Dienstag, April 23, 2024
StartPolitikEU„Ist das fair? Es ist Willkür!“ – Deutscher Sportrechtler zum Ausschluss Russlands

„Ist das fair? Es ist Willkür!“ – Deutscher Sportrechtler zum Ausschluss Russlands

Der deutsche Sportrechtler Christoph Wieschemann, der unter anderem den russischen Langläufer Alexander Legkow vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne vertreten hat, hält die neuerlichen Strafmaßnahmen gegen Russlands Sportler für rechtswidrig. In seiner Stellungnahme erklärt er seine Gründe.

Bereits vor der Entscheidungsverkündung der WADA am Montag hatte sich Christoph Wieschemann zur Empfehlung des WADA Compliance Review Committee (CRC) geäußert. In dieser hatte das Komitee die Strafmaßnahmen gegen Russland, seine Athleten, Regierungsvertreter und Verbandvertreter für die Dauer von vier Jahren vorgeschlagen.

In der Stellungnahme vom 6. Dezember 2019, die der Sputnik-Redaktion vorliegt, bezeichnet Wieschemann die vorgeschlagenen Maßnahmen als „offenkundig rechtswidrig, wenn nicht sogar willkürlich“. Diese Herangehensweise entlarve eher die im Kampf gegen Doping herrschende Doppelmoral, als dass sie die Glaubwürdigkeit stärken könne.

„Der Umstand, dass sich ausgerechnet Travis Tygart, der USADA-Chef, hier besonders hervortut, verursacht ein gewisses Störgefühl. US-amerikanische Athleten hatten vor RIO 2016 in großem Umfang ‚Therapeutic Use Exemptions‘ verwendet, verbotene Substanzen mit abgelaufenen TUE oder auch ohne TUE verwendet. Interner E-Mail-Verkehr der USADA dokumentiert, dass die Praxis bekannt war, aber nicht unterbunden wurde. Auch die großen Ligen in den USA haben sich bisher nicht dem WADA-Code und der USADA unterworfen, die das hinnimmt“, so der Sportrechtler.

Richard McLaren habe stets betont, sein Report sei weder dazu gedacht, noch dazu geeignet, einzelne Athleten abzustrafen. Darüber hinaus habe der CAS in der Entscheidung Legkow gegen FIS festgestellt, dass der McLaren-Report zwar einige Verdachtsmomente enthalte, diese für eine Verurteilung aber nicht hinreichend seien. Die Sportler seien später vom CAS freigesprochen und das Urteil im Beschwerdeverfahren auf Antrag des IOC auch nochmal vom Schweizerischen Bundesgericht bestätigt worden. Im McLaren-Report wurde unter anderem auf Tagebucheintragungen des Kronzeugen Grigori Rodtschenkow Bezug genommen, von denen Rodtschenkow selbst später zugab, sie verfälscht zu haben.

„Das rechtskräftig als untauglich bewertete Beweismittel, der McLaren-Report, wird durch die Empfehlung des WADA CRC erneut zum Maßstab der Zulassung russischer Athleten zu Wettkämpfen.

Wer darin genannt ist, ist raus, auch wenn er bereits zwei Jahre seiner Karriere verloren hat, bis er trotz seiner Nennung im McLaren-Report letztinstanzlich von jedem Verdacht freigesprochen wurde. Das ist verblüffend”, so Wieschemann.

Der Anwalt erinnert an die im CAS-Urteil im Fall Alexander Legkow gegen das Internationale Olympische Komitee festgehaltenen Umstände, unter denen ein Athlet für den Austausch von Urinproben überhaupt haftbar gemacht werden kann:

„Nach Ansicht des Panels kann ein Athlet nur für das Ersetzen seines Urins durch eine andere Person haftbar gemacht werden, wenn: (a) Der Athlet eine Handlung begangen oder Unterlassung begangen hat, die diese Substitution erleichtert; und: (b) Er hat dies mit tatsächlicher Kenntnis der Wahrscheinlichkeit gemacht, dass diese Substitution stattfindet. Nur ein Athlet, der selbst eine Handlung vornimmt, die dazu beiträgt, dass seine Urinprobe später durch eine andere Person ersetzt wird, und der wusste oder hätte wissen müssen, dass eine solche Substitution wahrscheinlich ist, ist schuldig.“

Dennoch empfehle das WADA dem CRC, Athleten auszuschließen, deren Proben verfälscht wurden. Damit könnten möglicherweise tausende saubere Athleten raus sein, weil Dritte zufällig oder absichtlich ohne Einverständnis oder Kenntnis der Athleten deren Daten manipuliert haben. „Ist das fair? Es ist Willkür“, urteilt Wieschemann.

Für den Ausschluss russischer Regierungsvertreter von internationalen Sportereignissen fehlt nach Ansicht des Sportrechtlers die juristische Grundlage, da die Olympische Charta nicht auf Regierungsvertreter anwendbar ist. Außerdem gehöre der russische Staat nicht zu den Unterzeichnern des WADA Code und sei daher nicht der Strafgewalt der WADA unterworfen.

Sprachlos mache ihn auch der Versuch, die Reputation des „Whistleblowers“ Rodtschenkow in der Öffentlichkeit reinzuwaschen:

„Grigori Rodtschenkow stand nicht nur im Zentrum des Doping-Systems, er verlangte von den Athleten für die Verschleierung der positiven Dopingbefunde Geld und bekam es. Das war nicht nur ein Doping-Verstoß. Das ist so ziemlich in jedem Land einschließlich Russland strafbar. Selbst (der Dokumentarfilm, Anm. d. Red.) ‚Ikarus‘ verschweigt nicht, dass Rodtschenkow nicht Russland verlassen hat, um der Weltöffentlichkeit die Wahrheit zu offenbaren, sondern aus Furcht vor Strafverfolgung in Russland. Zum ‚Whistleblower‘ machten ihn später erst die Medien.”

Ferner kritisiert der Anwalt, dass von einem „staatlichen“ Doping-System in Russland gesprochen wird. Es gebe bis heute keine Beweise dafür, „dass ein Mitglied der Regierung oder ein Mitarbeiter eines Ministeriums nicht aus krimineller Gewinnsucht, sondern eben als Teil des Regierungshandelns an dem System beteiligt war“.

„Der vermeintliche Kampf des Sports gegen Doping in Russland ist zu einem Narrativ geworden oder war es von Anfang an. Die Art und Weise des Umgangs damit schadet dem Kampf gegen Doping überhaupt. Das Narrativ wird in einer Kakophonie der täglichen Empörung von Medienvertretern und Stakeholdern unterschiedlicher Interessen am Leben gehalten, deren Leitthema, manchmal auch deren einziges Thema, genau dieser oder ein anderer Doping-Skandal ist, und die sich gegenseitig überbieten, nach immer schärferen Strafen zu verlangen. Gegenüber der damit erzeugten Erwartungshaltung muss jedes besonnene, möglicherweise freisprechende Urteil defizitär und ‚ungerecht‘ wirken, als Ausdruck fehlender Bereitschaft, Dopingsünder zu bestrafen“, beschreibt Wieschemann die gegenwärtige Situation.

Notwendig sei ein System, das nicht die Interessen der um Autorität konkurrierenden Verbände in den Mittelpunkt stellt, sondern die der Athleten.

Quelle!:

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