nun weiter passieren?“

Ein Ass habe der ehemalige Kanzler noch im Ärmel, so der Experte.„Auf der politischen Bühne gibt es nämlich keine ernstzunehmende Konkurrenz. Die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wirkt eher als affektierte Ärztin, der es nicht gelingt, die Massen zu mobilisieren. Sie macht eher den Eindruck, dass sie mit aller Gewalt ihre Bewegung, die Sozialdemokratie, an die Futtertröge der Macht bringen will. Herbert Kickl, der Chef der FPÖ, ist zwar in puncto Populismus ein Meister, jedoch verfügt er nicht über die positive Strahlkraft seines Mentors Jörg Haider. Kickl erreicht durch seine weniger charmanten Auftritte einen harten Kern der Frustrierten, jedoch spielt gerade in der Alpenrepublik der berühmte österreichische ,Charme‘ eine zentrale Rolle.“Kurz müsste sich gänzlich neu erfinden und geläutert als Büßender in den Wahlkampf ziehen, dann hätte er vielleicht nochmal eine Chance, resümiert Witzeling. „Es wird sich weisen, wieviel Potenzial wirklich in ihm steckt. Haider gelang es mit dem Bündnis Zukunft Österreich und zehn Prozent wieder aufzuerstehen.“

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