Freitag, Mai 3, 2024
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„Absurd“ – Politikwissenschaftler zu AKK-Vorschlag einer internationalen Sicherheitszone in Syrien

Wenig Ahnung von der Situation in Syrien attestiert der Experte für Internationale Beziehungen Prof. Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Türkei sei nach der Einigung mit Russland nicht auf die Unterstützung europäischer Nato-Partner angewiesen.

Zum Vorstoß der CDU-Chefin, der russisch-türkischen Einigung von Sotschi und den Entwicklungen im Norden Syriens hat Sputnik Prof. Gerhard Mangott um eine Einschätzung gebeten.

Herr Mangott, am Montagabend kam die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer überraschend mit dem Vorschlag um die Ecke, in Nordsyrien eine international kontrollierte Sicherheitszone zu schaffen – mit Beteiligung Deutschlands und unter Einbeziehung von Russland und der Türkei. Mit diesem offenbar nicht abgesprochenen Vorstoß hat die CDU-Vorsitzende für viel Unmut beim Koalitionspartner sowie bei der Opposition gesorgt, auch Nachbar Frankreich scheint sich dafür nicht wirklich erwärmen zu können. Wie bewerten Sie AKKs Vorstoß? Die Idee ist schließlich nicht neu…

Die Idee ist nicht neu, aber noch nie war sie so absurd, wie am vergangenen Montag. Warum sollten Russland und die Türkei, die sich gestern in Sotschi auf eine gemeinsame Kontrolle über die Grenzzone zwischen Syrien und der Türkei geeinigt haben, jetzt eine internationale Friedenstruppe dulden, mit oder ohne deutsche Beteiligung? Wenn die Türkei und Russland es doch gut und gerne selbst machen können? Gerade in dieser Phase einen solchen Vorschlag zu machen, zeugt von wenig Ahnung von der Realität am Boden in Syrien. Den Vorschlag, noch dazu ohne Absprache mit dem Koalitionspartner zu machen, macht das Ganze noch ein wenig tragischer. Vielleicht wollte Frau Kramp-Karrenbauer signalisieren, dass Deutschland jetzt auch mal etwas vorschlägt und etwas zu tun bereit ist, und nicht mehr abseits steht, während die Anderen die schwierigen Konflikte lösen. Das war aber jedenfalls kein gelungener Versuch, das zu tun.

Die Verteidigungsministerin hatte tatsächlich zur Begründung gesagt, Deutschland könne nicht länger nur „Zaungast“ in diesem Konflikt bleiben. Wenn Deutschland nun seine traditionell eher zurückhaltende Rolle aufgeben und Bodentruppen der Bundeswehr nach Syrien entsenden würde – was würde das für die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik bedeuten?

Es wäre sicher so etwas wie ein Paradigmenwechsel, denn die deutsche Außenpolitik hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch große Zögerlichkeit ausgezeichnet. Deutschland war immer vorne dabei, Vorschläge zu machen, aber niemals bei der Umsetzung dieser Vorschläge. Das mag jetzt ein Versuch der Verteidigungsministerin gewesen sein, hier für Veränderung zu sorgen, aber nichts daran ist glaubhaft, und nichts davon ist angesichts der derzeitigen Sicherheitslage in Syrien angebracht. Gesetzt den Fall, eine solche Sicherheitszone käme zustande (was völlig ausgeschlossen ist), dann wäre dies die erstmalige Bereitschaft der ökonomischen Großmacht Deutschland, auch sicherheitspolitische und militärische Verantwortung zu übernehmen. Dafür sehe ich in Deutschland aber keinen Mehrheitskonsens.

Nun ist Syrien ja auch Aktionsraum der Nato-Partner USA und Türkei. Nachdem die USA sich zurückgezogen hatten, hat die Türkei eine große Militäroffensive entlang der türkisch-syrischen Grenze begonnen, mit dem Ziel, kurdische YPG-Milizen aus dem Gebiet zu verdrängen. Wäre eine Nato-Zusammenarbeit in dem Raum überhaupt realistisch?

Nein, ich denke, die Beziehungen zwischen der Türkei und den meisten Nato-Partnern sind gestört. Die EU hat geschlossen den türkischen Vormarsch auf Nordsyrien verurteilt und als völkerrechtswidrig bezeichnet. Das schafft Spannungen innerhalb der Nato – zwischen den europäischen Nato-Mitgliedern und der Türkei. Und die Türkei denkt nicht daran, jetzt auf die Unterstützung dieser Nato-Mitglieder zurückzugreifen, weil sie sie nämlich nicht braucht.  Sie ist in der Lage, militärisch, gemeinsam mit Russland und den Regierungsstreitkräften Syriens, diese Zone zu kontrollieren und von den Einheiten der YPG freizuhalten. Dazu braucht es eben keine internationale Truppe. So etwas müsste natürlich auch durch den Sicherheitsrat abgesegnet werden. So nobel Russland auch auf diesen Vorschlag reagiert hat, würde eine solche Initiative im Sicherheitsrat an Russland und auch an China scheitern. Das Ganze ist also eine große Illusion.

Inzwischen haben sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan in Sotschi bezüglich Syriens geeinigt.  Die Pufferzone entlang der türkisch-syrischen Grenze soll von der Türkei, Russland und der syrischen Regierung kontrolliert werden. Was ist von dieser Einigung zu halten?

Es ist ein Sieg, um nicht zu sagen ein Triumph für die russische Diplomatie, denn Russland und den Verbündeten syrischen Regierungstruppen ist es gelungen, große Territorien unter ihre Kontrolle zu nehmen, ohne auch nur eine Sekunde dafür kämpfen und militärische Opfer bringen zu müssen. Die Türkei wird in der Kontrollzone in Nordsyrien auf die Region zwischen Tal Abyad und Ras al-Ain reduziert. Das sind nur etwa 104 Kilometer und nicht, wie die Türkei ursprünglich gefordert hatte, die Kontrolle über die gesamte syrisch-türkische Grenze. Obwohl sie weiterhin die Absetzung Assads fordert, akzeptiert die Türkei, dass syrische Grenzschutzeinheiten zusammen mit russischen Militärpolizisten den Rest der türkisch-syrischen Nordgrenze außerhalb dieses Korridors kontrollieren. Ein Triumph für die syrische Regierung, ein Triumph vor allem auch für Russland.  Die Türkei hat einen Vorteil aus diesem Abkommen: Sie hat das Ziel erreicht, was ihr am wichtigsten war, nämlich, dass die kurdischen bewaffneten Volksschutzeinheiten mindestens 30 Kilometer von dieser Nordgrenze zurückgezogen werden.

Halten sie den Rückzug der USA aus der Region für endgültig oder kann es passieren, dass die USA ihren Griff zwar gelockert haben, aber gegebenenfalls doch eingreifen wollen?

Man ist versucht zu sagen: Die amerikanische Syrien-Politik kann nur von Tweet zu Tweet von Präsident Donald Trump gewertet werden. Jetzt ist plötzlich nicht mehr vom völligen Abzug der amerikanischen Truppen aus Ostsyrien die Rede. Ein Großteil davon wurde in den Irak verlegt, aber ein Teil bleibt in den südlicheren Zonen Ostsyriens mit dem Anspruch, die Ölfelder in der Region zu kontrollieren. Aber wenn das etwa 200-300 Mann sein sollen, die dafür noch abgestellt werden, dann ist die große Frage, ob diese militärische Missionssicherung der Ölfelder auch wirklich gelingen kann. Und die ganz große rechtliche Frage ist: Auf welcher Rechtsgrundlage tun das die Vereinigten Staaten eigentlich? Welche völkerrechtliche Bestimmung, aber auch welches nationale Recht in den Vereinigten Staaten gibt den USA das Recht, militärisch zu verhindern, dass die syrische Regierung die Kontrolle über syrische Ölfelder wieder aufnimmt?

Laut Beobachtern sind die Verlierer der Einigung von Sotschi die Kurden. Was wird aus Ihrer Sicht mit den Kurden passieren, welchen Weg sehen Sie nächster Zukunft?

Wenn alle Bestimmungen eingehalten werden, dann muss sich die YPG in die syrischen Streitkräfte als sogenanntes fünftes Korps eingliedern. Sie würden damit ihre Selbständigkeit verlieren. Was die Kurden politisch aufgeben müssen, ist der Anspruch auf eine selbstverwaltete Zone in Nordsyrien. Das sogenannte Rojava kommt nicht infrage, das lehnt Assad ab, Russland unterstützt es auch nicht. In der Summe gesehen ist das eine politische und militärische Großniederlage der Kurden. Aber ihre Position war unhaltbar geworden als die Amerikaner ihre schützende Hand über die Kurden abgezogen haben.

Was bedeuten die jüngsten Entwicklungen für die Perspektiven eines Friedens und einer Nachkriegsordnung in Syrien? Wer werden aus Ihrer Sicht die entscheidenden Player sein und was deren Rolle?

Es könnte gut sein, dass in Sotschi verabredet wurde, dass die Türkei anderswo in Syrien Zugeständnisse machen muss für das russische Zugeständnis, der Türkei dabei zu helfen, eine Sicherheitszone an der gesamten türkisch-syrischen Nordgrenze einzurichten. Diese Zugeständnisse könnten sich auf die Provinz Idlib beziehen, wo der große Rest der dschihadistischen und nicht-dschihadistischen Rebellen konzentriert ist, und die Russland und die syrische Regierung zurückerobern wollen. Vielleicht hat die Türkei in einem separaten Abkommen Zugeständnisse zugesichert. Man wird abwarten müssen, ob sich in den nächsten Wochen bezüglich Idlib irgendwelche Änderungen ergeben und sich dort die syrische Regierungsseite durchsetzen kann.

Quelle!:

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